So ist als betender Mensch auch die große Spannung spürbar, die darin liegt, auf den Gekreuzigten, auf einen dem Unheil ausgesetzten Menschen zu blicken und gleichzeitig der Verheißung zu glauben, dass sich in diesem Menschen das Heil der Welt zeigt. Klar ist – Beten birgt keinen Heilsautomatismus. Aber sich betreffen lassen von Gottes entschiedener und bedingungsloser Liebe, die im Leben, Sterben und in der Auferstehung Jesu sichtbar wird, kann unsere Bereitschaft erneuern, uns Menschen zuzuwenden, die unserer Hoffnung und unserer Hilfe bedürfen und uns nicht vor Anspruchsvollerem zu drücken. Wir sind eingeladen, alles daran zu setzen, Leid neben uns zu mindern, aber auch dazu befähigt, Unlösbares und selbst das Lebensende Gott anzuvertrauen, in dem letzter Halt bleibt. Wenn wir erinnert werden und glauben dürfen, dass wir noch vor unserer Leistung von Gottes Liebe umfangen sind und dass Gott selbst das Scheitern Jesu in seinen Heilsplan integrieren konnte, kann es uns leichter fallen, die gebrochene Welt zu umarmen und selbst mit den eigenen Schattenseiten in einer neuen Ganzheit zu leben. Das regelmäßige lebensbezogene, betende Schauen auf den Gekreuzigten kann mehr und mehr zum mutigen, entschiedenen, ja manchmal auch unkonventionellen Gehen und Schauen in jene Richtung werden, in die Gott geht und schaut. „Das Wort vom Kreuz ist uns Gottes Kraft“, heißt es bei Paulus (vgl. 1 Kor 1,18). Anders ausgedrückt: Wer das Herz im Herrgottswinkel der Gottesbegegnungen mitten im Leben verankert hat, durch den geschieht Heil. Bild: © Jaroslav Drazil (2024, Ausschnitt) Sr. Martina Winklehner SDS ist Biomedizinische Analytikerin aus Linz. Sie erlebt immer wieder: Versöhnt zu sein mit der Gegenwart, ist ein heilsamer Moment. 11
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