kämpft hatte, nahm sie, nachdem sie spürte und es ihr klar wurde, dass es keine weiteren Therapieoptionen mehr gab, Abschied vom Leben. So als hätte sie einen inneren Schalter umgelegt. Selbstbestimmt bis zum Schluss. Das Bild meiner verstorbenen Frau, gezeichnet von ihrer schweren Erkrankung, hat sich fest in mir eingeprägt. Eine Zeit lang war dies das dominierende Bild, das alles andere überdeckte. Mit der Zeit kamen andere Bilder dazu. Bilder von gemeinsamen Erlebnissen, heilsame Bilder, von Dankbarkeit erfüllt. So ließen sich die eher dunklen und schweren Bilder und Erinnerungen aushalten. Ich für mich spürte zutiefst, dass meine Frau in die Liebe Gottes hinein gestorben ist. Familie und Freund*innen kamen zum Abschiednehmen zu uns nach Hause. Mein Sohn saß fast die ganze Zeit am Sterbebett seiner Mutter. Er konnte erzählen, weinen und lachen, sich gemeinsam mit den Besucher*innen erinnern und in der Erinnerung seine Mutter ganz tief in seinem Herzen verankern. Alle Gefühle, die zur Trauer gehören und in ihrer Ambivalenz da sein und ausgedrückt werden dürfen, hatten ihren Platz: Wut, Erleichterung, Dankbarkeit, Verzweiflung, tiefste Traurigkeit. Trauer ist vielfältig und individuell. Jede*r hat das Recht, sie auf eigene Weise zu zeigen. Verletzend ist es, wenn man genau dieses Individuelle abgesprochen und gesagt bekommt, wie man richtig zu trauern habe oder gar, wie lange Trauer akzeptabel sei. Verletzend sind die nur scheinbar tröstenden und aufrichtenden Worte wie: „Du bist ja noch jung, du findest jemand Neues an deiner Seite.“ Oder zu meinem Sohn von einer Lehrerin: „Streng dich an in der Schule, deine Mutter im Himmel freut sich darüber.“ Hilfreich hingegen sind Freud*innen, die nicht nur sagen, „Du kannst dich immer bei mir melden“, sondern die von sich aus konkrete Kontaktangebote machen. Zum Spazierengehen, zum Abendessen, zum Konzertbesuch. Hilfreich ist es, der oder dem Trauernden nicht aus dem Weg zu gehen, sondern die eigene Unsicherheit im Umgang auszudrücken: „Mir fehlen die Worte“. Die Trauer begleitet das gesamte weitere Leben. Das Sterben meiner Frau hat mich verändert und auch meinen Sohn. Scheinbar Selbstverständliches ist nicht selbstverständlich. Es entwickelt sich eine Dankbarkeit für die kleinen Dinge im Leben, für die alltäglichen Wunder. Und es gibt immer wieder Momente, während deren die Traurigkeit und der Schmerz des Abschiedes da sind und Tränen fließen. Hilfreich sind da Menschen, die mitweinen, mitlachen, die sich mit mir erinnern, denen ich Geschichten immer wieder erzählen kann, die mich nicht mit gut gemeinten Ratschlägen oder frommen Floskeln trösten wollen. Jene, die mit mir die Situationen in all ihren Dimensionen aushalten, dabeibleiben, ohne große Worte. „Da sein, wenn Worte fehlen. Zuhören, wenn es schreit in Menschen. Ohnmacht aushalten Bei durch-kreuzten Hoffnungen nicht davonspringen, sondern standhalten“. Pierre Stutz Und genau dies kann ich als Seelsorger in der Klinik und im Hospiz tun. Wie ich es beim Betreten des Zimmers des Ehepaares tat: mit aushalten und einfühlsam dabeibleiben, mich berühren lassen, eine Wegstrecke mitgehen, Beziehung anbieten und zulassen, spüren, was mein Gegenüber braucht. Antwort geben zu (meinen) spirituellen Kraftquellen und Haltepunkten. Carsten Habermann ist Hospiz- und Klinikseelsorger in Erfurt und empfindet es als heilsam, immer authentischer im Hier und Jetzt zu leben. Bild: © Jaroslav Drazil: Lazarus (2021, Ausschnitt) 19 SCHWERPUNKT
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