Jesuiten 2024-4 (Schweiz-Ausgabe)

Madeleine Delbrêl und die Arbeiterpriester Ähnlich wie Madeleine Delbrêl wagten sich auch die Arbeiterpriester in ein kirchenfernes Milieu und legten so Zeugnis ab vom Evangelium – mehr durchs alltägliche Leben als durch Worte. Arbeit war für Madeleine Delbrêl ein spiritueller Ort. Nicht nur das Fahrradfahren oder ein Ball am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, bildeten für sie willkommene Gelegenheiten, sich dem Geheimnis Gottes im Alltag zu öffnen, sondern auch das Putzen einer Treppe, das Petersilieholen im Garten oder das Warten auf eine Telefonverbindung. Vielleicht wegen dieser lebensnahen Mystik des Alltags, vielleicht aber auch aufgrund ihrer Erfahrungen als katholische Sozialarbeiterin unter den Kommunist*innen von Ivry, wurde sie – als Frau und Laiin! – zu geistlichen Vorträgen in das Priesterseminar der Mission de France eingeladen. Aus diesem sind dann auch zahlreiche Arbeiterpriester hervorgegangen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Autofabriken, Bergwerke und Hafenviertel ihres Landes aufbrachen, um dort als Arbeiter unter Arbeiter*innen schlicht und einfach das Evangelium zu leben. Das 1954 erfolgte römische Verbot der Arbeiterpriester – sie mussten ihre Arbeitsplätze verlassen – stellte auch Madeleine Delbrêls Kirchlichkeit auf eine harte Probe. Nachdem sie von ersten Strafmaßnahmen erfahren hatte, machte sie sich am 6. Mai 1952 auf ihre berühmte, durch einen Lotteriegewinn finanzierte Blitzreise nach Rom. Mit dem Nachtzug fuhr sie für nur 24 Stunden in die ewige Stadt – um am Petrusgrab ein Zweifaches zu erbitten: dass die „Gnade des Apostolats, die Frankreich gegeben worden ist, durch uns nicht verloren gehe, sondern dass wir sie in der Einheit bewahren“ und dass „diese Gnade von der Kirche anerkannt und gestärkt werde“. Die Konflikte spitzten sich jedoch weiter zu. 1953 schrieb sie einem befreundeten Bischof: „Ich bin sehr besorgt angesichts der Härte der Entscheidungen.“ Erst das Zweite Vatikanische Konzil sollte die Arbeiterpriester offiziell rehabilitieren. Deren sehr handfeste Spiritualität ist kongenial zur alltagsnahen Mystik Madeleine Delbrêls: „Danke, Herr, […] für alle Geschenke, die du mir heute angeboten hast. Dank für alles, was ich gesehen, gehört und empfangen habe. […] Dank für die prompt zugestellte Zeitung und für die spannende Geschichte darin. Dank für Jakob, der mir seine Feile geliehen hat, für Fritz, der mir eine Zigarette geschenkt hat […]. Dank […] für das Glas Bier, das vorhin meinen Durst gestillt hat. […] Dank für die Mädchen, denen ich begegnet bin, für das Rouge auf den Lippen von Marie-Therese, sie hat die Farbe klug gewählt, […] für die Grimasse von AnneMarie und ihr befreiendes Lachen. [...] Dank für das Leben. Dank für die Gnade.“ Dr. Christian Bauer ist Professor für Pastoraltheologie in Münster und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Pastoraltheologie. Letzte Veröffentlichung zum Thema: „Priester im Blaumann. Das französische Experiment der Arbeiterpriester“ (Feinschwarz.net 1./2. März 2024). 4 SCHWERPUNKT

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