Jesuiten 2024-4 (Schweiz-Ausgabe)

sion zum Christentum. Dabei bezeichnet sie ihr atheistisches Umfeld sogar als „günstige Voraussetzung“ dafür und als „Schule des angewandten Glaubens“. Die Konversion selbst erlebt sie als „überwältigend“ und als bleibendes Vorzeichen ihrer Glaubensbiografie. Sie war in ihrer Jugend eine intellektuelle, aber verzweifelte Atheistin. Jedes tröstend gemeinte religiöse Angebot erschien ihr unannehmbar. Da sie nur auf die Vernunft vertraute, versuchte sie sich auch der Frage nach Gott in einer vernünftigen religiösen Suche zu nähern. Stets bleibt sie in ihrem Denken ausdrücklich anti-idealistisch und einem Realismus des Glaubens verpflichtet. Wie kommt sie dazu? Entscheidend für ihre Bekehrung ist eine Begegnungserfahrung mit christlichen Studierenden. Diese Auseinandersetzung mit selbstverständlich gläubigen Freund*innen, die sie gleichwohl als vernünftig erlebt, erschüttert ihr weltanschauliches Gebäude zutiefst. Sie lässt die Möglichkeit zu, dass es Gott doch geben kann. Noch erstaunlicher: Sie entschließt sich zu beten. Dabei erfährt sie, dass Gott, als lebendige Wahrheit, sie gefunden hat. Die Kerneinsicht: Man kann ihn lieben wie eine Person. Diese Grundentscheidung ist unumkehrbar, ist aber in dauernder Unterscheidung der Geister zu ratifizieren. Also eine neue Beziehung, aber auch eine gewisse Einsamkeit …? Ja, der Glaube macht einsam und macht fremd in der Welt, bei aller unvoreingenommenen Nähe, weil man ja oder nein sagen muss. Sie beschreibt das als Gratwanderung in ihrem Lebensumfeld zwischen militanten Kommunist*innen und abgeschotteten Katholik*innen. Das ist für sie keine äußere Stütze, sondern nur die persönliche Entscheidung dafür, das Wort Gottes in ihrem Leben Fleisch werden zu lassen. Das ist die christliche Wahl: Alle Dinge angemessen lieben, aber Gott allen Dingen vorziehen. Darum entscheidet sie, nicht selbst Kommunistin zu werden, obwohl sie das Engagement der Parteimiglieder schätzt. Aber das atheistische Programm und die Militanz gegenüber ideologischen Gegner*innen widersprechen ihrem Glaubensfundament: Gott und die Nächsten lieben. Doch sie flieht auch nicht in die katholische Nische, sondern bleibt offen dafür, den Glauben in konkreten Begegnungen in diesem Milieu zu bezeugen: Klar in den eigenen Optionen und respektvoll gegenüber anderen. Sie tanzt in diesen verschiedenen Milieus umher? Ihr Maßstab ist die Liebe. Das gibt ihr Freiheit gegenüber einem verengten Glaubensverständnis. Alles andere kann auf den Prüfstand, etwa vielleicht nicht mehr zeitgemäße Ausdrucksformen. Der Glaube führt mitten in das Gewühl der Welt, um da Gott einen Ort zu sichern. Damit fordert Madeleine Delbrêl die Theologie heraus, dass sie konkret bleibt, nah an der Erfahrung der Menschen, denn Glaube ist Praxis, die kritisch reflektiert werden muss, mit Vernunft und Bezug auf seine Quellen. Darum ermutigt sie zu einem „erfinderischen Gehorsam“. Redaktionshinweis: Das Interview entstand aus dem Podcast „Lores Töchter“, einem Projekt der Katholisch-Theologischen Fakultät der RuhrUniversität Bochum. Die ganze Folge hier abrufen: Marianne Heimbach-Steins ist Theologieprofessorin und lehrt seit 2009 in Münster. Sie beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Madeleine Delbrêl und der Unterscheidung der Geister. Der Glaube führt mitten in das Gewühl der Welt, um da Gott einen Ort zu sichern. Foto links: © Scott+Jock/photocase.com (Collage); Porträt: © Peter Leßmann (2023) 9 SCHWERPUNKT

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