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Corona und ein spezielles Abendessen

Wofür kann man dieses Jahr dankbar sein? Für Markus Inama SJ wurde der für viele unsichtbare Corona-Virus Realität. In einem persönlichen Resümee seines Jahres sammelt er die Momente, die zeigen, wofür er alles trotzdem dankbar sein kann.

Seit ich wieder in Wien lebe, begegne ich ab und zu alten Bekannten. Zum Beispiel einer Freundin, die ich in den späten achtziger Jahren in den Wiener Caritashäusern kennen gelernt und jahrelang aus den Augen verloren hatte. Um zu beschreiben, wie sich mein Leben anfühlt, erzählte ich ihr, dass ich meinen Kalender zurzeit zweimal mit Terminen füllen könnte. Als berufstätige Ärztin und vierfache Mutter hatte sie Verständnis dafür. Diese Realität änderte sich für mich beim ersten Lockdown abrupt. Mir waren nur mehr wenige Aktivitäten erlaubt. Meine Außenkontakte musste ich auf ein Minimum reduzieren. Mein Fokus richtete sich auf die Gemeinschaft von zwölf Jesuiten, in der ich lebe. Obwohl ich bereits vor zwei Jahren nach Wien übergesiedelt bin, hatte ich jetzt erst das Gefühl, so richtig angekommen zu sein. Jeden Abend machte ich einen Spaziergang durch einen Teil der Innenstadt, der mir bis dahin völlig unbekannt war.

Während dem ersten Lockdown im Frühjahr hatten wir in unserer Kommunität viel darüber diskutiert, was aus dieser Krise – außer dem neuen Wortschatz aus dem Bereich der Immunologie – zu lernen sei. Forscher*innen haben das Virus studiert und – so wie es ausschaut – wirksame Impfstoffe entwickelt. Ob es auch in anderen Bereichen einen Fortschritt geben wird? Werden die sozialen und ökologischen Probleme, die durch die Pandemie deutlicher hervorgetreten sind, wirklich angegangen werden? Oder werden bestimmte Berufsgruppen, die während der Krise im Kleinen Großes geleistet haben, nach der Krise mehr wertgeschätzt? Manchmal hilft ein ehrlicher Blick in den Spiegel, um etwas zu verändern.

Anfang Oktober reiste ich zweimal nach Osteuropa, um Sozialprojekte zu besuchen. Bei der Rückkehr am Wiener Flughafen lieferte ich jeweils einen negativen Corona-Test ab. Ende Oktober war es dann aber soweit. Ich hatte Symptome: Schüttelfrost, Gliederschmerzen und Fieber. Mein dritter Test war positiv und es begann eine zehntägige Quarantäne. Die Frage, wo ich mich angesteckt hatte, konnte nicht sicher beantwortet werden. Die Frage, ob und wie viel andere Menschen ich angesteckt hatte, schon eher. Bei den beiden Mitbrüdern, die höchstwahrscheinlich ich infiziert hatte, spürte ich keinerlei Vorwürfe. Darüber und über deren und meinen leichten bis moderaten Verlauf war ich froh und dankbar.

Nachdem ich meine zehntägige Quarantäne beendet hatte, fühlte ich mich zwar noch schwach, aber ich wollte unbedingt wieder unter Menschen gehen. Es traf sich gut, dass meine Schwester und mein Schwager auf Wien-Besuch waren. Wir trafen uns in einem Restaurant in der Innenstadt. Es war der Abend des zweiten Novembers. Während wir noch aßen, wurde das Licht im Lokal gedimmt. Der Inhaber versperrte die Tür und erzählte von dem Terroranschlag im Stadtzentrum. Die Ungewissheit und das Warten begannen. Was, wo genau passiert war, war nicht in Erfahrung zu bringen. Nach Mitternacht zogen wir mit 30 anderen Gästen in eine Dienstwohnung, die sich unmittelbar über dem Restaurant befindet. Ich legte mich auf den Fußboden und deckte mich mit einer Kinderdecke zu, die gerade einmal für meine Beine reichte. Schlafen konnte ich nicht. Als ich schließlich um 3:00 Uhr in der Früh, meine Schwester und meinen Schwager ins Hotel gebracht hatte und in unser Haus neben der Jesuitenkirche zurückkehren konnte, war ich heilfroh. Vier unschuldige Menschen hatten den Vorabend im Gegensatz zu uns nicht überlebt.

Viele Momente des Leids und des Haderns dieses Jahr, die mich trotzdem dankbar stimmen lassen.

Zur Person:

Markus Inama SJ

Pater Inama wurde 1962 in Vorarlberg geboren. Er war als Leiter eines Obdachlosenheims in Wien tätig. 1987 trat er in den Jesuitenorden ein. Von 1995 bis 2008 arbeitete er im Bereich der offenen Jugendarbeit in Wien und Innsbruck. Danach übersiedelte er nach Bulgarien und engagierte sich in Sofia im Rahmen der CONCORDIA-Sozialprojekte für Kinder und Jugendliche, die auf der Straße und in Armenvierteln lebten. Seit 2009 ist er Mitglied des Vorstands von CONCORDIA-Sozialprojekte. Von 2012 bis 2018 war er Rektor des Jesuitenkollegs in Innsbruck und seither ist er Superior der Jesuiten in Wien. Seit 2022 ist er Ausbildungsdelegat der Provinz, außerdem stellvertretender Rektor der Jesuitenkirche in Wien.

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