Essen ist tiefster Ruhrpott. Aber jeden Tag wirkt im Abuna Frans Haus die Botschaft von Weihnachten, und Ludger Hillebrand SJ fühlt sich wie in Betlehem:
"Da! Ich stehe an der Tür und klopfe.
Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet,
zu dem trete ich ein und
esse mit ihm und er mit mir." (Offb 3,20)
Pater Lutz Müller und ich leiten seit 20 Monaten das Abuna-Frans-Haus, eine Wohngemeinschaft von acht Geflüchteten und uns Jesuiten. Zwei Mitbewohner kamen quasi von der Straße. Vorweg ein kurzes Gespräch am Telefon, mit der Person, die sie aufgesucht haben. Notsituation! Also Zimmer geputzt und gesaugt, Bett gemacht, Handtücher ausgelegt, aufgenommen. Warum sie auf der Straße gelandet waren, wussten wir anfangs nicht. Wir haben einfach die Tür aufgemacht und einen Tee mit ihnen getrunken.
Die Lebensgeschichte all unserer Mitbewohner erfahren wir nach und nach. Einer erzählte sie uns erst nach über einem Jahr. So lange brauchte er, um Vertrauen zu uns zu gewinnen. Zwei Stunden des Erzählens für über drei Jahre der Flucht von Afrika über Griechenland bis zu uns. Wir fragen normalerweise nicht nach den Fluchtursachen und dem genauen Weg nach Deutschland. Wir warten adventlich, was kommt und helfen, wo Hilfe angefragt wird.
Der eine ehemals obdachlose Syrer klopfte spätabends an meine Tür. Er wollte sprechen. Er konnte damals fast kein Deutsch, ich spreche kein arabisch. Ich sagte ihm deutlich, dass ich ihn nicht verstehe. Das war ihm egal. Er redete unter Tränen. Einfach drauflos und ich hörte so weit zu wie es ging. Was lerne ich daraus? Ich verstehe nicht alles, kann gar nicht alles verstehen, muss wahrscheinlich auch nicht alles verstehen. Einfach Dasein, die Tür öffnen, dem anderen zugewandt sein, ist schon Licht im Dunkel dieser Welt.
Im Weihnachtsevangelium nach Johannes kann man lesen: "Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf." Die Grenzen wurden in den vergangenen Jahren dichter, höher, unüberwindbarer gemacht. Unser christlich geprägtes Europa lässt Afrikaner im Mittelmeer ertrinken und kooperiert mit Diktatoren, damit niemand unerwartet vor unseren Türen steht. Als viertgrößter Waffenexporteur verdienen wir viel Geld mit vielen Kriegen. Und wundern uns, warum Menschen zu uns fliehen.
Im Jahr 2016, dem immer wieder zitierten Höhepunkt der angeblichen Flüchtlingskrise, kam etwa ein Flüchtling auf hundert Deutsche. Umgerechnet heißt das, dass der einzelne Deutsche nur noch 99% seines Frühstücks essen konnte! Welch ein Drama! Und inzwischen sind viele von ihnen schon wieder abgeschoben worden, zurückgereist, oder zu Familien in anderen EU-Staaten gezogen. Die Abschottungs- und Abschiebepolitik zeigt Wirkung.
Was passiert mit den Flüchtlingen, die zu uns ins Haus kamen? Einer, ein Bauingenieur aus Syrien, fand eine Arbeit als Bauingenieur in Essen. Ein junger Mann aus Guinea macht eine Bäckerlehre; ein weiterer eine Lehre als Restaurantfachkraft. Alle anderen machen Sprachkurse und nehmen an Qualifizierungskursen für ihre zukünftige Arbeit teil.
Und wir, die wir mit der Hilfe von Gemeinden und Orden und ungezählten Ehrenamtlichen für acht Menschen die Tür geöffnet haben? Wir begegnen schweigsamen und redegewandten, jungen und alten Männern. Einer unserer Mitbewohner heißt Jesus, zwei heißen Mohamed und einer Josef. Nach Monaten des Zusammenlebens verstehen wir uns immer besser und müssen nicht mehr so oft nachfragen. Interreligiöses und internationales Zusammenleben braucht Zeit und viel Geduld. Auf dem Weg genießen wir das gemeinsame Essen aus den Kulturräumen von Afrika und Arabien.
"Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben." Wie Kinder verstehen wir vieles nicht in all seiner Tiefe, Dramatik und Tragik. Aber wie Kinder freuen wir uns, wenn der Mitbewohner aus dem Kongo dem aus dem Libanon hilft. Und wenn ein junger Mitbewohner das Internet ruhen lässt und mit einem alten einkaufen geht. Viele kleine wirksame Lichter. Wie in Bethlehem. Halleluja.