Im Grunde bestimmt Ignatius in diesem Zusammenhang einen Begriff von Loyalität. Ist dieser nur strategisch klug formuliert oder gar unkritisch? Das Wort „Loyalität“ kann formal klingen, wie eine Pflicht, die es zu erfüllen gilt. Für Ignatius ist die Kirche allerdings viel mehr als eine Institution, sondern er spricht von der „Mutter Kirche“ und der „Braut Christi“. Auch wenn diese Wortwahl heute befremdlich klingen mag, macht sie darauf aufmerksam, dass der Glaube in Beziehungen gelebt wird. Dies gilt für die Gemeinschaft der Kirche, aber eben auch für die Kirche selbst, in welcher der Glaube gelebt wird. Es geht um etwas Grundlegenderes, um eine Zugehörigkeit und eine Identität. Zu dieser gehören eine positive Einstellung, aber ebenso ein Ringen und ein Streiten. In einer existentiellen Beziehung verfolge ich keine Strategie, kalkuliere nicht zum eigenen Vorteil, sondern ich bringe mich ein, weil es um etwas Wichtigeres und Größeres geht. Wenn dieses allerdings bei den Verantwortlichen in den Hintergrund zu geraten oder sogar verloren zu gehen scheint, dann hat die Kritik ihren Platz und kann sogar Ausdruck von Loyalität sein. Ignatius versucht eine seinerzeit viel diskutierte Balance zwischen dem Wirken göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit zu bestimmen. Inwiefern ist das für Gläubige heute relevant? Die Welt von Ignatius ist nicht mehr die unsere, weshalb wir ihn und die Exerzitien heute in einem anderen gesellschaftlichen Kontext verstehen. Das gilt aber auch für jede Einzelne und jeden Einzelnen. Wie frei und wirkmächtig jemand sich selbst erlebt, kann dabei sehr verschieden sein und zudem in Lebensphasen variieren. Deshalb ist eine Balance zwischen dem Wissen um die eigenen Möglichkeiten und einem Vertrauen auf Gottes Wirken immer wieder neu zu finden. In den Exerzitien kann ich jedoch lernen, dass ein Grundvertrauen auf Gottes Gnade mir eine Freiheit schenkt, die keinen Druck aufbaut, sondern die Einladung enthält, meine Fähigkeiten und Talente in der Nachfolge Jesu zu entfalten. Sollte man den Menschen wieder mehr Furcht vor Gott machen, wie Ignatius es vorschlägt? Furcht sicher nicht, aber im Deutschen können wir ja auch das etwas altertümliche Wort Ehrfurcht verwenden. Wenn wir dieses als Respekt und Anerkennung verstehen, wird die Thematik sehr aktuell. Wir sind herausgefordert, uns für die Menschenrechte, für eine gerechtere Welt und einen verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung einzusetzen. Aus einer gläubigen Perspektive hat dies wesentlich mit Gott und mit unserem Selbstverständnis als Menschen zu tun. Als Menschen können wir Gott gegenüber Ehrfurcht empfinden, die aber – wenn sie keine Furcht sein soll – auf der Erfahrung von Gottes Barmherzigkeit beruhen muss. Diese deutlich und erfahrbar zu machen, ist eine entscheidende Aufgabe für die Kirche. Wofür könnten wir die Kirche mehr loben? Für alles Gute, was in der Kirche geschieht. Für die unzähligen Menschen, die sich für andere einsetzen, für Begegnungen, die in und durch die Kirche möglich werden. Dazu zählt die Gemeinschaft, in der Menschen eine Zugehörigkeit erleben, zu Gott beten und in ihrem Leben präsent erfahren können. Deshalb sind alle Versuche, diese Dimensionen der Kirche deutlicher zu machen, zu unterstützen und zu loben. Interview: P. Fabian Retschke SJ P. Jörg Nies SJ studierte unter anderem in Rom und wirkte als Seelsorger in Leipzig und Stockholm. Aktuell absolviert er in Australien das Terziat, die letzte Ausbildungseinheit der Jesuiten. Glaube wird in Beziehungen gelebt. Bild: © Panka Chirer-Geyer: Verwandlung weiß (Ausschnitt) 9 SCHWERPUNKT
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