Glossar

Examen (*Tagesrückblick, Gebet der liebenden Aufmerksamkeit)

Warum empfiehlt Ignatius von Loyola, sich Zeit für das Examen zu nehmen?

Für Ignatius von Loyola sind Achtsamkeit und innere Unabhängigkeit grundlegende Voraussetzungen für ein geistlich erfülltes Leben. Immer wieder betont er, wie wichtig es ist, sich die Freiheit des Herzens und des Geistes zu bewahren. Doch im hektischen Alltag – geprägt von Leistungsdruck, Erfolgen und Rückschlägen – ist es leicht, den Kontakt zu sich selbst zu verlieren: Die äußeren Umstände übernehmen das Steuer.

Um dieser Entfremdung entgegenzuwirken, empfiehlt Ignatius eine einfache, aber tiefgreifende Praxis: das Examen, den täglichen betenden Rückblick, auch bekannt als „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“ oder „Tagesrückblick“. In diesem Gebet tritt der Mensch bewusst aus dem Strom der Ereignisse heraus. Er wird ruhig, richtet den Blick nach innen und betrachtet sein Leben im Licht unseres liebevollen, gütigen Gottes.

Für wen lohnt es sich, das Examen in den Alltag einzubauen?

Wer viel um die Ohren hat, läuft Gefahr, sich selbst zu verlieren. Das Examen bietet einen Moment der Stille, um innezuhalten, durchzuatmen und wieder bei sich selbst anzukommen.

Für Christinnen und Christen ist das Examen eine Möglichkeit, Gottes Gegenwart im Alltag zu entdecken – nicht nur im Gebet, sondern auch in Begegnungen, Herausforderungen und kleinen Momenten.

Auch wer Entscheidungen treffen muss oder sich in einer Übergangsphase befindet, kann durch das Examen lernen, mehr auf die eigenen inneren Regungen zu achten. Das kann entsprechend der Übung der „Unterscheidung der Geister“ helfen, eine gute und zukunftsfähige Entscheidung zu treffen.

Ebenso profitieren junge Menschen davon, regelmäßig innezuhalten und sich zu fragen: Was hat mich heute bewegt? Was hat mir gutgetan? Was hat mich geärgert oder verletzt?

Kurzum: Das Examen nach Ignatius von Loyola eignet sich für alle Menschen, die ihr Leben mit Gott leben und ihre innere Haltung im Alltag reflektieren möchten, unabhängig von Alter, Beruf oder religiösem Hintergrund.

Wie kann ich das Examen gestalten?

Es hilft, in einer festen Form auf den vergangenen Tag zurückzuschauen, um sich selbst wieder in den Blick zu nehmen, Klarheit zu gewinnen und die innere Freiheit zurückzuerlangen, die im Alltag oft verloren geht – und das im Wissen um den liebenden Blick Gottes auf mich und mein Leben:

  1. Zur Ruhe kommen und beginnen
    Ich atme tief und ruhig. Mit jedem Atemzug lasse ich Anspannung los. Ich spüre, wie der Atem durch meinen Körper fließt – sanft, lebendig, gegenwärtig. Dafür nehme ich mir einige Minuten Zeit. Dann ein Zeichen des Anfangs setzen, eine körperliche Geste, ein Kreuzzeichen oder ein kurzes, gleichbleibendes Gebet.
  2. Mich selbst wahrnehmen
    Ich richte meine Aufmerksamkeit nach innen: Wie geht es mir gerade? Was nehme ich in meinem Körper wahr? Welche Stimmung begleitet mich?
  3. Spuren des Tages entdecken
    Ich lasse den vergangenen Tag vor meinem inneren Auge vorbeiziehen. Was beschäftigt mich noch? Was hat mich innerlich gebunden oder bewegt? Woran hängen meine Gedanken? Dabei sollte man versuchen, nicht vorschnell die Dinge zu bewerten.
  4. Gefühle erspüren und zulassen
    Ich achte auf die Gefühle, die mit diesen Erinnerungen verbunden sind. Freude, Ärger, Dankbarkeit, Enttäuschung – alles darf da sein. Ich verweile achtsam bei dem, was sich zeigt, und verbinde es mit meinem Atem.
  5. Loslassen und annehmen
    Ich bin bereit, Angenehmes los- und auch Unangenehmes da sein zu lassen.
    Ich lasse das Angenehme los – im Wissen, dass alles Gute von Gott geschenkt ist. Ich danke für das, was gelungen ist, für Erfolg, Begegnungen und Anerkennung.
    Auch das Unangenehme darf bleiben. Ich halte es aus, ohne es zu verdrängen. Ich bringe meine Klage, meine Fragen, meine Reue vor Gott. Auch das Kreuz gehört zu meinem Weg. Nicht umsonst ist es das Zeichen des Christentums. Bei Gott haben auch die Dinge ihren Raum, die mir unangenehm sind.
  6. Wandlung zulassen
    Vielleicht kann ich noch nicht danken, aber ich bin offen dafür, dass auch Grenzen und Enttäuschungen mir etwas zeigen: über mich, über meine Erwartungen, über das Leben. In ihnen liegt die Chance, freier und echter zu werden. Eines Tages werde ich auch für sie danken können, denn diese Grenzen zeigen mir, dass nicht alles in meinem Leben wahr und echt ist, von dem ich meinte, dass es wahr und echt sei. Meine Grenzen werden mir helfen, aus meinem wahren Selbst zu leben.
  7. Im Vertrauen abschließen
    Ich beende meinen Rückblick mit dem Vaterunser.

Hier geht es zu einem Video-Tagesrückblick zum Mitmachen auf YouTube

zur Glossar-Übersicht

Newsletter

Das Magazin „Jesuiten“ erscheint mit Ausgaben für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Bitte wählen Sie Ihre Region aus:

×
- ×