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Der Mond ist aufgegangen

Pater Georg Maria Roers SJ beschäftigt sich seit mehr als drei Jahrzehnten mit Fragen im Bereich von Kunst und Kirche. Das Spannungsfeld von künstlerischer Formgebung und spiritueller Suche ist ein fortwährender Prozess. Als Kultur- und Kunstbeauftragter der Erzdiözese möchte er eine Brücke schlagen zwischen beiden Bereichen. Menschen wollen sich entfalten und richten doch ihr Leben auf ein bestimmtes Ziel aus. Künstlerinnen und Künstler lassen sich von ihrer Inspiration leiten, die wir in der Tradition des Christentums in der Kraft des Heiligen Geistes ausmachen. So auch die Künstlerin Rebecca Horn, deren Kunstinstallation Pater Roers in die Bischofskirche Sankt Hedwig geholt hat. Was diese Installation so besonders macht, berichtet er selber.

„Unter der mächtigen Fensterkuppel der Bischofskirche Sankt Hedwig hängt eine Atemsäule“, schreibt die Berliner Zeitung in der Rubrik: Tagestipp. Bis zum 11. November 2018 zeigt hier die international renommierte Künstlerin Rebecca Horn ihre Arbeit ‚Glowing Core‘. Geöffnet ist ab Sonnenuntergang und der Eintritt ist frei. Die atemberaubende Installation ist wie für diesen Kirchenbau geschaffen. Vor 245 Jahren wurde St. Hedwig am Allerheiligenfest als erste katholische Kirche in Berlin eingeweiht. Kurz vor dem baldigen Umbau sollte noch einmal etwas Besonderes passieren. Neben der Kunst spielt auch die Musik eine große Rolle jeweils dienstags, donnerstags und samstags unter dem Titel ‚Spirituell.Liturgisch.Frei. - Nachtmusik um Zehn‘. Jede Nachtmusik - vom Alphorn bis zum Trio - wird über Facebook angekündigt.

Die Atemsäule besteht aus 3 goldenen Trichtern, darüber zwei Kreise, die in Mondlicht getaucht werden. Und das im Jahr der längsten Mondfinsternis in diesem Jahrhundert. Mir kam bald das Abendlied Der Mond ist aufgegangen (1779) von Matthias Claudius in den Sinn. Horn nimmt die gesamte Faszination über das Mondlicht des 19. Jahrhunderts auf von Caspar David Friedrich bis zum Schubertlied. Trichter und Kuppel der Kathedrale werden von einem großen schwankenden Bodenspiegel aufgenommen. Wer dort hineinschaut wird in die Tiefe gezogen - bis in den Glutkern der Erde, das ist die Idee. Schon im Mondspiegel von 2003 wird die unendliche Aufwärtsbewegung einer Kaskade warmen Lichts in einem spiralförmigen Spiegelobjekt solcherart verankert, dass dieses Aufwärtsstreben zugleich als eine gründliche Bewegung in die Tiefe gelesen werden kann. Rings um den Spiegel stehen kinematische Objekte: 14 Leuchten und Spiegel, eiserne Totenköpfe, goldene Lanzen und Kakteen mit jeweils einer goldenen Schale Wasser. Es erklingt Musik von Hayden Chisholm. Seine Klanggebilde nehmen die Bewegung der sich drehenden Spiegel auf.

Der Mensch dürstet nach Licht, besonders in dieser Jahreszeit, wo die Tage kürzer werden. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ So lesen wir schon in der Bibel (Matthäus 4,4 bzw. 5. Buch Mose 8,3). Die Kunst, die Religion, die Liebe macht das Leben aufregend. Da die Künstlerin in den letzten Jahren oft in Kirchen ausgestellt hat, wird sie zuweilen schon „Santa Rebecca“ genannt, so die BLZ. Im 7. Jahr der Berlin Art Week war ‚Glowing Core‘ ein Highlight. Die Presse hat die Bilder gerne aufgenommen.

Man betritt die Kathedrale von der Rückseite durch die Sakristei. Normalerweise geht hier nur der Erzbischof und die Mitglieder des Metropolitankapitels durch. Nach über 3 Wochen sind hier schon über 12.000 Besucher/Innen über die Schwelle getreten. Im Gästebuch zur Ausstellung finden sich überwiegend begeisterte Reaktionen, die vor allem auf die veränderte Erfahrung des Raums eingehen: „Sehr beeindruckend an einem wunderbaren Ort.“ „Diese Installation hat mich sehr beeindruckt und zum Nachdenken angeregt. Ich konnte mich kaum losreißen. Wundervoll!“

Auch die Staatsministerin für Kultur und Medien Prof. Monika Grütters (MdB) schreibt: „Die Installation hilft, das Gebäude neu zu sehen. Die kontemplative Atmosphäre ist ein wohlwollender Kontrast zu draußen.“

Das kommt der jesuitischen Maxime von Kontemplation und Aktion doch sehr nahe. Die Idee, die Künstlerin mit ihrer Arbeit einzuladen, kam mir im Sommer. Gemeinsam mit dem Galeristen Alexander Ochs, dem Domkapellmeister Harald Schmidt und vielen weiteren Kräften im Erzbistum Berlin, sowie FTWILD konnten wir in wenigen Wochen dieses Projekt verwirklichen. Gelungene Team-Arbeit – Gottseidank!

Autor:

Georg Maria Roers SJ

Pater Georg Maria Roers SJ ist Beauftragter für die Bereiche Kunst und Kultur im Erzbistum Berlin. Aufgewachsen ist er am Niederrhein. Sein Lehrer auf dem katholischen Internat Gaesdonck war der Künstler und Kunstsammler Franz Joseph van der Grinten, ein Freund von Joseph Beuys. Ein anderer Lehrer begeisterte ihn im Leistungskurs Theologie für Ignatius von Loyola, den Begründer des Jesuitenordens. „Sich aus der Welt zurückziehen, in einen Dialog mit Gott treten, das Leben Jesu nehmen und das eigene Leben danebenlegen“, das habe ihn fasziniert. Nach dem Abitur tritt er in den Orden ein und studiert Theologie, Philosophie, Kunstwissenschaft. Seine Abschlussarbeit schreibt er über die „Ästhetik des Heiligen“. Bevor er 2013 nach Berlin kam, arbeitete er zehn Jahre als Künstlerseelsorger in München.

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