Auf der Suche nach dem Schönen, Wahren, Guten

Die Wirklichkeit, in die wir hineingestellt sind, ist nicht immer so, wie wir es gerne hätten oder bräuchten. Frisch angekommen in Genf frage ich mich: Was willst du hier, ausgerechnet jetzt, in diesem Corona-Hotspot, mitten im Shutdown, ohne eine konkrete Aufgabe? «Gott suchen und finden in allen Dingen» lautet eines der Grundworte der ignatianischen Spiritualität. Damit starte ich in die neue Woche.

«Wo immer du hingehst, Jesus geht dir voraus». Diese Zusage meines Mitbruders, Weihbischof Peter Henrici SJ, aus seiner Predigt anlässlich meiner Priesterweihe 2004 hat mich in diesen Tagen meines Umzugs nach Genf mehr denn je begleitet. Sie wurde zur Antwort auf die Frage vieler meiner Freunde: Was willst du in Genf, ausgerechnet jetzt, in diesem Corona-Hotspot, mitten im Shutdown, ohne eine konkrete Aufgabe? 

Die Frage ist aus menschlicher Sicht verständlich und ich habe sie mir in den letzten Wochen und Monaten auch selber oft genug gestellt. Wir haben das natürliche Bedürfnis, den Sinn einer Sache zu verstehen. Dinge zu akzeptieren, deren Sinn wir erst einmal nicht erfassen, fällt uns schwer. Das gilt für natürliche Schicksalsschläge, aber mehr noch für Entscheidungen anderer Menschen, die uns direkt betreffen. Doch ob wir das nun wollen oder nicht, solche Situationen werden wir immer wieder antreffen. Sie fordern uns heraus, loszulassen, zu vertrauen, hinzuhorchen und zu gehorchen.

Die Wirklichkeit, in die wir hineingestellt sind, ist nicht immer so, wie wir es gerne hätten oder bräuchten. Wir können diesen Umstand beklagen und versuchen, uns dagegen aufzulehnen. Oder wir können versuchen, sie so anzunehmen, wie sie ist, und gerade in dieser gegebenen Wirklichkeit auf die Gegenwart Gottes zu vertrauen. «Gott suchen und finden in allen Dingen» lautet eines der Grundworte der ignatianischen Spiritualität. 

Es ist eine Frage der inneren Ausrichtung, wie ich die Dinge sehe. Ich kann mich stören an der ungewohnten Lärmbelastung im Zentrum von Genf, an der Öde der Hinterhöfe unter meinem Fenster oder am Zigarettengeruch in meinem Bad aus der Wohnung unter mir. Oder ich kann mir bewusst machen, was für ein Privileg es ist, mitten im Herzen einer Stadt mit chronischer Wohnungsnot in einer grossen Wohnung ein dreissig Quadratmeter grosses Zimmer mit eigenem Bad und Blick auf die Jurakette und unseren Kirchturm zu haben. 

Diese innere Ausrichtung hängt ab von meiner Stimmungslage, aber mehr noch von meiner Entscheidung. In den Regeln zur Unterscheidung der Geister lädt uns Ignatius von Loyola ein, jeweils unsere Grundstimmung zwischen Trost und Mistrost wahrzunehmen und zu benennen. Das schafft eine innere Distanz und Freiheit, die es erlaubt, bewusst einen positiven Blick zu wählen und – um es mit Thomas von Aquin auszudrücken – in allem nach dem Schönen, Wahren und Guten zu suchen. 

Diese «Suche nach dem Schönen, Wahren und Guten» ist auch das Grundmotiv des Magazins Melchior, dessen Lektüre mich seit Jahren immer wieder inspiriert und motiviert. Das ebenso kreativ wie sorgfältig gestaltete Magazin ist ein Produkt junger katholischer Erwachsener aus Österreich und der Schweiz und erscheint zweimal jährlich. Von Schweizer Seite wird es von Magdalena Hegglin und Martin Iten aus Zug redaktionell betreut. Das Besondere an Melchior ist, dass es kaum explizit von Gott spricht, sondern einlädt, in der Begegnung mit Menschen und ihren Schicksalen, Lebensformen und Gedanken nach den Spuren der Gegenwart Gottes zu suchen. 

Die jüngste Nummer des Melchior hat «Gemeinschaft» als Grundthema. Das Thema hat eine besondere Relevanz, wenn man in eine weitgehend fremde Stadt zieht, in der man kaum jemanden kennt und in der gemeinschaftliche Aktivitäten coronabedingt weitgehend eingestellt sind. Umso wichtiger wurde und ist für mich in diesen Tagen das bewusste Wahrnehmen und Verkosten der konkreten Formen von Gemeinschaft, die mir geschenkt werden: der Empfang durch meine Mitbrüder und der rege Austausch mit ihnen, die spontane Einladung durch eine befreundete Familie, aber auch das freudige Staunen darüber, dass man beim Wandern am Ufer der Rhone am Rande der Stadt von vielen Menschen angeschaut und gegrüsst wird. 

In diesen Begegnungen mit Menschen, die mich immer wieder durch ihre Zu-Fälligkeit überraschen, wird die Zusage von Weihbischof Henrici SJ für mich in dieser Zeit des Umzugs und Neuanfangs konkreter denn je. Jesus ist tatsächlich immer schon da und ich bin eingeladen, mich nach ihm auszurichten, um ihn zu suchen und zu finden. Und ein Weg dahin ist die Suche nach dem Schönen, Wahren und Guten gerade auch da, wo es erst einmal gar nicht um Gott zu gehen scheint. In dieser Suche wird sich auch allmählich die Antwort auf die Frage erschliessen, warum ich da bin, wo ich bin, hier und heute. Und dass es gut ist so.

Zur Person:

Pater Altenbach lebt und arbeitet als Gefängnisseelsorger und Priester, der Projekte der Jugendpastoral begleitet, in Genf. Beat Altenbach SJ wurde 1965 in Basel geboren und trat 1996 nach einem Chemiestudium an der Universität Basel und einem Doktorat an der Technischen Hochschule Zürich in den Jesuitenorden ein. Nach dem Studium der Philosophie in München und der Theologie in Paris arbeitete er als Universitätsseelsorger in Zürich und Basel sowie als Leiter des Bildungszentrums Notre-Dame de la Route in Fribourg. Beat Altenbach SJ engagierte sich in der Begleitung und Ausbildung in den Exerzitien und leitete ignatianische Exerzitien auf Deutsch und Französisch. Er ist ein leidenschaftlicher Anhänger und Kenner der Spiritualität von Etty Hillesum. Seit Ende 2020 lebt er in Genf, wo er Oberer der Gemeinschaft der Jesuiten in der Romandie ist, die die Mitbrüder in Fribourg, Lausanne und Genf umfasst. Seit 2018 vertritt er die Orden in der Expertenkommission für sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld der Schweizerischen Bischofskonferenz, und seit Juni 2023 ist er Mitglied des Bischöflichen Präventionsrats der Diözese Lausanne, Genf, Fribourg.

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