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Der Skandal des Kreuzes

Das letzte Mal erscheint die "Stimmen der Zeit" im bisherigen Gewand. Seit 1967 blieb es fast unverändert. In dieser Ausgabe warnt Klaus Mertes SJ vor einer Entfremdung vom Kreuz: Entweder wird es „in Talkshows verharmlosend als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Konfession diskutiert. Oder es wird kulturkämpferisch instrumentalisiert, am sinngefälligsten wenn es schwarz-rot-gold angestrichen wird, um das Abendland gegen die ‚Islamisierung‘ zu verteidigen.“ Dem Zusammenspiel von Christentum & Politik widmen die Autoren in dieser Ausgabe besondere Aufmerksamkeit.

Von Matteo Ricci (1552-1610), dem Jesuiten und bedeutenden China-Missionar, stammt die erste Darstellung der christlichen Lehre in chinesischer Sprache. Er verfasste sie nach langem Studium und Leben in der chinesischen Kultur. Besonders erstaunlich: Er verschwieg dabei den Tod Jesu am Kreuz. Offensichtlich dachte er, dass China noch nicht so weit sei, den Skandal des Kreuzes (vgl. 1 Kor 1,23) zu verkraften. Da wird deutlich, was das jesuitische Missionsprinzip der Akkomodation konkret bedeutet: einerseits respektvolle Annäherung an die andere, fremde Kultur – im Falle der jesuitischen China-Mission wurde das vor allem durch die teilweise Anerkennung der konfuzianischen Ahnenriten deutlich. Andererseits ein tastendes, vorsichtiges Sprechen über das Eigene, bei dem gerade das Herzstück, „Christus als der Gekreuzigte“ (1 Kor 2,2) zunächst durch Schweigen geschützt wird, damit es eine Chance hat, später anzukommen und angenommen zu werden. Missionare anderer Orden waren über diese Praxis empört. Sie forderten eine klare Absage der Neubekehrten an die Ahnen-Riten und an die chinesische Gottesvorstellung. Sie trugen zugleich Kruzifixe als Markenkern des Christlichen demonstrativ sichtbar vor sich her. Die Missionsmethode der Jesuiten erschien ihnen nicht zielführend, sondern verwirrend, verunsichernd und vielleicht auch unehrlich, ja hinterhältig – wie es bis heute in den antijesuitischen Klischees widerhallt, die das Spezifische des Ordens mit „Schläue“ im ambivalenten Sinne des Wortes in Verbindung bringen.

Heute wissen wir, wie die Geschichte ausging: Die innerkirchlichen Gegner der Akkomodation setzten sich durch. Das führte in China 1724 zum Verbot und zur Verfolgung des Christentums durch den Yongzheng-Kaiser. Doch heute sind es eher die Früchte der gescheiterten jesuitischen China-Mission, auf denen die katholische Kirche in China aufbaut, und zwar über die Grenzen der gegenwärtigen innerkirchlichen Auseinandersetzungen in China hinweg.

Autor:

Klaus Mertes SJ

Pater Klaus Mertes SJ studierte nach seinem Abitur 1973 klassische Philologie und Slawistik in Bonn, nach seinem Eintritt in den Jesuitenorden 1977 Philosophie in München und Theologie in Frankfurt. Seit 1990 war er im Schuldienst tätig, zunächst 1990-1993 an der Sankt-Ansgar-Schule in Hamburg, 1994-2011 am Canisius-Kolleg in Berlin, dessen Rektor er seit 2000 war. Von 2011 bis 2020 war er Kollegdirektor am internationalen Jesuitenkolleg in St. Blasien. Derzeit ist er Superior der Jesuitenkommunität in Berlin-Charlottenburg und Redaktionsmitglied der Kulturzeitschrift "Stimmen der Zeit"

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