• Gottesdienst in der Kapelle des Nürnberger Noviziatshauses. © SJ-Bild (3): Christian Ender
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Der eigenen Sehnsucht Raum geben

Der Anfang

Irgendwann Mitte September, immer an einem Sonntag, beginnt das Noviziat. Die Neuen kommen aus allen Himmelsrichtungen und lernen sich zum Teil erst jetzt untereinander kennen. Bei einem Besuch im Vorfeld konnten sie bereits die Novizen treffen, für die jetzt schon das zweite Jahr in Nürnberg begonnen hat. In den knapp 24 Monaten, die mit dem Eintrittstag anfangen, wird es darum gehen, einiges klarer zu bekommen: Wer bin ich und was ist dieser Orden? Was will ich wirklich und was wollen die Jesuiten eigentlich? Passt das zusammen? Passen wir zusammen?

Das mit dem Anfang des Noviziates könnte man auch nochmal anders betrachten. Ein Fußballspiel beginnt nicht erst mit dem Anpfiff, sondern in gewisser Weise viel früher mit der Begeisterung, die ein Mensch für den Ball und dieses Spiel entdeckt, für Körpereinsatz und raffinierte Spielzüge, für das leidenschaftliche Kämpfen und das Miteinander im Team. Was das Ordensleben betrifft und das Noviziat als seine erste Etappe, braucht es zunächst überhaupt mal so etwas wie eine "Denkmöglichkeit". Das heißt ein Mensch muss sich - man stelle sich das vor: in unserer Zeit! - erst selber einmal die Denkmöglichkeit einräumen, ein Leben im Orden, als Jesuit, für sich in Betracht zu ziehen.

Die Zutaten dieser Denkmöglichkeit: Mir bedeutet der Glaube an Gott, an Jesus Christus etwas. Das Evangelium hat mich angesprochen und ich finde, es lohnt sich, etwas weiterzutragen, was in ihm steckt. Ich sehe diese Welt, wo Gutes ist und vieles schief läuft, ich sehe in ihr Menschen, die in unterschiedlichsten persönlichen und sozialen Situationen stehen, und will mich in dieser Welt und für Menschen in irgendeiner Form einbringen. Ich kann mir gut vorstellen, das in einem gemeinsamen Projekt, in Gemeinschaft mit anderen zu tun, denen Gott, Jesus Christus, ein geistliches Leben ebenso etwas bedeuten. - Erst braucht es diese Denkmöglichkeit, die zur Herzensmöglichkeit oder "Möglichkeit von Sinn" wird, bevor jemand dies in Formulierungen wie "Priester oder Bruder in einem Orden werden" oder "bei den Jesuiten eintreten" übersetzt. Denn manche Begriffe klingen so klassisch, wirken vorgeprägt, strahlen etwas Schematisches aus - und können daher doch nur wenig ausstrahlen und leicht verscheuchen, was sich im Innersten eines Menschen sonst zu Wort melden möchte. Nicht jeder, der solche Zutaten in sich entdeckt, wird Jesuit werden oder Ordensmann oder Ordensfrau in einer anderen Gemeinschaft. Klar. Aber vielleicht sind es doch einige, für die aufgrund ihrer persönlichen, biographischen und geistlichen Grundausstattung und der Mischung aus Gaben, Grenzen und Zuneigungen ein Leben als Jesuit denkmöglich ist und für das Herz verlockend wirkt. Man kann den Jesuitenorden auch als Option für sich entdecken, wenn man nicht Priester werden will. Zu allen Zeiten haben Brüder mit verschiedensten Qualifikationen den Orden bereichert, indem sie im Innenbereich mithalfen oder das Apostolat des Ordens "nach außen" unterstützten und gestalteten. Warum nicht in dieser Weise "der eigenen Sehnsucht Raum geben"?

Autor:

Thomas Hollweck SJ

Pater Thomas Hollweck SJ ist seit 1. Juli 2015 Novizenmeister und seit 2021 Delegat für Junge Menschen und Berufungen. Der gebürtige Oberpfälzer Thomas Hollweck war zuvor als Spiritual und Priesterseelsorger im Erzbistum Hamburg tätig. 1992 ist er in die Gesellschaft Jesu eingetreten. Nach einem Aufbaustudium in "Spiritueller Theologie" in Madrid wurde er 1999 in St. Michael in München zum Priester geweiht. Ab 1998 arbeitete er in der Hochschulpastoral in München und von 2003 bis 2009 als Kirchlicher Assistent der Gemeinschaft Christlichen Lebens (GCL) in Deutschland. Ende Juli 2024 wird Pater Hollweck neuer Provinzial der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten.

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