COMECE-Präsident Hollerich sieht "reale Gefahr" für EU

Köln (KNA/r) - Vor einer "realen Gefahr" des Auseinanderbrechens der EU warnt der Präsident der EU-Bischofskommsission COMECE, Erzbischof Jean-Claude Hollerich SJ. Die Fragen der Flüchtlingspolitik erforderten von den Mitgliedsstaaten viel Fingerspitzengefühl im Umgang miteinander, sagte der Jesuit dem Internet-Portal domradio.de in Köln. Es brauche Demut im Zuhören und den Versuch, das Gegenüber erst einmal zu verstehen. So sei man etwa in westeuropäischen Staaten gewohnt gewesen, Menschen aus anderen Kulturen aufzunehmen. Nicht so in osteuropäischen Ländern, die diese Erfahrung nie gemacht hätten.

"Wo für uns das Nationale eine Bedrohung ist und oft an die schlechten Zeiten der Vergangenheit erinnert, ist das Nationale bei vielen Ländern Mittel- und Osteuropas ein Momentum der Freiheit und der Unabhängigkeit gegenüber der Sowjetunion." Solche Länder müssten die nationale Einheit erst einmal feiern, erläuterte der COMECE-Präsident. "Sie empfinden dann manchmal, dass Brüssel dazwischenfunkt."

Es sei tragisch, dass so viele Menschen im Mittelmeer ertrinken, so Hollerich. "Da verliert Europa sicher einen Teil seiner Seele." Ebenso liege eine Tragik darin, dass man Leute, die helfen wollten, vor Gericht stelle. Wenn man dem Kapitän eines Rettungsschiffes den Prozess mache, müsse ein Aufschrei durch Europa gehen, so der Erzbischof. Der Kapitän des Rettungsschiffes "Lifeline", Claus-Peter Reisch, ist in Malta angeklagt, weil er Ende Juni 234 vor der libyschen Küste gerettete Flüchtlinge in einer mehrtägigen Odyssee in das Land gebracht hat.

Hollerich forderte einen "Marshall-Plan" für Afrika. Solange der Kontinent wirtschaftlich nicht stabil sei, werde es "Massen an Flüchtlingen" von dort geben. Es gelte, Strukturen gegen die Korruption in afrikanischen Ländern zu schaffen. Zudem müsse China überzeugt werden, bei einer Lösung zu helfen. Das Land sei sehr einflussreich in Afrika.

Als Aufgabe der Kirche bezeichnete es der Erzbischof, Politiker dazu aufzurufen, "mehr auf ihr Gewissen zu hören und auf Moral und Ethik zu achten". Kirche müsse für Dialog innerhalb der Union eintreten - auch da, wo dieser unmöglich erscheine, so Hollerich. "Wenn wir den Dialog aufgeben, verliert Europa." Die Kirche könne Anreize und Motivationen geben, die Politik aber nie ersetzen.

Jean-Claude Hollerich ist 1958 in Differdange/Luxemburg geboren und 1981 in den Jesuitenorden eingetreten. Nach seinen Studien, die er u.a. in Frankfurt-Sankt Georgen und München absolvierte, war er in Japan als Deutsch- und Französischdozent tätig, zuletzt war er Vizerektor der Sophia-Universität in Tokio. 2011 wurde er Erzbischof von Luxemburg. Im März 2018 wurde er Nachfolger von Kardinal Reinhard Marx als Präsident der EU-Bischofskommsission COMECE.

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