Jesuiten 2024-4 (Schweiz-Ausgabe)

Wie ging es dir zwischen diesen verhärteten Fronten? Unter den Jesuiten lebten wir einen Dauerkonflikt zwischen den Verfechtern von Schulen und Hochschulen einerseits und unserem „sozialen“ Block andererseits. Wir wollten ein Sozialapostolat aufbauen. Die Professoren haben uns als gefährliche Revolutionäre beim Pater General in Rom denunziert. Rom intervenierte, drastische Entscheidungen fielen. Viele der linksprogressiven Jesuiten hier verließen den Orden. Wir, die blieben, wurden stigmatisiert. Soldaten, Politiker*innen und Journalist*innen nannten mich einen Guerillero. Doch die Provinz hat mir ihre öffentliche Rückendeckung gegen diese haltlosen Attacken signalisiert. Nach meinem Studium in Paris wurde ich hier in der Menschenrechtsarbeit aktiv. Das gab es vorher noch nicht. Die Bischöfe waren nicht interessiert. Wir vereinten also Ordensgemeinschaften dafür. Wir haben mit Opfern des Konflikts, Vertriebenen, in Armenvierteln, in Schulen, in der Rechtsberatung gearbeitet, politische Reflexion betrieben. Doch es häuften sich die Bedrohungen gegen uns. Eines Nachts erreichte mich die Warnung eines Journalisten, dass mehrere Generäle ein Attentat gegen mich geplant hätten. Ich musste untertauchen, gelangte im Kofferraum versteckt zum Büro. Kurz darauf musste ich das Land für Jahre verlassen. Das war eine sehr harte Zeit. Ich war sehr deprimiert. Bei meiner Rückkehr waren die Verantwortlichen im Ruhestand. Das Militär sagte mir, dass ich bleiben könne, aber auf eigene Verantwortung. Da fühlte ich mich frei und bewegte mich trotz aller Warnungen unabhängig durchs Land. Was gab dir selbst die Kraft, dem allen zu widerstehen? Ja, das war nicht leicht. All diese Anschuldigungen und Bedrohungen haben mir den Schlaf geraubt. Ich ging in Exerzitien mit der Frage: Mache ich das weiter oder nicht? Denn das hat mich menschlich, gesundheitlich echt zerstört. Es wäre leicht gewesen, den Provinzial um eine andere Aufgabe zu bitten. Doch mir wurde dann sehr klar: Was ich erlitt, war der Preis für die Arbeit in diesem Bereich. Aber es durfte mich nicht kaputtmachen. Ich musste es also mit einer gewissen Gelassenheit akzeptieren, habe mich immer weiter beruhigt, und die Ordensoberen haben meine Arbeit geduldet. Ich hatte aber den Koffer fürs Gefängnis immer gepackt. Was können wir von diesen progressiven Gruppen lernen? Es sind sehr viele Gruppen in der Kirche entstanden und viele auch wieder verschwunden, die sich mit der Befreiung und Gerechtigkeit beschäftigt und viel veröffentlicht haben. Noch sind sie nicht tot. Sie haben ein gemeinsames Erbe hinterlassen, eine andere Art des Christseins, ein Modell von Kirche, die vom Volk her aufgebaut ist. Die vielen Märtyrer*innen dieser Zeit in Lateinamerika haben diese Grundüberzeugungen eher noch bestärkt. Nicht alle waren gläubig, aber sie starben für die Gerechtigkeit. Interview und Übersetzung: P. Fabian Retschke SJ P. Javier Giraldo Moreno SJ ist Kolumbianer und seit Jahrzehnten in Menschenrechtsfragen aktiv. Damit machte er sich nicht nur Freund*innen. Ich hatte aber den Koffer fürs Gefängnis immer gepackt. Foto links: © Scott+Jock/photocase.com (Collage) 21 SCHWERPUNKT

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