Jesuiten 2025-2 (Österreich-Ausgabe)

Ein Lob auf das Lob Wie viel, wie oft, oder besser überhaupt nicht? In Sachen Erziehung und Schule ist das Loben nicht im Trend. Schulseelsorgerin Melanie Dölle erklärt, warum sie es trotzdem nicht lassen kann, das Lob zu loben. War es vor einigen Jahren noch pädagogische Pflicht, Kinder und Jugendliche – wann immer möglich – zu loben, so hat sich dieser Trend schon seit einiger Zeit umgekehrt. In der Ratgeberliteratur über Kindererziehung und Pädagogik ist fast mantraartig zu lesen, dass Lob Abhängigkeiten herstelle, den Erfolge hemme, ja sogar manipulativ in das Leben von Menschen eingreife. Zu viel Loben sorge für Unsicherheiten. Zugegebenermaßen wird hier Lob verstanden als eine Art Bewertung, als eine funktionale Handlung, die erreichen soll, dass sich das gelobte Verhalten wiederhole. Ja, in diesem Sinne ist Lob sicherlich kritisch zu betrachten. In meinem schulischen Bewegungsradius begreife ich Lob aber als etwas grundlegend Anderes: als Anerkennung, Wertschätzung, Würdigung. Und in diesem Sinne kann es gar nicht genug Lob geben. Lob kann ein echter Brückenbauer sein. Wenn ich Lob spende, spüre ich, wie sich mein Gegenüber aufrichtet. Lob schafft Ermutigung und Bestärkung. Wer Lob empfängt, wird gesehen mit dem, was er an Gutem zu geben bereit ist. Auch auf die Gefahr hin, dass dies kitschig oder übertrieben klingen mag, gehe ich, was das Lob anbelangt, sogar noch einen ganzen Schritt weiter. In meinem Horizont kann Lob auch eine spirituelle Dimension aufweisen: Spreche ich jemandem ein aufrichtiges Lob zu, dann verweise ich in diesem Augenblick auf das Gute in diesem Menschen. Ich sehe ihn womöglich wie durch die Augen Gottes hindurch. Mein Lob bekennt dann: Ich sehe etwas in diesem Menschen, das Anlass zur Aufmerksamkeit gibt, und ich freue mich mit ihm – ganz ohne Neid und ohne Verzweckung. Kinder und Jugendliche benötigen Lob. Ja, sie lechzen förmlich danach. Vielleicht besonders auch deshalb, weil unser System Schule oft auf Defizite hin ausgerichtet ist. Schülerinnen und Schüler leben davon, dass sie mit dem gesehen werden, was sie an Ressourcen mitbringen. Ein Lob kann „aufdecken“, welche Stärken vorhanden sind. Bleibt das Lob (dauerhaft) aus, führt dies bald zu Unsicherheiten und hinterlässt ein mangelndes Selbstwertgefühl. Aber auch Eltern wollen gelobt werden! Ich würde sogar behaupten, dass sie es manchmal noch nötiger haben als ihre Kinder. Von wem sollten sie ein Lob zur tagtäglichen Begleitung ihrer Kinder erhalten? Wer honoriert, wer schätzt, wer sieht das, was Eltern ununterbrochen leisten, wenn sie ihr Kind „erziehen“? Lehrkräfte tun aus meiner Erfahrung heraus gut daran, wenn sie – hin und wieder – bei einem Elterngespräch in der Schule das Loben nicht vergessen. Es gibt sicherlich viele Formen des unzureichenden, nicht förderlichen oder inflationären Lobens. Meines Erachtens ist das Nicht-Loben aber dennoch die schlechtere Wahl. Lob kann Bindungen stärken und Wachstum befördern – diese Chance möchte ich nicht verstreichen lassen. Melanie Dölle ist Lehrerin am Canisius-Kolleg in Berlin und unterrichtet Deutsch und Katholische Religionslehre. Sie ist Leiterin der Schulseelsorge und berät Lehrkräfte, Eltern und Schüler. Sie ist selbst Mutter. 17 SCHWERPUNKT

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