Begegnungsaspekt im Vordergrund stehen. Ein Beispiel: Wie verändert die Begegnung mit einem Menschen mit Behinderung die Wahrnehmung meiner eigenen Verwundbarkeit und meine Gottesbeziehung? Einsamkeit verstehe ich als interpersonelle und institutionelle Erfahrung, die beeinflusst, wie wir unsere Erlösung durch Christus wahrnehmen. Erlösung bedeutet somit auch, dass wir von unserer Einsamkeit erlöst werden. Dabei erfahren wir nicht nur Trennung von Christus, sondern auch, dass Christus selbst diese Entfremdung erfährt, etwa, wenn ein Überlebender klerikaler sexueller Gewalt kein Mitgefühl von Seiten der Amtskirche erhält. Oder wenn einem Getauften die Erfahrung der sakramentalen Zugehörigkeit verweigert wird, weil seine Lebensweise kirchlich nicht anerkannt ist. Christus erfährt diese Entfremdung auch, wenn Kirchenmitglieder ihre Glaubensgemeinschaft verlassen, weil sie das Gefühl haben, nicht vermisst zu werden. Kirchliche Gemeinschaften haben heute das Bedürfnis, das Leben der Nachfolge zu erneuern. Die Synode ist ein Beispiel für dieses institutionelle Bedürfnis und den Wunsch der Menschen nach einem stärkeren Zugehörigkeitsgefühl innerhalb der Kirche. Andersheit soll einen Platz in den Kirchen finden und nicht zu Diskriminierung führen, die die Anerkennung als Jünger*in Christi verweigert. Zwei Beispiele verdeutlichen, wie der/die Andere an den Rand gedrängt wird. Erstens, die Notlage schutzbedürftiger Migrant*innen und das Leid der Zivilbevölkerung in den vom Krieg zerrissenen Regionen, die in die EU, nach Großbritannien oder in die USA fliehen, werden zunehmend durch diskriminierende Äußerungen in einem breiteren politischen Diskurs instrumentalisiert. Stattdessen sollte die Begegnung mit der/ dem Anderen und die Anerkennung ihrer/seiner Geschichte dazu führen, dass Nationalstaaten politische Entscheidungen nicht an vorgegebene Ergebnisse knüpfen. Die Begegnung mit der Verwundbarkeit der/des Anderen befreit uns aus unserer ideologischen Blase, sodass Entscheidungen über das Bleiberecht nicht mehr auf Symbolpolitik, sondern auf Anerkennung der gemeinsamen Menschlichkeit beruhen. Zweitens wird niemand, der das Leid der Zivilbevölkerung in der Ukraine, in Haiti, in Israel und dem Gaza-Streifen erlebt hat, unverhältnismäßige militärische Interventionen als Lösung sehen. Stattdessen entlarvt die Begegnung mit den leidenden Menschen, wie sehr unsere politische Sprache von Gewaltrhetorik durchtränkt ist. Der Weg zum politischen Heil ist also kein Weg der realen oder emotionalen Abschottung oder Gewalt. Er ist vielmehr geprägt von dem Frieden, den Christus uns in jeder Eucharistiefeier schenkt, und den er uns durch die Sendung des Heiligen Geistes ermöglicht hat. Unsere Sprache ist nicht nur ein Mittel, um ein Narrativ des Friedens zu verbreiten. Unsere Sprache schafft auch Frieden. Somit kann sie uns von Vorurteilen, Diskriminierung und Einsamkeit befreien. Mehr als je zuvor müssen wir mit unserer kirchlichen und theologischen Sprache aus unseren kirchlichen Blasen heraustreten und mit anderen zusammenarbeiten, um wirklich eine friedensstiftende Sprache zu entwickeln. Dadurch können wir die Entfremdung zwischen Christus und der Welt überwinden und vielen Menschen eine Zukunft der Hoffnung bieten. P. Gerard Ryan SJ ist Assistant Professor für Politische Theologie am Regis College (Toronto) und dankt Michael Dineen, Stephen Sharpe und Prof. Colleen Shantz für ihre Unterstützung. Andersheit soll einen Platz in den Kirchen finden. Bild: © Jaroslav Drazil (2024, Ausschnitt) 13 SCHWERPUNKT
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