Heile Welt Wie sieht die heile Welt aus? Was bedeutet dieser Begriff eigentlich? Florian Kleeberg bewegt sich in seinem Text zwischen Kneipe und christlicher Utopie. Es gibt sie wirklich – die „Heile Welt“. Soeben hat man sich als Brautpaar vor der Standesbeamtin mit dem „Ja“ der gegenseitigen Liebe versichert. Anschließend stellt man sich zum obligatorischen Foto vor den barocken Mauern auf der Freitreppe im Kreise der Verwandten, Bekannten und Freunde auf. Und dann wird man ihrer ansichtig – der „Heilen Welt“ – einer Kneipe genau gegenüber des Standesamts. Wer immer den geistreichen Namen für diese Lokalität an diesem Ort wählte, verspricht einen verheißungsvollen Gegenentwurf zur (unheilen) Welt gegenüber. Das lässt Raum zur Spekulation, was die Einstellung zur bzw. die Erfahrung mit der Ehe betrifft. „Heile Welt“ – dieser Ausdruck steht für eine Wirklichkeit, in der alles umfänglich gut zu sein scheint und nichts Belastendes vorherrscht. Weder Leid, Angst, Missgunst, Krieg, Krankheit noch Tod überlagern die positive Atmosphäre und verdüstern das Bild. Stattdessen steht diese Chiffre für unbeschwertes Leben, ungetrübte Freude, gelingendes Miteinander und erfüllenden Frieden. Menschen, denen man ein Leben in einer solchen Wirklichkeit nachsagt, bescheinigen böse Zungen eine weltfremde Naivität. Ob Christ*innen als naiv bezeichnet werden können, wenn sie eine solche Wirklichkeit erhoffen, mag an anderer Stelle verhandelt werden. Fest steht, dass eine solche Überzeugung zum christlichen Glauben gehört und mit dem Bild des Himmels und der liebenden Gemeinschaft bei und in Gott umrissen wird. Dass diese Vorstellung alles andere als leichte Kost ist und jeden Vorwurf von Naivität einbüßt, eröffnet sich allen, die in dieses theologische Themenfeld eintauchen. Die Rede ist von der Eschatologie – der Lehre von den letzten Dingen. Jahrhundertelang prägten Vorstellungen wie Gericht, Fegfeuer, Himmel und Hölle diesen Komplex mit allem, was an Schrecken und Angst für den einzelnen Menschen damit verbunden war. Dabei folgte man einer dualistischen Auffassung, in der Gott den Sünder mit Hölle bestraft, während er sich derer erbarmt, die den Sündern zum Opfer fielen. Der Fokus lag auf der Beziehung Gottes mit dem Einzelnen – einem Heilsindividualismus. Die Überlegungen der letzten Jahrzehnte dazu haben die Vorstellung verkompliziert. Mit der Vorstellung eines liebenden Gottes, wie sie sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausprägte, lässt sich nicht mehr plausibilisieren, warum Gott auch nur eines seiner geliebten Geschöpfe zur Hölle verdammen sollte. Ein liebender Gott will das Heil aller Menschen – mögen sie auch noch so sündhaft sein. Flankierend zu diesem Gedanken hat sich im Katholizismus zur selben Zeit der Subjektgedanke profiliert. Damit hat sich der Blick vom Heilsindividualismus auf das intersubjektive Miteinander und damit auch auf die soziale Dimension der Menschen untereinander verschoben. Für die Hoffnung auf die „heile Welt“ einer liebenden Gemeinschaft aller Menschen bei und in Gott bedeutete das dreierlei: Zum einen muss man sich mit der Frage beschäftigen, wie sich die aus Gottes Liebe ergebende Barmherzigkeit zu allen seinen Geschöpfen mit seiner Gerechtigkeit vereinbaren lässt, die man Gott ebenfalls zuschreibt. Hier gilt es, Gottes Gerechtigkeit nicht zugunsten einer geschichtsvergessenden billigen Barmherzigkeit preiszugeben. Zum anderen muss dem Sub20 SCHWERPUNKT
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