Der Rosenkranz - eine Schule des Betens

Am Glauben festhalten

In den neunziger Jahren habe ich als Lehrer am Kolleg St. Blasien regelmäßig Schülerinnen und Schüler im Sommer nach Albanien begleitet. Im ärmsten Land Europas unterstützten wir die Aufbauarbeit der dortigen Jesuiten nach Jahrzehnten der Diktatur und Unterdrückung jeglicher Religiosität. Selbst Beten wurde im Land der Skipetaren mit Gefängnis und Deportation der Familie bestraft. Jetzt versammelten sich jeden Sonntag in Bizë Menschen auf einem Platz im Schatten der Bäume. In einer orientalisch anmutenden monotonen Sprechmelodie sangen sie die Gebete des Rosenkranzes. Spürbar war das eine ernste und wichtige Angelegenheit.

Mit dem 34-jährigen Zef kam ich darüber ins Gespräch: "Diese zehn Finger" - er zeigte mir seine abgearbeiteten Hände - "und die Erinnerung an die Geheimnisse (Menschwerdung, Leiden und Verherrlichung Jesu) haben uns Christen bleiben lassen, ohne Bibel und Sakramente. Nur der Rosenkranz ließ uns am Glauben festhalten."

"Nur mit dem Rosenkranz ...", dieser Satz hat sich mir eingeprägt und meinen Glauben in Frage gestellt. Im Gespräch mit Zef konnte ich erahnen, was es bedeutet, in einem Land, in dem es keine Menschenrechte mehr gab, insgeheim immer wieder betend vom Menschen zu bekennen: "Du bist voll der Gnade, der Herr ist mit dir". Mir wurde bewusst, wie revolutionär dieses Gebet dort sein kann, wo Menschenwürde dem Konsum oder dem Kollektiv geopfert wird: "Du bist gebenedeit, d. h. gesegnet". Die betende Wiederholung der Berufung Mariens als Modell eines für den Anruf Gottes offenen Menschen und die meditative Betrachtung des Lebens Jesu offenbaren ein Menschenbild, das für Gott offen ist.

Die auf Christus ausgerichtete Spiritualität ist das Kernstück der Frömmigkeit der Gesellschaft Jesu. Noch vor der Gründung des Ordens erbat Ignatius von Maria die Gnade, "sie wolle ihn zu ihrem Sohn stellen". Am 15.10.1537 spürte er auf dem Weg nach Rom die innere Gewissheit, dem kreuztragenden Christus zugesellt zu sein. Die Erfahrung, auf die Fürbitte Mariens Gefährte Jesu zu sein, wurde die geistliche Mitte des Ordens. Deswegen haben die Jesuiten in ihrer Geschichte das betrachtende Beten des Rosenkranzes immer gefördert.

Nach der Begebenheit in Albanien ist der Rosenkranz für mich eine Schule des Betens geworden, zu Hause und unterwegs am Glauben an Gott und die Menschen festzuhalten, "jetzt und in der Stunde unseres Todes". Geb's Gott!

Stephan Ch. Kessler SJ

Autor:

Stephan Kessler SJ

Pater Stephan Kessler SJ ist in der saarländischen Gemeinde Schwalbach aufgewachsen. Mit 27 Jahren trat er in die Gesellschaft Jesu ein: Noviziat in Nürnberg, Philosophie in München, theologische Aufbaustudien in Innsbruck. Nach Promotion mit einer Arbeit im Bereich antiker christlicher Literatur und der Weihe zum Priester folgten Einsätze in der Jugendpastoral und in der Wissenschaft. Ab 2001 in der Ausbildung, zuerst ordensintern als Ausbildungspräfekt und von 2005 bis 2016 als Regens des überdiözesanen Priesterseminars Sankt Georgen und Dozent der dortigen Hochschule in Frankfurt am Main. Seit 2017 leitet er die Kunst-Station Sankt Peter Köln als Pfarrer und ist der Obere der Kölner Jesuitenkommunität Peter-Faber-Haus

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