• © SJ-Bild/Sylvain Brison (unsplash)
  • P. Ansgar Wucherpfennig SJ vor Studierenden in der Hochschule Sankt Georgen. © SJ-Bild/Christian Ender
  • © SJ-Bild/Kate Remmer (unsplash)
  • © SJ-Bild/Erik Mok (unsplash)
1 / 4

Ansgar Wucherpfennig SJ: Vielfalt eucharistischer Formen anerkennen

Gibt es einen gemeinsamen Ursprung der verschiedenen eucharistischen Traditionen? Und welche normative Bedeutung hätte er heute? Diese Fragen stellt sich der Frankfurter Neutestamentler Ansgar Wucherpfennig in seinem neuen Buch und wagt dabei einen "Blick zurück nach vorn". Im Interview mit katholisch.de spricht er darüber, dass Einheit und Vielfalt in der frühen Zeit des Christentums kein Widerspruch waren. Ausgehend vom biblischen Zeugnis könne die Kirche daher nicht nur andere Traditionen freimütiger anerkennen, sondern habe auch die Freiheit, in der Amtsfrage eine neue Praxis zu entwickeln.

Frage: Herr Wucherpfennig, am Montag ist Ihr neues Buch erschienen. Es trägt den Titel "Wie hat Jesus Eucharistie gewollt?" Verraten Sie uns, was Jesus wollte?

Wucherpfennig: (lacht) Dann müsste man das Buch ja nicht mehr lesen. Aber eins kann ich auf jeden Fall sagen: Er wollte sie nicht in der Einheitlichkeit ihrer heutigen Form. Überhaupt ist die Form, glaube ich, nicht das Entscheidende, sondern der inhaltliche Fokus auf die Auferstehung. Denn als Auferstandener ist Jesus den ersten Christinnen und Christen beim Mahl begegnet. Insofern war die Eucharistie von Anfang an eine Dankfeier für die Auferstehung und als solche offen für Entwicklungen und verschiedene Situationen, in denen die Mächte des Todes erfahren wurden. Sie ist der Dank dafür, dass Gott in den verschiedensten Situationen des Lebens mächtig ist.

Frage: Hat die Eucharistie ihren Ursprung denn nicht im Letzten Abendmahl?

Wucherpfennig: Doch, das schon. Ihr Ursprungsimpuls geht auf den irdischen Jesus und auf sein Mahlhalten zurück, das in dem Abschiedsmahl mit seinen Jüngern kulminiert. Aber ihre bleibende Bedeutung erhält die Eucharistie durch die erfahrene Gegenwart des Auferstandenen.

Frage: In Ihrer Untersuchung beginnen Sie bei den verschiedenen Eucharistietraditionen des zweiten Jahrhunderts und arbeiten sich über die biblischen Zeugnisse zurück bis zur Gestalt Jesu. Welchen Zweck hat diese umgekehrte Chronologie?

Wucherpfennig: Für mich waren zwei Entdeckungen wichtig: Die eine ist, dass die Eucharistie von Anfang an mit Essen und Trinken zu tun hatte, und damit nicht nur ein ritualisiertes Mahl gewesen ist, sondern ein wirkliches Mahl, bei dem gegessen und getrunken wurde. Die gesellschaftlichen Differenzen sollten überwunden werden, alle sollten satt werden. Damit zusammen hängt ein anderer Punkt, nämlich dass mit der Eucharistie auch ein Bezug zur Schöpfung und ihrer Bewahrung gegeben ist. Diese Inhalte wären nicht so deutlich in den Blick getreten, wenn ich in normaler Reihenfolge vorgegangen wäre. Mit der umgekehrten Chronologie konnte ich die theologische Vielfalt der Zeugnisse stärker hervorheben.

Frage: Sie haben die soziale Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung als Aspekte der Eucharistie angesprochen. Was leiten Sie aus diesen politischen Komponenten für die heutige Feier der Eucharistie ab?

Wucherpfennig: Ich glaube, dass es für die Einheit der Christen ein wichtiges Moment wäre, wenn wir gemeinsam das Mahl feiern könnten. Das würde uns auch in den politisch und ökologisch bedrängenden Situationen, die eben immer schon in der Eucharistie mitangeklungen sind, eine größere Überzeugungskraft geben. Wenn das Mahl als Verbindendes und nicht als Trennendes wahrgenommen würde, hätte der gesellschaftliche Einsatz der Konfessionen weltweit ein viel größeres Gewicht.

Frage: Auch der Ökumenische Arbeitskreis argumentierte mit seinem Votum "Gemeinsam am Tisch des Herrn" von 2019 in diese Richtung einer größeren eucharistischen Vielfalt. Das konservative Gegenargument dazu lautete, man müsse sich erst über die theologischen Fragen einig sein, bevor man die praktischen lösen kann. Wie antworten Sie aus der Perspektive Ihrer Untersuchung darauf?

Wucherpfennig: Der Punkt ist ja, dass die Vielfalt der eucharistischen Formen in den ersten beiden Jahrhunderten grundgelegt ist. Die frühkirchlichen Zeugnisse geben uns eine Vielzahl der Überzeugungen vor, die mit diesem Mahl verbunden waren. Andere Formen der Eucharistie wurden offensichtlich nicht als Widerspruch zum eigenen Mahl wahrgenommen. Und deshalb plädiere ich – oder auch der Ökumenische Arbeitskreis in seinem Papier – dafür, dass diese Vielfalt auch heute Anerkennung finden müsste. Die sichtbare Einheit der Kirche ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt vielleicht theologisch noch nicht erreichbar. Aber sie ist so weit hergestellt, dass ein gemeinsames Feiern im Sinne einer eucharistischen Gastfreundschaft meiner Meinung nach möglich ist.

Frage: Wie erklären Sie sich, dass ausgerechnet in der zeitlichen Nähe zum geschichtlichen Ursprung eine so große Pluralität vorherrschend war?

Wucherpfennig: Das liegt, glaube ich, am biblischen Verständnis von Pluralität. Es hat zum Beispiel eine ganze Zeit gedauert, bis überhaupt ein Problem darin gesehen wurde, dass sich die vier Evangelien zum Teil beträchtlich unterscheiden. Die biblische Vorstellung von Einheit ist eben von Anfang an eine, die nicht Uniformität bedeutet, sondern Pluralität ermöglicht. Ich denke, das hängt mit den jüdischen Wurzeln in der Bibel zusammen. Denn auch im Talmud oder in anderen jüdischen Quellen ist es oft so, dass die verschiedenen Lehrmeinungen nebeneinander wiedergegeben werden, ohne dass eine Einigung gesucht wurde. Das ist eigentlich ein späteres, vor allem westlich geprägtes Denken, das immer die Synthese sucht und die Spannung auflösen will.

Frage: Steht dann hinter den heutigen Bestrebungen, die "echte" Eucharistieform festzuhalten, die Angst, das Eigentliche zu verlieren?

Wucherpfennig: Vielleicht auch, aber das wäre nicht meine erste Vermutung. Ich glaube vielmehr, dass hier das Interesse an einem theologischen Profil dahintersteht. Und das kann ich zum Teil sogar verstehen: Es geht ja nicht darum, einfach nur Pluralität festzustellen, sondern es geht darum, in dieser Vielfalt ein gemeinsames theologisches Profil zu erkennen. Nur würde ich das eben inhaltlich definieren und nicht über die Form. Das versuche ich dem Buch unter anderem herauszuarbeiten.

Frage: Sie machen an verschiedenen Stellen deutlich, dass sich in der eucharistischen Tradition möglicherweise auch Frauen verbergen könnten. Sie verweisen etwa auf eine exegetische Linie, die in der Emmauserzählung eine Frau vermutet. Warum sind Ihnen diese Hinweise so wichtig?

Wucherpfennig: Ich möchte mit diesen Stellen deutlich machen, dass die Kirche nach meinem Eindruck die biblisch gestützte Freiheit hat, in der Amtsfrage eine neue Praxis zu entwickeln. Und da ist mir von den Quellen her wichtig, dass vor allem der Aspekt der Verkündigung einen größeren Stellenwert bekommt. Paulus schreibt: Sooft ihr dies tut, verkündet ihr den Tod Jesu – und damit meint er natürlich nicht nur den Tod, sondern auch die Auferstehung. Das Mahl ist für ihn vor allem Verkündigung. Demgegenüber ist der Stellenwert, den die Verkündigung heute hat, eine Verarmung.

Frage: Angenommen man könnte beweisen, dass einer der beiden Emmausjünger eine Frau war. Welche Konsequenzen hätte das für die Rolle der Frau in der Kirche?

Wucherpfennig: Langsam, langsam. Ich glaube, dass es vor allem unser Verständnis von Eucharistie und der Emmauserzählung deutlich verändern würde. Die Vorstellung, dass das zwei Männer waren, hat sich sehr in unser Bild von Eucharistie eingebrannt. Das griechische Maskulinum setzt aber gar nicht voraus, dass da nur Männer waren. Und das finde ich vor den theologischen oder praktischen Schlussfolgerungen, die man daraus ziehen kann, eine wichtige Erkenntnis. Es ist gut möglich, dass in den Bibeltexten Frauen wesentlich präsenter sind, als sich das viele für gewöhnlich vorstellen. Wenn sich diese Wahrnehmung ändert, kann ich mir vorstellen, dass sich auch die Bereitschaft ändert, amtstheologische Fragen anders zu denken.

Frage: Größere Aufmerksamkeit fordern Sie auch, was die Verwendung des Begriffs "Opfer" in der Messe betrifft, und verweisen dabei auf die Betroffenen von sexueller Gewalt. Können Sie diesen Zusammenhang erläutern?

Wucherpfennig: Betroffene sexualisierter Gewalt tun sich einfach sehr schwer mit der Vorstellung der Eucharistie als Opfer. Diese Vorstellung ist aber in der liturgischen Terminologie noch sehr verbreitet. Ich glaube durchaus, dass man den neutestamentlichen Texten eine sinnvolle Vorstellung von Opfer abgewinnen kann. Aber die braucht eine starke Vermittlung und müsste noch besser in Richtung einer freiwilligen Lebenshingabe formuliert werden. Gleichzeitig könnte man den Aspekt der Fülle, der im Mahlbegriff steckt, stärker betonen.

Frage: Vor Kurzem hat Papst Franziskus mit einem Motu proprio die Feier der vorkonziliaren Messe eingeschränkt. Wenn man von Ihrem Verständnis ausgeht, dass die Eucharistie immer sehr vielfältig war, wie positionieren Sie sich dann zu dieser Entscheidung?

Wucherpfennig: (lacht) Also ich glaube, die Gründe, die Papst Franziskus hatte, hängen nicht unbedingt mit der Vielfalt zusammen, sondern liegen darin, dass die Feier des Alten Ritus oft mit theologischen Vorstellungen verbunden ist, die sich nicht mit dem Zweiten Vatikanum vereinbaren lassen. Wo es diesen Widerspruch nicht gibt, kann ich mir gut vorstellen, dass der Tridentinische Ritus Möglichkeiten bietet, spezifische Aspekte im Sinne einer eucharistischen Vielfalt zu betonen. Da sehe ich keine Schwierigkeit. Aber in dieser Verbindung bestimmter reaktionärer Vorstellungen mit dem Ordo liegt das Problem.

Frage: Was wünschen Sie sich, dass Ihr Eucharistiebüchlein, das sich ja nicht nur an ein theologisches Fachpublikum richtet, für eine Auswirkung haben sollte?

Wucherpfennig: Ich wünsche mir, dass es ökumenisch weitergeht – und zwar vor allem mit der evangelischen Kirche. Und dass die katholische Kirche sich freut über die Tradition, in der sie steht, und aus dieser Freude die Angst überwindet, ihr theologisches Profil zu verlieren, wenn sie sich auf mehr Pluralität einlässt. Spirituell gesehen wünsche ich mir aber auch, dass Christinnen und Christen wieder stärker wahrnehmen, dass das eucharistische Mahl wirklich etwas mit Essen und Trinken zu hat.

Von Moritz Findeisen, katholisch.de

Newsletter

Das Magazin „Jesuiten“ erscheint mit Ausgaben für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Bitte wählen Sie Ihre Region aus:

×
- ×