Jesuiten 2023-3 (Österreich-Ausgabe)

„Ich merke, was mir fehlt“ Nichts essen, nichts trinken – das kann ganz schön zehren. Ein interreligiöses Gespräch über Fasten, geführt von Prof. Felix Körner SJ. In der Kirche hängt das Fasten heute ziemlich stark an persönlichen Entscheidungen. Spendenaktionen wie Misereor gehören für viele dazu; aber dann verzichtet auch jemand auf Süßigkeiten oder baut Besinnungsmomente in den Alltagsbetrieb ein. Ich habe den Eindruck, in euren Gemeinschaften spielt die Verbundenheit unter den Gläubigen eine tragende Rolle. Mansur: Naja, für mich ist das Fasten schon etwas Individuelles. Ich kann meinem Schöpfer gegenüber gehorsam sein; und darüber freue ich mich. So spüre ich eine tiefe Ruhe, wenn ich faste. Fabian: Ich muss allerdings sagen, je nach Tagesform fällt mir das Fasten auch manchmal richtig schwer. Mansur: Ja, das kenne ich auch. Ich merke dann, was mir fehlt. Doch irgendwann kommt der Moment des Fastenbrechens. Zwar ist mir bewusst, dass Millionen Muslime in diesem Augenblick dasselbe tun: Alle nehmen endlich wieder etwas zu sich; aber mir kommt es vor, als wäre ich jetzt ganz allein vor Allah. Ich kann sogar vergessen, dass am Tisch Familie und Freunde sitzen! Der Schöpfer schenkt mir einen Moment seiner Zuneignung, so kommt es mir vor. Mich durchströmt plötzlich seine Liebe: unerklärlich, erfüllend. Ein jüdischer Fasttag dauert noch länger als der islamische und ist genauso streng: nichts essen, nichts trinken. Das kann ganz schön zehren, denke ich. Fabian: Ja, nur haben wir auch keinen ganzen Fastenmonat; und der Sinn des Fastens ist, dass wir aus der Entfremdung zurück in G’ttes Nähe kommen. Wenn ich am Ende eines solchen Tages vielleicht richtig geschlaucht in die Synagoge komme und die anderen Fastenden sehe, wenn ich höre, wie sie murmeln und beten und singen, und wenn ich dann spüre, wie wir den Hunger überwunden haben und in die Gebete eintauchen: Dann – es klingt vielleicht seltsam –, aber dann komme ich mir frei vor, ja geradezu engelsgleich. Ein richtiger Freudenflug. Mansur: Und dann kommt das Fastenbrechen! Fabian: Genau. Und beim ersten Segensspruch über den Speisen empfinde ich oft: Das Essen ist ein persönliches Geschenk von G’tt. Im regen Austausch: Prof. Felix Körner SJ (links), Inhaber des Nikolaus-Cusanus-Lehrstuhls für Theologie der Religionen an der Humboldt-Universität zu Berlin, mit dem orthodoxen Rabbiner Daniel Fabian (rechts) und Muhammed Mansur Doğan, der islamische Theologie studiert hat. Prof. Körner isst lieber vegetarisch, und wenn in Rom, dann Gelato. Foto: © Ines Grabner 18 SCHWERPUNKT

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