• Blanca Gracia Gutiérrez

Corona: Wie der Glaube einer Ärztin hilft

Blanca Gracia Gutiérrez ist Ärztin in Spanien und engagiert sich in der ignatianischen Laienbewegung "Gemeinschaft Christlichen Lebens" (GCL). Das spanische Online-Magazin „Revista ecclesia“ hat sich mit ihr zu einem Interview getroffen, um mit ihr über ihre Arbeit auf der Intensivstation in Corona-Zeiten zu sprechen.

Es sind harte Tage, die für die Krankenhausangestellten sehr lange dauern, aber die Müdigkeit hält sie nicht auf. Sie heißt Blanca Gracia Gutiérrez, ist 31 Jahre alt und kommt aus Zaragoza. Sie arbeitet als Intensivmedizinerin in zwei Krankenhäusern in Madrid und ist Mitglied der Gruppe "Padre Arrupe" der Gemeinschaft Christlichen Lebens (GCL) in La Ventilla in Madrid. Ihr Engagement und ihre Hingabe, die in einer tiefen Erfahrung Gottes wurzeln, machen es ihr leicht, auch dieses Interview bereitwillig zuzusagen und Zeugnis zu geben. Denn Covid-19 hat die Zeit angehalten, hat das Leben ausgebremst und, obwohl wir immer noch nicht glauben können, was gerade passiert, ist eins klar: all dies ist real. Während sie zusammen mit unzähligen Pflegekräften, Ärztinnen und Ärzten, unermüdlich weiterarbeitet, reflektiert sie im Interview mit „Revista Ecclesia“ zugleich sehr tiefgehend, was passiert:

Wir erleben im Moment sehr schwierige Zeiten mit einer Fülle an Nachrichten. Behandelst Du zur Zeit direkt Covid-19-Patienten in den Krankenhäusern, in denen Du arbeitest?

Ja, jeden Tag. Im Moment sind etwa 80 Prozent unserer Patienten Covid-19 Patienten. Wir mussten die Anzahl der Betten für Patienten in kritischem Zustand erhöhen. Die acht Intensivbetten, die wir hatten, sind jetzt alle mit Covid-19-Patienten belegt. Drei Intensivbetten für Patienten ohne Covid-19 wurden in eine andere Station verlegt. Auf einer weiteren Station gibt es nochmal fünf Betten für Covid-19-Patienten, die in den nächsten Tagen belegt werden. Und uns bleiben nur drei Beatmungsgeräte. So viele Patienten brauchen im Moment Intensivbehandlung, sodass das System zusammenbricht. Die Prognose für die Personen, die älter sind und Vorerkrankungen haben, ist düster. Ihre Röntgenbilder zeigen, dass ihre Lungen so ganz und gar von Lungenentzündung befallen sind, dass sie ersticken und nicht atmen können. Kein Medizinhandbuch sagt Dir, welche Patienten diese Krankheit überstehen können und worin eine Intensivbehandlung unter diesen Vorzeichen bestehen könnte.

Vielen Menschen wird gesagt, dass sie sich zuhause in Quarantäne begeben sollen, wenn sie Symptome haben. Wenn solche Fälle in die Notaufnahme kommen, was macht man dann?

Je nach Symptomen und deren Schwere gibt es im Wesentlichen drei Möglichkeiten. Wenn die Symptome leicht sind, jedoch möglicherweise Covid-19 vorliegt, dann sollen sie sich wieder zuhause in Quarantäne begeben. Wenn sie ein schwerwiegendes Symptom haben, wie ständige Müdigkeit oder Fieber, machen wir ein Röntgenbild des Brustkorbs und einen Covid-19-Test. Einige von ihnen bleiben im Krankenhaus, und andere werden mit Medikamenten versorgt und wieder nach Hause in Quarantäne geschickt. Patienten, die schon in sehr ernstem Zustand zu uns kommen, d.h. mit extremer Schwäche, einer Lungenentzündung, die sich stark auf beide Lungenflügel niederschlägt, und mit niedriger Sauerstoffsättigung, verlegen wir direkt auf die Intensivstation. Im Normalfall kommen die Patienten jedoch zunächst auf eine Normalstation. Oft verschlechtert sich deren Zustand erst einige Tage nach der Einlieferung. Von einem Tag auf den andern verschlechtert sich der Zustand der Lungen.

Was bedeutet Dir der Applaus, den die Menschen jeden Tag um 20 Uhr geben?

Der hilft mir sehr. Vor einigen Tagen kam ich sehr müde und sehr bedrückt nach Hause… Dieser Applaus hat mir neuen Mut gegeben. Außerdem war es der Geburtstag einer Nachbarin, und die ganze Straße hat ihr ein Geburtstagsständchen gesungen.

Niemals zuvor wurde Eure Arbeit so wertgeschätzt wie jetzt. Wie blickst Du im Moment auf Dich und auf Deine Kollegen?

Im Moment fühle ich mich überwältigt von der Anzahl der Patienten, die ich jeden Tag sehe, oft sehr allein, denn es bleibt keine Zeit, um sich mit Kollegen über Zweifel oder neue Informationen auszutauschen. Aber das Schlimmste sind die Dienste. In einem der Krankenhäuser bin ich alleine zuständig für 15 Covid-Patienten, plus die drei, die im Moment zusätzlich auf der Intensivstation sind, und zusätzlich für alle Intensivnotfälle von der Normalstation. Ich habe das Gefühl, dass ich sehr viel Verantwortung habe, und es fühlt sich so an, als würde ich in den Krieg ziehen. Jeden Tag muss man entscheiden, jemanden nicht auf die Intensivstation zu verlegen, jemanden, den man vielleicht unter anderen Umständen dorthin verlegt hätte.

Es ist erschütternd, dass die Leute alleine sterben.

Das ist das Schlimmste - die Familien der Verstorbenen per Telefon informieren zu müssen …. [Stille]. Ich muss sagen, dass die Familien sehr verständnisvoll sind. Wenn Du eine Familie informierst, dass Du den Patienten intubieren musst, sagen manche: "Vielen Dank für all die Arbeit, die Sie tun." Ich bin erstaunt und überwältigt von dieser Situation.

Im Moment ist es wichtig, Gelassenheit zu vermitteln. Wie gelingt das aus dem Glauben heraus, durch Jesus?

Gut, zum einen ist Gelassenheit wichtig für die ganze Bevölkerung. Wenn die Leute zuhause bleiben und den Empfehlungen folgen, wird alles gut werden. Was die Angehörigen der Kranken betrifft, da versuche ich alles, was möglich ist, um ihnen Mut zu machen. Aber vor allem erlebe ich die ganze Situation zutiefst mit den Patienten. Wenn sie auf die Intensivstation kommen, bevor ich sie intubiere, versuche ich ihnen in die Augen zu schauen, ihre Hand zu halten, ihnen Hoffnung zu geben, ihnen zu sagen, dass alles gut ausgehen wird, dass wir niemanden auf die Intensivstation verlegen, wenn wir keine Hoffnung haben… Die Wahrheit ist, dass diejenigen von uns, die aus Gott Kraft schöpfen, uns glücklich schätzen können. Wenn mich die Patienten bitten, für sie zu beten, dann mache ich das und sagen ihnen, dass sie auch beten sollen. So, wie wenn ich selbst mit Gott reden würde, oder so, also würde Jesus selbst mit dem Patienten reden. Das sind die letzten Minuten, in denen der Patient bei Bewusstsein sein wird, und so versuche ich ihn zu behandeln, als sei er der Vater meiner besten Freundin und versuche, die Dinge so einfach wie möglich zu erklären. Aber zugleich mache ich klar, dass das, was wir tun, wissenschaftlich fundiert ist.

Wir wissen alle, dass Du erschöpft bist, dass Du alles gibst. Was machst Du, um Dich zu erholen?

Schau, ich denke, dass es nötig ist, dass ich im Moment die beste Version meiner selbst bin. Und jetzt gerade ist es das Beste, sich nach Feierabend auf dem Laufenden zu halten und zu schauen, was in den anderen Ländern besser läuft. Ich lese jeden Tag die Nachrichten aus Italien, aus China, den aktuellen Rundbrief des Referenzkrankenhauses meiner Stadt, oder ich rede mit Kollegen aus anderen Krankenhäusern, um zu sehen, wie sie mit der Situation umgehen… Die Momente, in denen ich mich zurückziehe, sind tatsächlich die Momente, in denen ich mit mir selbst in Berührung komme. Dann realisiere ich, dass ich so erschöpft bin, dass es mich Kraft kostet zu beten, dass mich die Stille Kraft kostet. Was mir dagegen leicht fällt, ist zu weinen. Um mich zu entspannen, höre ich Musik, rufe das eine oder andere Gebet bei Instagram auf, nehme an einem Konzert teil, lese ein Gebet, das mir jemand geschickt hat. Für mich geht es dabei darum, beim Herrn zur Ruhe zu kommen und für etwas von diesem Tag Danke zu sagen.

Bekommst Du mit, dass im Moment sehr viel Aktivitäten durch die sozialen Netzwerke organisiert werden?

Ja, ich weiß, da gibt es im Moment sehr viele Initiativen. Aber wir Krankenhausmitarbeiter wollen nur nach Hause kommen, uns eine Weile in Ruhe zurückziehen. Wir sind nicht in Quarantäne, sondern kommen aus dem Krieg.

Worum bittest Du Gott heute?

Dass das hier bald zu Ende geht. Dass es uns zu etwas dient, das ist das Wichtigste. Das ist die Geschichte der Menschheit. Schon immer hat es große Epidemien gegeben. Wir sollen nicht glauben, dass wir Gott sind und dass wir selbst alles schaffen können. Die Leute sollen nicht glauben, dass wir uns durch viel Geld oder viel Vermögen selbst erlösen werden. Denn das stimmt nicht. Diese Krise muss uns helfen, uns nicht für Götter zu halten, nicht zu glauben, dass wir alles beherrschen können. Denn letztlich hängt alles von Gott ab, wir sind begrenzt, denn wir sind menschlich. Das vergessen wir alle. Wir glauben, dass wir mit dem Leben alles machen können. Deshalb ist es jetzt Zeit, das Leben zu überdenken, sich bewusst zu machen, dass wir für die ganze Welt sorgen müssen, für den Planeten. Auch wir Ärzte sollten reflektieren: wir sollten nicht so tun, als seien wir Götter. Das alles hilft uns dabei, demütiger zu sein. Es erteilt uns allen eine sehr große Lektion in Demut, die wichtigen Dinge wertzuschätzen. Zurzeit arbeiten wir in den Krankenhäusern Seite an Seite, geschwisterlich. Ich lerne jeden Tag etwas Neues und gehe müde nach Hause, aber dankbar. Was wir gerade durchleben, ist sehr hart, aber ich versuche es von Gott her zu leben. Das hilft mir Freude zu erfahren und Tiefe.

Auf mich wirkst Du wie jemand, der viel Hoffnung hat, Du vermittelst Frieden.

Und ich fühle mich sehr gesendet und unterstützt durch meine Familie, durch die GCL. Ich bekomme Hunderte von Nachrichten am Tag. Nachrichten, die Mut machen, die meine Last ein bisschen leichter machen, Gebete, Impulse. Ich kann Gott nur dafür danken, dass ich mich im Moment so fühle. Es gibt Tage, an denen ich sehr viel weine, aber ich möchte die beste Version meiner selbst sein. Und es ist sehr wichtig, dass wir in diesem Moment zusammenhalten, dass wir den Leuten helfen, weiterzugehen. Später wird die Reflexion dessen kommen, was passiert ist und die Kritik, aber jetzt heißt es zusammenhalten und gemeinsam weitermachen.  

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