Jesuiten 2025-1 Vom Aufhören
Jesuiten 2025-1 Dieses Druckerzeugnis wurde klimaneutral hergestellt, d. h. die mit der Produktion quantifizierten CO2-Emissionen werden durch Klimaschutzzertifikate kompensiert. 1 Editorial Schwerpunkt 2 Schlusspfiff 4 Zukunft gestalten 5 „Was machen Sie da?“ 7 Nein, ich will nicht aufhören! 8 Von der Kunst, ein Gespräch gut zu beenden 10 Der Mensch denkt, doch Gott lenkt 12 Die Täuschungen des Alters 14 Willkommen in Holland – und warum das gar nicht so schlecht ist 16 Aufhören – ein Wort voller Gegensätze 17 Es kann gelingen! 19 Freiheit finden in 40 Tagen 20 Der letzte Jesuit Geistlicher Impuls 22 Rechtzeitig aufhören, Gutes zu tun Was macht eigentlich …? 24 P. Johannes Stoffers SJ Nachrichten aus der Provinz 26 Neues aus dem Jesuitenorden Personalien 30 Jubilare und Verstorbene Medien/Buch 31 Praxis des Herzensgebets Vorgestellt 32 100 Jahre „Denken lernen“ an der Hochschule für Philosophie 34 Die besondere Bitte Aufhören – das klingt zunächst immer sehr radikal und nach dem großen Schnitt. Tatsächlich trifft das auf viele Abschiede im Leben zu. Doch zugleich begegnen uns im Alltag sehr viele kleine Momente von Abschied und Enden. Sackgassen, unverhoffte Ladenschließungen oder einfach ein Verkehrszeichen, das kompromisslos sagt: Hier geht es nicht weiter. Diesen „endgültigen“ Situationen geht die Bildredaktion in diesem Heft nach und lädt zugleich ein, die Augen zu öffnen für die großen und kleinen Dinge, die aufhören. Stefan Weigand, Bildredaktion Foto auf der Titelseite: © Asvolar/iStock.com klima-druck.de ID-Nr. Druckprodukt CO₂ kompensiert Mehr Informationen zur Berechnungsmethodik, zur Kompensation und dem gewählten GoldstandardKlimaschutzprojekt finden Sie unter klima-druck.de/ID. 25193663
wenn es um das Reich Gottes und das Glück geht, dann schreibt uns Ignatius von Loyola ins Stammbuch, dass wir von den Gegensätzen Gesundheit und Krankheit, Reichtum und Armut, Ehre und Schmach, langes und kurzes Leben je keines mehr erstreben sollen als das andere. Der engagierte Christ soll für beide Optionen offen sein. Selbst wenn es den eigenen Vorlieben widerspricht, soll der Verlust von Gesundheit, finanziellen Mitteln oder gesellschaftlichem Ansehen nicht geringer bewertet werden als die Möglichkeiten, die diese Dinge bieten. Irgendwie paradox, das Aufhören des Engagements so hoch zu werten, wenn uns doch der Einsatz für die Menschen, das Gute und die Schöpfung so wichtig ist. Wir Jesuiten üben das Aufhören durch die Gelübde: Der teilweise Verzicht auf Privatbesitz lässt uns manchmal eine Freiheit spüren. Dass eine Familie mit Kindern nicht von uns abhängig ist, macht hoffentlich manche von uns offener gegenüber der Option, Gewohntes loszulassen und im klaren Licht der Liebe Gottes zu leben. Die Meditation des Leidens Jesu in der Karwoche macht viele Menschen offener, ihre Leiden und ihre Not nicht als unsinnig, sondern als „in Freundschaft mitgegangen“ zu verstehen. Und doch hat das Aufhören keinen guten Ruf. Zumindest schauen wir für gewöhnlich nicht so lange und intensiv darauf wie auf einen Neubeginn oder ein Weitermachen. Einen genauen Blick auf das Phänomen des Aufhörens haben wir uns für dieses Heft vorgenommen. Wir laden Sie ein, zusammen mit unseren Autorinnen und Autoren das freiwillige und unfreiwillige Aufhören zu reflektieren. Es liegt viel Segen im intensiven Engagement, aber auch in der Intensität des Aufhörens. Wer wagt es, den großen und kleinen Momenten des Aufhörens, sogar dem eigenen Sterben, ins Auge zu blicken? Jedes Aufhören im Leben, jeder schmerzhafte Abschied, jeder eintretende Mangel und jedes Vollenden kann uns plötzlich einleuchten als ein mit Liebe konzipierter Teil des Großen und Ganzen, was Jesus das Reich Gottes nannte und zu dem er die Tür öffnen wollte. Wie werden Sie mit dem Lesen des einen oder anderen Textes in diesem Magazin aufhören? Wenn es manchmal ein „Ah“ oder vielleicht ein Seufzer ist und Sie dies aufmerksam registrieren, dann sind Sie mitten in der Dynamik dieses Heftes angekommen! Liebe Leserin, lieber Leser, Konrad Glosemeyer SJ, Br. Matthias Rugel SJ, P. Mathias Werfeli SJ Porträtfoto: © SJ-Bild Ein gutes Anfangen und Aufhören der Fastenzeit wünschen Ihnen EDITORIAL 1
Schlusspfiff War das richtig? Und war es der richtige Zeitpunkt? Diese Fragen kennt wohl jeder von uns, wenn Entscheidungen anstehen. Für den dreimaligen Weltschiedsrichter Markus Merk ist klar: Der letzte Pfiff war sein bester Move. 34. Spieltag, 17. Mai 2008, 17:19 Uhr, München Allianz-Arena: Schlusspfiff. Mit dem letzten Pfiff dieser Saison beende ich nach 20 Jahren und 339 Bundesligaspielen nicht nur ein Spiel, sondern auch meine Karriere. Freiwillig, selbstbestimmt vor dem Erreichen einer Altersgrenze habe ich diesen Zeitpunkt gewählt. Natürlich ist es ein bewegender Augenblick, wenn du einen wichtigen Lebensabschnitt, der dich geprägt hat und über den Mil2
lionen von Menschen dich definieren, beendest. Und du verlässt eine Bühne, die für viele Menschen ein so großes Faszinosum bedeutet, in der du Jahrzehnte nicht nur dabei, sondern mittendrin warst. Dabei sein durftest! Gelebte Emotionalität Abseits der Feierlichkeiten suche ich auf dem Spielfeld meinen eigenen Platz. Wie in einem Spielfilm rasen inmitten der riesigen Arena und 68.000 Zuschauern Jahrzehnte harter Arbeit an mir vorüber, unglaubliche Erlebnisse und Augenblicke großer Spiele in Stadien rund um den Erdball, polarisierende Entscheidungen, Begegnungen mit Menschen auf dem Spielfeld, vor allem aber außerhalb des Spielfeldes, Leidenschaft und Liebe zu meinem so exponierten sportlichen Hobby. Gelebte Emotionalität, zugegeben feuchte Augen und Gänsehaut, definitiv einschneidende Sekunden. Einmal ganz tief durchatmen, den letzten Moment im Stadion nochmal genießen – und dann kam der Augenblick, den ich nie vergessen werde. Die einfache Frage, die uns immer dann begegnet, wenn Entscheidungen Realität werden: War das richtig? Unterschiedlicher konnten die Reaktionen auf mein Wochen zuvor angekündigtes Karriereende aus der Glitzerwelt des Fußballs nicht sein. Verständnis und Respekt auf der einen Seite, auf der anderen Seite versuchten Autoritäten des Sports, mein persönliches sportliches Umfeld, die Familie und Freunde, Menschen, die nah an mir und dem Schiedsrichter Markus Merk waren, mich umzustimmen, machten sich ihre eigenen Gedanken über meine Beweggründe und sogar den persönlichen Zustand von mir. Loslassen – aber selbstbestimmt Von dem Moment des freiwilligen Schlusspfiffes an ist die Antwort auf die Frage „War das richtig?“ bis heute eindeutig. Ja! Es fällt mir gar umso schwerer nachzuvollziehen, wenn Menschen in Sport, Politik, Unternehmen, Wirtschaft oder in anderen Bereichen unserer Gesellschaft an ihrer Position kleben, gar mit Ellbogen und gegen Regeln des Fairplays Menschen und Fortschritt verhindern. Ich durfte persönlich in diesem Bereich alles erleben. Als der kleine, fußballverrückte Junge, dessen Elternhaus gerade mal 300 Schritte hinter dem berühmten Fritz-Walter-Stadion in Kaiserslautern steht, habe ich 1988 meinen persönlichen großen Traum, einmal ein Spiel in der Bundesliga zu pfeifen, gegen alle Widerstände erreicht. Und ich durfte 20 Jahre Zugaben erleben. Erstens war es die große Dankbarkeit dafür, die mir meinen selbstbestimmten Schlusspfiff leicht gemacht hat. Und zweitens wollte ich mir meine Energie erhalten, auf dem Höhepunkt nach der dritten Wahl zum Weltschiedsrichter des Jahres abtreten und diese Energie für mein berufliches Umfeld, meine Familie, auch für mich und neue Aufgaben nutzen. Loslassen, dem Abpfiff viele neue Anpfiffe folgen lassen. In vielen Lebensbereichen müssen wir Abschied nehmen, es liegt nicht immer in unserer Hand, aber in den meisten Bereichen haben wir eine Wahl, die eine Entscheidung, aber auch Mut verlangt. Mein Schlusspfiff 2008 war so eine Entscheidung, auch so viele Jahre später definitiv eine der besten meines Lebens. Dr. Markus Merk ist dreifacher Fußballweltschiedsrichter, Ausdauersportler, Entwicklungshelfer, Unternehmer und KeynoteSpeaker. Bild: © TerryJ/iStock.com War das richtig? Die Antwort ist eindeutig: ja! 3 SCHWERPUNKT
Zukunft gestalten Leben mit Blick auf die Zukunft ist bestimmt von der Spannung zwischen der Erwartung dessen, was aufgrund bisheriger Erfahrung – wahrscheinlich – sein wird, und der Offenheit für das, was – möglicherweise anders als erwartet – auf uns zukommt. Das gilt auch für Ordensgemeinschaften. Die gegenwärtige Situation vieler Ordensgemeinschaften stellt eine besondere Herausforderung dar: Rückgang der Mitglieder insgesamt bei zunehmendem Alter, abnehmende Zahl von Eintritten, immer weniger einsetzbare Ordensobere bei gleichzeitig steigenden Anforderungen an Professionalität im beruflichen Bereich. Deshalb gilt es, in einer personell, ökonomisch und rechtlichen Standortbestimmung die Ausgangslage für Veränderungen zu bestimmen und eine zeitliche und begleitende Vorgangsweise zu entwickeln. Klare Richtungsentscheidungen Im Blick auf das Ziel der Gemeinschaft (Charisma, Auftrag) gilt es, in einem Unterscheidungsprozess zwischen verschiedenen möglichen Wegen jenen zu wählen, der sich im Abwägen von Chancen und Problemen auf die Zukunft hin als der bessere zeigt. • Die Entscheidung zum Behalten: Unter geänderten Bedingungen erfordert auch das Behalten entsprechende Bemühungen wie Redimensionierung und Umstrukturierungen von Werken. • Die Entscheidung zur Übergabe: Ein Werk zu übergeben, bedarf einer soliden Vorbereitung. Dazu gehören die Auswahl und Vorbereitung derer, denen das Werk anvertraut wird, wie die Schaffung unterstützender Strukturen. Übergeben meint anvertrauen, nicht aufgeben – und will mit Wohlwollen begleitet werden. • Die Entscheidung für Neues: Mit jeder Veränderung entsteht Neues – und dies bedarf einer klaren Entscheidung. Ohne Abwertung des Bisherigen oder des Neuen: Es wird anders sein! Schrittweises Vorangehen Mit der Entscheidung für Neues beginnt ein Weg, der Schritt für Schritt und mit Entschiedenheit gegangen werden will. • Zeichen setzen: Nie wird von heute auf morgen alles anders – und doch hat die Zukunft schon begonnen. Hilfreich ist die Frage: Woran zeigt es sich, dass wir bereits unterwegs sind? • Flexible Lösungen suchen: Angesichts der Ungewissheit der Zukunft bedarf es flexibler Lösungen, die ein Eingehen auf Unerwartetes oder notwendige Korrekturen zulassen. • Erfahrungen auswerten: Unerlässlich ist es deshalb, sich über das Vorangehen – dankbar und selbstkritisch – Rechenschaft zu geben. Durch regelmäßige Reflexion und Auswertung der Erfahrungen wird – wenn erforderlich – auch eine Kurskorrektur möglich. P. Alois Riedlsperger SJ arbeitete in der politisch-sozialen Bildungsarbeit in Wien und begleitet weiter die Organisationsentwicklung von Ordensgemeinschaften. 4 SCHWERPUNKT
„Was machen Sie da?“ Schwester Albertis Baumann hört nie auf, für andere da zu sein. Mit einem Herzen voller Mitgefühl zeigt sie, dass Loslassen nicht Stillstand bedeutet – und dass eine Bahnfahrt manchmal der Beginn einer wunderbaren Begegnung sein kann. Sr. Albertis, was war für Sie ein hartes Aufhören? Jeder Prozess des Loslassens von Beziehungen. Ich arbeitete 27 Jahre als Sozialpädagogin in der Erziehungsberatungsstelle in Ludwigshafen am Rhein. Im Kreis von sieben Kolleginnen und Kollegen war ich die einzige Ordensfrau. Gemeinsam begleiteten wir viele schwierige Kinder und deren Familien. Und dann kam das altersbedingte unfreiwillige Aufhören mit 65 Jahren. Es fiel mir sehr schwer, dass ich nicht mehr zu diesem Team gehörte. Hilfreich war für mich die Stelle als ehrenamtliche Seelsorgerin im Krankenhaus. Wir haben dort vier Stationen Psychiatrie, eine Tagesklinik und zwei Stationen Geriatrie. Die Patienten konnte ich gut verstehen und auf ihrem Weg mitgehen und sie begleiten. Was war für Sie ein Aufhören mit einer gewissen Leichtigkeit? Im Ruhestand kann ich sagen: „Jetzt bin ich Freifrau.“ Jetzt sind nur kleine Verpflichtungen zu erfüllen, ich bin freier für spontane Begebenheiten wie dieses Erlebnis: Ich fuhr einmal in der Straßenbahn in die Stadt. Ich saß ganz hinten. Weiter vorn war ein Mann, den ich aus unserer psychiatrischen Station kannte. Sichtlich nicht ganz bei sich fuchtelte er mit seinen Händen, schimpfte vor sich hin und verstörte die Straßenbahngäste. Da fingen einige ebenfalls zu schimpfen an und plötzlich waren es viele: „Können die sich nicht anständig benehmen!“ „So jemand kann man doch nicht frei herumlaufen lassen!“ „In was für einer Gesellschaft leben wir hier eigentlich?“ „Einsperren sollte man solche Leute!“ Ich bin nach vorne gegangen und stand neben dem Mann. Große Verwunderung! „Was machen Sie da?“ Er kannte mich und wurde still. „Rücken Sie mal, ich setze mich neben Sie. Ich fahre dorthin, wo Sie auch hinfahren, und jetzt unterhalten wir uns ganz normal.“ Das Geschrei und die Unruhe waren weg. Wir haben uns, bis wir ausstiegen, ganz normal unterhalten. Ich kann es einfach nicht haben, wenn man über solche Menschen abfällig urteilt. Haben Sie im Orden junge Schwestern? Ja, aber leider nicht bei uns. Nachwuchs haben wir in Angola, in Indien, Portugal. Für uns ist jetzt die letzte Phase unseres Lebens dran, mit der Aufgabe, einander zu helfen, um diese Zeit gut und bewusst zu leben. Indirekt konnte ich dazu Erfahrungen sammeln in der geriatrischen Abteilung unseres Krankenhauses. Zu Beginn tat ich mich schwer. Hier saß ich oft am Bett, wenn jemand starb. Es brauchte seine Zeit, bis ich mich dafür gewappnet hatte. Eine Krankenschwester hat mich gelehrt, nicht einfach nur mitzuweinen, wenn jemand gestorben ist: „Das kannst du nicht machen, du musst die Angehörigen trösten.“ Interview: Br. Matthias Rugel SJ Sr. Albertis Baumann ist Niederbronner Schwester und lebt mit 27 Mitschwestern in der Kommunität beim Krankenhaus zum Guten Hirten in Ludwigshafen, das der Krankenhausstiftung der Niederbronner Schwestern angehört. Bild rechts: privat; Bild links; SJ-Bild 5 SCHWERPUNKT
Nein, ich will nicht aufhören! Warum fällt es Kindern (aber auch Erwachsenen) so schwer, mit etwas Schönem aufzuhören? Hat es damit zu tun, dass sie das Schöne im Hier und Jetzt unbeschwert genießen können, ohne gleich an die nächste, unangenehme Aufgabe zu denken? „Nein, ich will weiterspielen. Ich will nicht aufhören.“ Diesen Satz lernen alle Eltern so oder so ähnlich irgendwann kennen. Vor allem kleineren Kindern fällt es oft schwer, ein Spiel zu beenden. Es kann dann einiges an Geduld und Einfühlungsvermögen kosten, bis man es gemeinsam geschafft hat mit dem Aufhören. Vielleicht erklären wir uns selbst und versuchen, die Zustimmung unserer Kinder zum geplanten Vorgehen zu erreichen. Vielleicht hoffen wir darauf, dass die Kleinen ebenfalls Verständnis für uns Große zeigen. Letzteres bleibt jedoch regelmäßig aus. Der Konflikt um das Aufhören kommt allerdings im Familienleben auch in anderen Varianten vor. Wenn wir gemeinsam zu Hause sind – fünf Personen im Alter von 3 bis 33 – dann ist es so: Wir bitten uns im Grunde ständig und abwechselnd gegenseitig um irgendetwas. Das hat meist die Folge, dass mindestens eine Person unterbrochen wird bei dem, was sie gerade tut. Diese Person muss dann mit etwas aufhören. Selbst, wenn das nur bedeutet, die aktuellen Gedanken einmal zur Seite zu schieben: Es fällt schwer. Das gilt jetzt aber nicht nur für die Kinder. Im Gegenteil! Wenn wir an solche Momente denken, müssen wir zugeben, dass das Problem mit dem Aufhören wohl auch uns als Eltern betrifft. Wenn wir gerade etwas Schönes tun, dann wollen wir ebenfalls nicht, dass es zu Ende geht, wie zum Beispiel ein lang ersehnter Urlaub oder ein gutes Buch. Und wenn wir mit etwas weniger Schönem beschäftigt sind, wollen wir es gerne zum Abschluss bringen. Würden wir mitten in der Sache unterbrechen, so müssten wir es schließlich zu einem späteren Zeitpunkt nochmal neu angehen (Stichwort „mental load“). Nehmen wir diese letzte Beobachtung noch einmal zum Anlass für eine Wendung zurück zu den Kindern. Was die Kleinen nämlich besonders gut können, ist, nervige und unliebsame Aktivitäten bei jeder sich bietenden Möglichkeit zu unterbrechen. Fertig aufräumen? Eher nicht. Ordentlich Zähne putzen? Das darf auch schnell gehen. Den Eltern geduldig zuhören, wenn etwas erklärt wird? Selten. Kinder wenden sich noch frei und ungeniert den Dingen zu, die ihnen Freude bereiten. Und wenn sie darin begrenzt werden, dann trauern sie genauso ehrlich und offen über die verloren gegangene Freude. Vielleicht täte es auch uns Erwachsenen (egal ob mit oder ohne Kinder) gut, öfter einmal so zu handeln. Das, was uns stresst und nervt, einfach mal beiseiteschieben. Tun, was uns Freude bereitet. Und traurig sein, wenn es zu Ende geht. Esther Jünger und Vincent Jünger haben Theologie in Sankt Georgen studiert und sind Eltern von drei Töchtern im Alter von acht, sechs und drei Jahren. Bild: © travelview/iStock.com Tun, was uns Freude bereitet. 7 SCHWERPUNKT
Von der Kunst, ein Gespräch gut zu beenden In der Begegnung zwischen Beraterin und Ratsuchendem geht es nicht nur um die Lösung eines Problems, sondern um das Entstehen eines echten Dialogs. Welche Geheimnisse birgt der „Auftrag“ hinter dem ersten Gespräch? Der Zauber einer ersten Begegnung mit einem unbekannten Menschen, der zu einem Beratungs- oder Seelsorgegespräch kommt, zieht mich auch nach 28 Jahren Tätigkeit in einer ökumenischen Krisenberatungsstelle immer wieder in den Bann: Werden wir eine gemeinsame Sprache finden? Werde ich verstehen, was mein Gegenüber sucht, was er braucht? Entsteht eine Beziehung, ein Resonanzraum, der sich von mir als Beraterin und Seelsorgerin durch Einfühlung, 8
durch Fragen, durch gezielte Strukturierung zu möglicherweise neuen Perspektiven für die Ratsuchenden entwickelt? Entscheidend scheint eine gute „Auftragsklärung“ zu sein. Warum ist jemand gerade heute zum Gespräch gekommen, was gab den letzten Anlass? Gibt es eine konkrete Frage oder Entscheidungssituation, einen inneren oder äußeren Konflikt? Und was lässt sich heute in dem Zeitrahmen, den ich anbieten kann, klären? Was einfach klingt, ist es nicht immer: Mein Gegenüber ist so belastet, springt von einem Thema zum anderen, bietet viele Details an und ist hoch emotional. Ich selbst muss all mein Feingefühl bei gleichzeitig großer Entschiedenheit und Klarheit aufbieten, um das Gespräch zu strukturieren zu der Frage hin: „Was möchten Sie HEUTE klären?“. Dann gibt es die anderen, die ebenso belastet, aber verbittert und verstummt sind, die schon resigniert haben und überhaupt keinen Sinn, keine Perspektive und Hoffnung mehr sehen. Sie können gar nicht benennen, warum sie da sind, nur, „dass ES – diese Belastung, dieser Schmerz – aufhören soll!“. Dann gibt es die, die mit so viel Wut gegen andere kommen, die an ihrem Schicksal und Leid vermeintlich schuld sind und die möchten, dass diese anderen sich ändern. Die „Auftragsklärung“ ist Knochenarbeit. Manchmal benötigt sie den ganzen zur Verfügung stehenden Zeitraum, doch das macht sie nicht überflüssig – im Gegenteil. Gerne mag ich von einer Auftragsklärung erzählen, die mir bis heute in Erinnerung geblieben ist: Vor vielen Jahren kam eine Dame in die Beratung. Christin, Pfarrgemeinderatsmitglied, aktive Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit. Sie und ihre Familie hatten sich eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings angenommen und diesen immer wieder in die Pfarrei-Aktivitäten und auch ihre Familien integriert. Er machte eine Ausbildung und lebte dann nach einigen Jahren sein eigenes Leben. Die Dame suchte Rat, weil der junge Mann seit einigen Monaten sie immer öfters auch mitten in der Nacht anrief, sichtlich bedrückt und auch betrunken. Sie verstand gar nicht, wie das hatte passieren können bei all der Unterstützung. Auch berichtete sie von einem schlechten Gewissen, ihm Grenzen zu setzen, wollte ihn nicht fallen lassen. Aber gleichzeitig konnte sie nach den nächtlichen Anrufen nicht mehr schlafen, machte sich Sorgen und war morgens in ihrem Berufsalltag völlig gerädert. So sprachen wir über die mögliche Co-Abhängigkeit der engagierten Frau und ihre Möglichkeiten, sich abzugrenzen, ohne dem jungen Mann das Gefühl zu geben, ihn fallen zu lassen. Sie bejahte das alles, blieb aber unruhig. Als wir das Gespräch eigentlich schon beenden wollten und der „Auftrag der Beratung“ schon erfüllt schien, sagte sie tief erschüttert: „Wissen Sie, ich dachte immer, die Liebe vermag alles“. Wir setzten uns wieder und sprachen anschließend über ihre Glaubens-Enttäuschung, dass Jesu Verheißung nicht „stimme“, dass selbst die größte Hilfe und Liebe nicht alles „gut“ werden lasse, dass wir und auch Gott nicht anderen unsere Liebe aufzwingen können. Es war für uns beide eine sehr berührende Erfahrung, dass manch vordergründigem Auftrag ein noch existenziellerer zugrunde liegen kann, den es nicht zu übersehen gilt. Sybille Loew ist katholische Theologin und Leiterin der ökumenischen Krisenberatungsstelle Münchner Insel. Die „Auftragsklärung“ ist Knochenarbeit. Foto: © Foto-Video-Studio/iStock.com 9 SCHWERPUNKT
Der Mensch denkt, doch Gott lenkt Wenn der Provinzial ruft: Alle paar Jahre packt ein Jesuit die Koffer, bereit für neue Aufgaben. Dabei gilt: Flexibilität statt Trotz, denn nicht immer führt der Weg zum Traumziel. Alle sechs bis acht Jahre bekommt ein Jesuit eine neue berufliche Aufgabe, die sogenannte Destination. Im Allgemeinen läuft das etwa so ab: Der Provinzial fragt bei seinen jährlichen Gesprächen mit dem Mitbruder, wie es diesem geht, ob er für eine neue Aufgabe bereit sei. Und dann kommt er raus mit der Sprache: „Könntest Du Dir vorstellen diese (oder jene) Aufgabe zu übernehmen?“ Gegenseitiges Hören ist gefragt: Der Jesuit muss (!) klar sagen, was er kann, möchte oder was seiner Meinung nach bei ihm „dran“ wäre. Hier einfach die Hand an die Mütze zu legen und sich demutsvoll in sein Schicksal zu er-
geben, hilft dem Provinzial genauso wenig wie emphatische Rebellion: „Ich? Niemals! Kommt gar nicht in die Tüte!“ Vielmehr gilt es, flexibel zu sein für die Bedürfnisse des Ordens, der bestimmte Stellen einfach mit jemandem besetzen muss, egal ob die Mitbrüder dazu Lust haben oder nicht. Schüler oder Studierende an Jesuiten(hoch-)schulen müssen wissen, dass sie an dieser Einrichtung auch einen Abschluss machen können. Wer meldet schon sein Kind an einer Schule an, die beim Zwischenzeugnis verkündet: „Wir müssen jetzt leider mit der Schule aufhören, weil wir derzeit keinen Mitbruder haben, der Bock hat, den Job auszufüllen …“? Manchmal sind da regelrechte Himmelfahrtskommandos dabei: Wer hatte in den 2010er Jahren, auf dem Höhepunkt der Missbrauchskrise, schon Lust, Feuerwehrmann (Kollegsdirektor) an einer der drei Jesuitenschulen zu spielen? Bei meiner eigenen letzten Destination war es folgendermaßen: Ich wurde wie üblich gefragt, was ich mir vorstellen könnte, was „dran“ wäre, und sagte daraufhin selbstbewusst: „Ich würde gerne in die säkularste, gottloseste Stadt Deutschlands mit den wenigsten Christen!“ By the Way: Man geht ja nicht völlig unvorbereitet in solche Destinationsgespräche und so hatte ich beim Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung in Greifswald schon im Vorfeld ermitteln lassen, was das säkularste Pflaster Deutschlands sei. Deren Antwort: Magdeburg! 10% Christen (damals! 2016!), davon 7% evangelische, 3% katholische Christen! 90% säkular beziehungsweise „gar nüscht“. Leider haben wir Jesuiten in Magdeburg aber keine Kommunität. Beim entscheidenden Gespräch eröffnete mir der Provinzial wohl deshalb überraschend: „Magdeburg liegt am Lietzensee, mitten in Charlottenburg!“ Mit den Geografiekenntnissen scheint es bei unseren Provinziälen nicht weit her zu sein … Und so lebe und arbeite ich seit sieben Jahren in Berlin, wo freilich die Zahlen kaum günstiger sind als in Magdeburg. Was sollte ich machen? Schmachten und von einem mit Feenstaub verklärten Magdeburg träumen? Oder Hand an die Pickelhaube und ab nach Berlin, links, zwo, drei, vier …? Der Mensch denkt, Gott lenkt. In meinem Fall als Jesuit kommt noch der Provinzial dazu. Der hat es nicht leicht, im immer kleiner werdenden Pool von verfügbaren Mitbrüdern jemanden zu finden, der einspringt, wenn irgendwo Not am Mann ist. Aber auch für den Jesuiten im Glied gilt: Nicht jede Destination kann im Konsens erfolgen. Manchmal muss man von eigenen Träumen Abstriche machen oder wird aus einer Arbeit, in der man eigentlich glücklich ist, abrupt herausgerissen. Ich muss an Jesu Gebet im Garten Getsemane (Lk 22,42f) denken: „Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen!“ Da ist beides drin: Ein klarer Wunsch: Ich will das (Verurteilung, Geißelung, Kreuz, Tod …) nicht!!! Jesus bittet flehentlich, beschwört den Vater regelrecht. Und gleichzeitig: Wenn es so kommen sollte und kommen muss: Ich bin bereit! Ich möchte aber hinzufügen – ganz so dramatisch wie bei IHM kommt es bei einem selbst dann doch nicht, oder? P. Manfred („Josy“) Hösl SJ hat Theologie, Soziologie und Pädagogik studiert. Er war Schulseelsorger im Kolleg St. Blasien und Pfarrer in Göttingen. Seit 2017 ist er Pfarrer von St. Canisius, Berlin-Charlottenburg. Manchmal muss man von eigenen Träumen Abstriche machen. Foto links: © c-foto/AdobeStock 11 SCHWERPUNKT
Die Täuschungen des Alters Aufhören? Loslassen? Für viele Jesuiten ist das so realistisch wie fliegen ohne Flügel. Doch das Altern hält Überraschungen bereit, wenn man sich traut. Wir Jesuiten definieren uns meist stark über Arbeit und Leistung – auch wenn wir es nicht gerne zugeben. Im aktiven Leben üben wir sinnvolle Tätigkeiten aus und genießen Wertschätzung und Anerkennung. Damit aufzuhören, ist nicht leicht. Wenn Aufhören statt Weitermachen angesagt ist, täuschen sich manche in zweifacher Hinsicht. Nicht nur für uns Jesuiten ist die erste Täuschung: Altwerden und Aufhören ist nur eine abstrakte Möglichkeit. Sie mag für andere gelten, „aber nicht für mich“. Da ist der hochbetagte Wissenschaftler, der noch ein wichtiges Buch schreiben will und sich dieser Aufgabe – anders als seine Angehörigen und Freunde meinen – gut gewachsen fühlt. Da ist der wichtige Redebegabte, der von einer Einladung zur nächsten fahren muss. Vorzugsweise reist er mit dem Auto an. Über seine Fahrtauglichkeit gehen die eigene Sichtweise und die seiner Mitmenschen erheblich auseinander. Dass die Welt sich längst weitergedreht hat und dass seine Auftritte wie aus der Zeit gefallen wirken, übersieht er konsequent. Die zweite Täuschung besteht darin: Aufhören und Loslassen beginnt erst dann, „wenn es so weit ist“. – „Ja natürlich ziehe ich mal in eine Pflegeeinrichtung, aber nicht jetzt“, sagt einer, der stramm auf die 90 zugeht. Er muss dringend noch wichtige Aufgaben zu Ende bringen. Danach können wir darüber reden. „Ja klar muss ich mal abgelöst werden“, sagt ein anderer. Aber weil keiner so gut in die vielfältigen Anforderungen seiner Tätigkeit Einblick hat wie er selbst, wird das dauern. In einem Jahr vielleicht könnte das sein oder noch etwas später. Jetzt ist es noch zu früh. Die narzisstische Kränkung, dass es nun um Aufhören und nicht um Weitermachen geht, scheint zu groß und unerträglich. Was ist die Alternative zu diesen beiden Täuschungen? Sehr nützlich und hilfreich wird es sein zu überlegen: • Was geht im Alter nicht mehr? • Was geht nach wie vor? • Und was geht erst jetzt? Den letzten Punkt übersehen manche. Dabei ist er der wichtigste. Nicht jeder findet in vorgerückten Jahren zu Altersmilde und Altersweisheit und zur inneren Gelassenheit, am Leben der nächsten und übernächsten Generation liebevoll Anteil zu nehmen, statt ungefragt gute Ratschläge zu erteilen. Aber keiner ist darauf festgelegt, den Versuch nicht zu wagen. Auch im hohen Alter kann man noch viele Überraschungen erleben. P. Hermann Kügler SJ ist Pastoralpsychologe und Seniorendelegat der Jesuiten, also der Beauftragte des Provinzials für die älteren Mitbrüder. Jetzt ist es noch zu früh. Foto: © live2/photocase.com 12 SCHWERPUNKT
Willkommen in Holland – und warum das gar nicht so schlecht ist Loslassen ist wie eine Reise: Du planst Italien, landest aber in Holland – und bist erst einmal frustriert. Doch manchmal braucht es nur ein entschiedenes „Nein“, um den Koffer leichter und die Sicht klarer für die Windmühlen des Lebens zu machen. 14
Am Anfang von allem Leichterwerden steht das Aufhören, das Loslassen. Warum fällt uns das so schwer? Vielleicht hat es mit dem Greifreflex zu tun, den wir ja schon als winzige Babys haben. Wir klammern uns an unsere Vorstellungen, Ideale und Beziehungen, als hinge unser Leben davon ab. Aber: Tut es das? Es ist eine der wichtigsten und schwierigsten Tugenden, von der wir alle irgendwann Gebrauch machen müssen, ganz gleich, ob man ein Haustier loslässt, einen Freund, der wegzieht, Träume, Wunschvorstellungen oder liebe Menschen … Aber manchmal ist Festhalten schmerzhafter als Loslassen. Und so schafft zum Beispiel das kleine beschwerliche Wörtchen „Nein“ Erleichterung. Los-LASSEN durch Schweres-TUN. Anbei eine Geschichte, die mir auf meiner Reise begegnet ist und schon vielen Menschen die Chance vor Augen geführt hat, die dem Loslassen innewohnt. Zum ersten Mal erzählt wurde sie mir von der Mama der lieben Elva, die bereits im Rollstuhl sitzt, seit sie hätte laufen können: Wenn man ein Kind erwartet, ist das ein bisschen so, als würde man eine Urlaubsreise planen. Zum Beispiel nach Italien. Schon immer wolltest du dieses Land sehen. Jeder hat dir erzählt, wie wunderbar es dort ist. Du schaffst dir einen Haufen Reiseführer an und beginnst, Pläne zu schmieden, was du alles sehen willst: das Kolosseum, den David von Michelangelo, die Gondeln in Venedig. Du lernst schon mal ein paar Sätze auf Italienisch. Nach Monaten der eifrigen Vorbereitung ist es dann endlich so weit. Du packst die Koffer und los geht es. Einige Stunden später landet das Flugzeug. Die Flugbegleiterin sagt: „Willkommen in Holland!“ „Holland?“, rufst du. „Was soll das heißen, Holland? Ich wollte doch nach Italien!“ Doch die Maschine ist in Holland gelandet, und du kannst nichts dagegen machen. Das Gute ist, du bist nicht an einem hässlichen, üblen Ort gestrandet. Nur an einem anderen als geplant. Also musst du jetzt losgehen und dir neue Reiseführer besorgen. Du musst eine komplett neue Sprache lernen. Und du wirst eine ganze Menge neuer Leute treffen, denen du sonst nie begegnet wärst. Es ist einfach ein anderer Ort. Das Tempo ist ein bisschen langsamer als in Italien. Vielleicht hat es auch nicht dasselbe Flair. Aber nach und nach bemerkst du, dass es in Holland diese schönen Windmühlen gibt. Und leckeren Käse. Und sensationelle Tulpen. Und Rembrandt. Aber immer noch schwärmen dir deine Freunde von Italien vor, dem absoluten Traumland. Und für den Rest deines Lebens denkst du: „Ja, das war es, wo ich eigentlich hinwollte. Das war es, was ich geplant hatte.“ Und der Schmerz darüber wird niemals vergehen. Weil der Verlust dieses Traums ja auch real und schmerzhaft ist. Aber wenn du dein Leben damit verbringst, darüber zu trauern, dass du nicht in Italien gelandet bist, dann wirst du vermutlich nie die ganz eigene, besondere, liebenswerte Schönheit von Holland genießen können. Die radikalsten Folgen des Nicht-Loslassens unterstrich wohl schon Jesus vor knapp 2000 Jahren: „Wer sein Leben um jeden Preis festhalten will, wird es verlieren.“ (Joh 12,25) Das kleine Wörtchen „Nein“ fällt schwer, aber macht vieles leichter. Eine schwere Entscheidung, und schon bin ich viel Schwere los. Samuel Koch ist Schauspieler am Theater, in TV und Kino sowie Autor von vier Bestsellern. Er hält Lesungen und Vorträge für Unternehmen und kirchliche Veranstalter. Mit seinem Verein „Samuel Koch und Freunde“ setzt er sich für andere Menschen ein. Foto rechts: Nancy Ebert; Foto links: © monts11/iStock.com Warum fällt uns das Aufhören so schwer? 15 SCHWERPUNKT
Aufhören – ein Wort voller Gegensätze Scheitern ist nicht das Ende. Manchmal ist es nur eine notwendige Pause, um Neues zu schaffen. Die militärische Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Überfall war für mich eine Zäsur. Etwas in meinem Selbstbild, meinem Selbstverständnis hatte sich grundlegend gewandelt. Auf der Suche nach einer Haltung zu dieser Unterstützung oder Ablehnung und deren jeweiligen Folgen habe ich mich von meiner ursprünglichen pazifistischen Grundhaltung distanziert – ich hörte auf, ein Pazifist zu sein. In meinem Leben kenne ich das Aufhören wie wohl jeder Erwachsene. Manchmal ist es schön – wenn Zahnschmerzen aufhören, Angst, ein Albtraum. Manchmal ist es aber auch traurig – wenn ein Urlaub aufhört, ein schöner Tag oder gar eine Beziehung. In Bezug auf meinen Beruf als Musiker und Komponist fragte ich mich konkret: Was passiert für mich beim Aufhören einer Komposition? Mir fiel zunächst auf, wie uneindeutig das Wort „Aufhören“ ist. Gerade beim Komponieren betrachtete ich es zunächst als ein Beenden, Vollenden. Allerdings habe ich es auch schon als Abbruch erlebt, als Nicht-Finden einer Lösung, als Aufgeben. Auch eine Mischung dieser beiden Möglichkeiten habe ich schon erlebt. Ich glaubte, etwas abzubrechen, weil ich nicht mehr weiterwusste. Nach längerer Zeit konnte ich aber weiterarbeiten und stellte im Nachhinein fest, dass der scheinbare Abbruch nur eine Pause war, offensichtlich notwendig für eine Lösung. Ich verbinde also mit dem Begriff „Aufhören“ völlig Gegensätzliches, das auch extrem gegensätzliche Emotionen auslöst: Einerseits bin ich beglückt – ich habe etwas geschaffen, das es vorher so noch nicht in unserer Welt gab. Im anderen Fall bin ich äußerst frustriert – ich konnte meine Aufgabe nicht erfüllen, ich bin gescheitert! Jeder Anfang beinhaltet immer beide möglichen Ausgänge: Die Freude über eine gelungene Lösung entsteht nur durch die Möglichkeit des Scheiterns. Das Scheitern muss ich also immer mit in Betracht ziehen und akzeptieren. Es ist Teil des möglichen Erfolges. Zurück zum Ausgangspunkt, der Frage meiner ursprünglich pazifistischen Haltung: In dieser Sache muss ich sagen, dass ich mich als gescheitert betrachte. Im Pazifismus sehe ich in diesem Fall keine Lösung. (Die Gründe zu erläutern, würde hier den Rahmen sprengen). Das bedeutet aber Kampf und Leid, Aufrüstung und Ratlosigkeit. Meine Hoffnung ist, dass es, wie vorher bei den Kompositionen beschrieben, nur eine Pause ist, ein Im-Moment-nicht-weiterwissen und letztlich kein Abbrechen, dass wir also als (Welt-)Gesellschaft eine wirksame gewaltfreie Antwort auf jede Form von Gewalt finden können. Mike Rausch ist Musiker, Komponist und Lehrer. Er komponiert für Film und Stummfilm, Theater und Tanztheater sowie Installationen (u. a. Lutherjubiläum in Worms). 16 SCHWERPUNKT
Es kann gelingen! Warum ist es besser, von Neuanfang statt von Aufhören und von Verwandlung statt von Veränderung zu sprechen? Ein Gespräch mit der Psychotherapeutin Dr. Ingeborg Peng-Keller. Frau Peng-Keller, warum fällt es vielen Menschen so schwer, mit etwas aufzuhören, das ihnen nicht guttut? Eine der größten Illusionen in unserer Gesellschaft ist der Glaube, dass wir in unserem Wollen rational sind. Viele denken, dass sie einfach aufhören könnten, wenn ihr Leben in die falsche Richtung läuft. Doch in der Praxis merken wir schnell, dass das sehr schwierig ist. Denn der Mensch ist ein Gewohnheitswesen – und das ist auch gut so, sonst müssten wir unser Leben jeden Tag neu erfinden, was enorm viel Kraft kosten würde. Was macht „Aufhören“ so schwierig? Der Begriff ist negativ konnotiert. Menschen hören ungern auf, ohne eine Alternative zu haben. Deshalb ist es erfolgversprechender, wenn wir ein negatives Verhalten durch ein positives ersetzen können. Wenn ich ein positives Ziel vor Augen habe, kann ich mich viel leichter auf einen Prozess der Verwandlung einlassen. Wie lange dauert eine solche Verwandlung? Ein solcher Prozess braucht sehr viel Zeit, oft Monate oder sogar Jahre. In meiner Arbeit im Strafvollzug habe ich erlebt, wie tiefgreifende Verwandlungen nach langer Zeit möglich werden. Aber auch im normalen Leben braucht es Geduld – mit Rückschlägen, Misserfolgen und den damit verbundenen Enttäuschungen. Denken Sie nur an Neujahrsvorsätze, die oft schnell scheitern. Gibt es Faktoren, die einen Neuanfang begünstigen? Ja, es gibt drei wesentliche Aspekte: Erstens kommen viele Menschen erst dann ins Handeln, wenn sie an ihre Grenzen stoßen – sei es durch starken Leidensdruck oder äußere Zwänge. Zweitens braucht es einen geschützten Raum, in dem wir offen über unsere Sehnsüchte und Fantasien sprechen können, ohne Angst vor Verurteilung. Und drittens ist die Erkenntnis wichtig, dass wir alle in gewisser Weise abhängig sind. Abhängigkeit ist in unserer Gesellschaft oft negativ besetzt. Wie sehen Sie das? Unsere leistungsorientierte Gesellschaft setzt auf individuelle Unabhängigkeit, wodurch Abhängigkeit oft als Schwäche gilt. Doch es kommt immer darauf an, von wem wir abhängig sind. Wir sind von Anbeginn des Lebens an auf andere angewiesen, und das bleibt ein Leben lang so. Hilfe anzunehmen ist keine Schwäche, sondern ein Schlüssel zum Neuanfang – sei es in einer geistlichen Begleitung oder durch eine Therapie. Gibt es für Sie so etwas wie Wunder in diesem Prozess? Ja, absolut. Wenn Menschen erleben, dass sie nicht perfekt sein müssen, weder nach außen noch vor sich selbst, dann kann Verwandlung geschehen. Und mit Gottes Hilfe können auch heute noch Wunder geschehen. Interview: P. Mathias Werfeli SJ Ingeborg Peng-Keller Klinische Psychologin und Psychotherapeutin, arbeitete 15 Jahre im Schweizerischen Strafvollzug. Daneben ist sie ausgebildete Geistliche Begleiterin und Kursleiterin für kontemplative Exerzitien. 17 SCHWERPUNKT
Freiheit finden in 40 Tagen Warum Fasten mehr ist als Verzicht und Aufhören, sondern sogar ein Gewinn sein kann – getreu dem Motto „Weniger Ballast, mehr Leben“. „Und was sollen wir tun?“, fragten die Menschen Johannes den Täufer. Seine Antwort im Lukasevangelium (Lk 3,10–11) lautet: „Wenn ihr zwei Mäntel habt, gebt einen den Armen. Wenn ihr zu essen habt, teilt es mit denen, die hungrig sind.“ Diese schlichten Worte bringen auf den Punkt, worum es beim Fasten wirklich geht: Loslassen, teilen – und dadurch Freiheit gewinnen. Fasten ist genau das: eine bewusste Entscheidung, aus dem goldenen, aber beengenden Käfig auszubrechen, den wir uns selbst mit Zeit und Mühe geschaffen haben. Es ist die Einladung, diesen Käfig zu verlassen und wie ein freier Adler zu fliegen, statt als kleiner Kanarienvogel in scheinbarer Sicherheit zu verharren. Das bewusste Aufhören ist kein Ende, sondern ein Anfang. Der Verzicht, den das Fasten mit sich bringt, ist keine Einschränkung, sondern ein Gewinn an Freiheit – von sich selbst, von belastenden Bindungen und von unnötigem Ballast. Es ist die Gelegenheit, Überflüssiges loszulassen und Platz für das Wesentliche zu schaffen. Fasten ist eine sinnstiftende Dynamik des Daseins. Was hält mich gefangen? Was kann ich loslassen, damit ich Raum für Neues habe? Der bewusste Entschluss, für 40 Tage auf etwas zu verzichten, bringt oft mehr Leichtigkeit ins Leben, als man erwartet. Es geht darum, sich von unnötigen Lasten zu verabschieden – seien es materielle Dinge, hinderliche Gewohnheiten oder blockierende Gedankenmuster. Teilen als Weg zur Freiheit Johannes der Täufer erinnert uns daran, dass das Aufhören nicht nur uns selbst betrifft, sondern auch die Menschen um uns herum. „Wenn ihr zwei Mäntel habt, gebt einen den Armen.“ Fasten bedeutet nicht nur, loszulassen, sondern auch, zu teilen. Es ist ein Akt der Befreiung – nicht nur von Dingen, sondern auch von der fixen Idee, immer mehr besitzen zu müssen. Dieses Teilen eröffnet eine neue Perspektive auf das Leben. Es zeigt, dass wahrer Reichtum nicht im Horten liegt, sondern im Geben und im Miteinander. Der goldene Käfig, den wir uns gebaut haben, kann sich schwer und einengend anfühlen. Doch Fasten gibt uns die Möglichkeit, die Türen dieses Käfigs bewusst zu öffnen und das zu entdecken, was uns in der Tiefe erfüllt. Natürlich ist es nicht immer leicht, den Käfig zu verlassen. Seine vermeintliche Sicherheit übt eine große Anziehungskraft aus. Doch der Schritt ins Freie eröffnet ungeahnte Möglichkeiten: die Freiheit, Beziehungen bewusster zu gestalten, die Umwelt achtsamer wahrzunehmen und das eigene Leben mit weniger Ballast zu führen. Nachhaltig frei bleiben Das wahre Geschenk des Fastens liegt in der Chance, nachhaltige Veränderungen zu bewirken. Fasten ist ein mutiger Schritt hinaus in die Freiheit. Es zeigt, dass Verzicht nicht Verlust bedeutet, sondern Gewinn – an Leichtigkeit, innerem Frieden und neuer Lebendigkeit. Ich habe mich zum Beispiel vom Kaffeekonsum befreit – und es war eine befreiende Erfahrung! Von welcher Gewohnheit oder Sucht möchtest du dich befreien? Valerio Ciriello ist Fastenleiter und Hochschulseelsorger in Zürich. Er zeigt, wie Verzicht uns aus Käfigen befreit und neue Freiheit schenkt. Foto: © gremlin/iStock.com 19 SCHWERPUNKT
Der letzte Jesuit Als P. Dag Heinrichowski SJ im Sommer 2024 die Katholische Studierende Jugend (KSJ) Hamburg verlassen hat, endete auch eine fast 80-jährige Präsenz der Jesuiten in der außerschulischen Jugendarbeit an den katholischen Gymnasien in Hamburg. „1948 bin ich auf die Sankt-Ansgar-Schule gekommen und war dann gemeinsam mit meinem Bruder auch im ND aktiv als Gruppenleiter“, erzählt mir ein Herr, der trotz seines fortgeschrittenen Alters erstaunlich leicht mit mir gemeinsam die Treppe in den „ehemaligen ND-Keller“ seiner alten Schule hinabsteigt. Hier wirft er einen neugierigen und leicht nostalgischen Blick auf alte Wimpel, Fotos und Räume. „ND“ steht für den „Bund Neudeutschland“, den die Jesuiten 1919 als „Verband katholischer Schüler höherer Lehranstalten“ gründeten und aus dem später die KSJ wurde, die es an vielen Orten in Deutschland gab und gibt – mit und ohne Jesuiten. Foto: © Jonathan Schöps, Foto rechts: SJ-Bild 20
Den alten Herrn, der mir auch berichtet, sein älterer Bruder sei später als Jesuit auch lange Zeit in Sankt Georgen tätig gewesen, treffe ich beim Abschied der Jesuiten aus der KSJ Hamburg am 14. September 2024. Ein emotionaler, schwerer und schöner Tag: Aufhören nach fast 80 Jahren jesuitischer Präsenz und Prägung an diesem Ort. Am Ende einer langen Reihe von Jesuiten derjenige zu sein, mit dem es aufhört, ist nicht einfach. Und diese kurze, sehr herzliche Begegnung zeigt, dass es mich übersteigt: In dieser Rolle als „letzter Jesuit‘ werde ich konfrontiert einerseits mit Dankbarkeit und Wertschätzung für kluge Worte, offene Herzen und tatkräftige Hilfe sowie andererseits Wut und Ärger über Fehlverhalten, Unfähigkeit und fehlende Empathie anderer Jesuiten. Und mit Enttäuschung über eine Entscheidung, die auch uns Jesuiten schwerfällt und deutlich macht: Wir werden weniger. Daraus erwächst die Verantwortung, mit den Menschen, die mit uns unterwegs sind, zu schauen, wie die Arbeit unter diesen Bedingungen gut weitergehen kann – für die KSJ und für uns als Orden. Im Aufhören steckt die Chance, neu zu hören, wohin wir mit reduzierten Kräften gerufen sind. In den Tagen und Wochen vor dem Abschied habe ich mit vielen Menschen gesprochen. Oft ging es darum, wie sehr die Jesuiten hier die Jugendarbeit und auch die Schule geprägt haben. Es ist merkwürdig für diese lange Geschichte, für diese Prägung zu stehen, wenn man doch selbst nur einen ganz kleinen Teil dazu beigetragen hat. Es ist unangenehm, auch für ihr Ende zu stehen. Was mir in diesen Gesprächen, die auch von Trauer, Wehmut und Überhöhung geprägt sein konnten, wichtig war: Nicht nur wir Jesuiten haben einen Ort und die Menschen an diesem Ort geprägt, sondern wir Jesuiten sind hier geprägt worden. Vieles haben wir hier gelernt und erfahren, das uns prägt und begleitet. Aufhören bedeutet nicht nur, eine Lücke zu hinterlassen, sondern dass auch im Orden eine Lücke entsteht. Aufhören ist persönlich und institutionell. Es ist schmerzhaft für beide Seiten, aber auch nach dem Aufhören bleibt Verbundenheit durch Beziehungen und eine gemeinsame Geschichte. Und es bleibt die Bewunderung darüber, mit welcher Haltung die Jugendlichen diese Veränderung, die mit dem Aufhören zwangsläufig zusammen geht, annehmen. Das stimmt mich zuversichtlich. P. Dag Heinrichowski SJ lebt in Frankfurt und promoviert an der Universität Münster in Pastoraltheologie. Parallel dazu ist er Spiritual am Priesterseminar Sankt Georgen und Koordinator des Weltweiten Gebetsnetzwerkes des Papstes in Deutschland. Nicht nur wir Jesuiten haben einen Ort geprägt, sondern wir Jesuiten sind hier geprägt worden. Hintergrund Die Leitung der Sankt-Ansgar-Schule, ein katholisches Gymnasium in Trägerschaft des Erzbistums Hamburg, war seit der Gründung 1946 den Jesuiten anvertraut. 1993 zogen sich die Patres aus der Schule zurück; auch die Kommunität auf dem Schulgelände wurde geschlossen. Bis 2024 blieben ein bis zwei Jesuiten in der außerschulischen Jugendarbeit präsent. Die KSJ Hamburg ist auch an der Sophie-Barat-Schule aktiv. 21 SCHWERPUNKT
Rechtzeitig aufhören, Gutes zu tun Gedanken von P. Ludger Joos SJ über den Umgang mit To-Do-Listen, den eigenen Ansprüchen und der Bedeutung von bewusstem Innehalten. Es ist Abend. Die Sonne hat sich schon länger verabschiedet. Die Straßenlaternen übernehmen ihren Dienst, damit niemand stolpert oder sich an einem Hindernis wehtut. Die Fenster in der Nachbarschaft sind erleuchtet. In manchen sieht man das Flimmern eines Bildschirms. Ich sitze an meinem Schreibtisch und gehe meine heutige To-Do-Liste durch. Bei den meisten Dingen kann ich einen Haken machen. Jeder Haken ist ein kleiner Genuss. Ich habe etwas erledigt. Das macht mich zufrieden. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Im Laufe des Tages haben sich auch ein paar zusätzliche Punkte auf die Liste geschummelt. Ich spüre den Impuls: Das machst du jetzt noch schnell fertig, dann ist es geschafft. Wie oft bin ich in meinem Leben diesem Impuls gefolgt: Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen! Dann war es plötzlich später Abend und ich saß immer noch am Schreibtisch – auf der Jagd nach Häkchen, die ich auch noch hinter die letzten Punkte meiner To-Do-Liste machen wollte. Heute lasse ich das. Irgendwann begann ich, schlechter zu schlafen. Die Freude am Erledigen von Aufgaben ist der Erschöpfung gewichen. Wenn ich heute Gutes tun will, dann muss ich rechtzeitig aufhören, Gutes zu tun. Auf die Dauer kann ich nur Gutes tun, wenn ich es auch rechtzeitig loslassen kann. Oder besser: Ich kann Gutes tun, wenn ich genug Zeit habe, das Gute auch zu „verkosten“, wie der heilige Ignatius sagen würde. Ein Häkchen hinter einem erledigten Punkt meiner To-Do-Liste ist kein Verkosten. Es ist eher wie ein Instantkaffee, den man in einem Zug runterschüttet. Verkosten braucht Zeit. Heute Abend koche ich mir einen Tee und lasse ihn einige Minuten ziehen. In dieser Zeit nehme ich schon mal mein Tagebuch zur Hand, wickle mich in eine warme Decke und setze mich in meinen Lesesessel. Dort schreibe ich auf, was mir am heutigen Tag wichtig war. Das merke ich daran, dass es in mir noch nachklingt. Das können auch manchmal Punkte meiner ToDo-Liste sein. Meistens sind es Begegnungen mit Menschen, die mir noch nachhängen. Bis ich damit fertig bin, ist mein Tee meist lauwarm. Das macht nichts. Dafür ist mein Herz ein wenig wärmer. Warm genug, dass ich Gott danken kann für all das Herzerwärmende. Dann bitte ich noch um Segen und Schutz für die Nacht und den neuen Tag … mit seiner je eigenen To-Do-Liste, die ich aber – aus Prinzip – nie ganz abarbeite. P. Ludger Joos SJ ist nach seiner Ausbildung zum Gymnasiallehrer für die Fächer Theologie, Geschichte und Politik 1996 in den Orden eingetreten. Nach zehn Jahren Seelsorge am Kolleg Sankt Blasien und sechs Jahren als Pfarrer und Cityseelsorger in Göttingen lebt er derzeit in München. Bild links: SJ-Bild, Bild: rechts © a_sto/photocase.com Geistlicher Impuls 22 GEISTLICHER IMPULS
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24 Was macht eigentlich …? P. Johannes Stoffers SJ Seit er 2018 dem Ruf der Päpstlichen Universität Gregoriana folgte, um Erkenntnislehre zu unterrichten, lebt P. Johannes Stoffers SJ in der ewigen Stadt. Seit nunmehr drei Jahren ist der gebürtige Dortmunder zudem Studienpräfekt für die Ausbildungsstätte der Gesellschaft Jesu in San Saba, wo er junge Jesuiten aus Italien, Malta, Rumänien, Spanien, Portugal, Ungarn, Kroatien und Slowenien bei ihren philosophischen Studien begleitet. Im Sommer 2024 wurde er zusätzlich zum Studienpräfekten des Collegium Germanicum et Hungaricum (CGH) ernannt. Das CGH ist eines der ältesten päpstlichen Kollegien in Rom, in dem Priester für mehrere europäische Länder ausgebildet werden. „Meine Hauptaufgabe bleibt die Universität“, betont Stoffers. Die Materie seiner philosophischen Forschung und Lehre sei dabei eigentlich ganz säkular. Dennoch sieht er seine Arbeit als Dienst am Reich Gottes: Viele der Priesteramtskandidaten, Ordensleute, aber auch Laienstudentinnen und -studenten, die seine Kurse besuchen, bereiten sich auf einen kirchlichen Dienst vor. Sie werden, so Stoffers, in der einen oder anderen Weise das Evangelium verkünden. „Diese Menschen kann ich auf einer wichtigen Lebensetappe begleiten und ihnen helfen, das Denken zu weiten und kritisch gegenüber vorgefertigten Meinungen zu werden“, ist er überzeugt. Ein wichtiges Ziel sei es, sensibel für falsche Sicherheiten zu werden und sich gegenüber Anfragen von außen nicht abzuschotten. In San Saba gehe es bei der Begleitung von Scholastikern, also Jesuiten mit Ersten Gelübden in der Ausbildung, unter anderem um die Frage, was es bedeutet, als Jesuit Philosophie zu studieren. Im Unterschied zur ECE-Provinz wird in der EUM-Provinz, die Italien, Malta, Albanien und Rumänien umfasst, größerer Wert darauf gelegt, dass alle Scholastiker nach dem Noviziat gemeinsam wohnen und Bild links: SJ-Bild; Bild rechts: Estrella Virginia Dolores López
25 in San Saba geistlich begleitet werden, auch wenn sie nicht an der Universität tätig sind. Vor kurzem kam nun noch als dritte Wirkungsstätte die Studienpräfektur im Germanicum- Hungaricum hinzu, womit auch ein Umzug in das Kolleg einherging. Dort begleitet Stoffers einerseits die Studien der Seminaristen und jungen Priester, andererseits organisiert er das hausinterne Fortbildungsprogramm, unter anderem Beicht- und Homiletikkurse und Sprecherziehung. Darüber hinaus gehören das gemeinsame Essen, die gemeinsame Messfeier und hin und wieder das gemeinsame Wandern zum Alltag von Stoffers. „Das Wandern hilft mir, vom Arbeitsalltag Abstand zu gewinnen“, meint Stoffers. Einmal in der Woche versucht er, in die Natur zu gehen. Die Leidenschaft fürs Wandern versucht der Jesuit dabei auch pastoral fruchtbar zu machen: Neben dem Unterricht an der Gregoriana bietet er Studentenwallfahrten in der Umgebung Roms mit Zeit für die Stille, das Gebet und den geistlichen Austausch an. Während der Ferienzeiten – zu Weihnachten, zu Ostern und im Sommer – hilft Stoffers regelmäßig in der Seelsorge aus, sowohl in verschiedenen Pfarreien im deutschsprachigen Raum als auch in der Münchner Jesuitenkirche St. Michael. Konrad Glosemeyer SJ und P. Mathias Werfeli SJ Wandern und Wallfahren verbinden: P. Stoffers mit Studierenden in Subiaco „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich an drei Orten drei verschiedene Menschen sein müsste.“
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