Mitten im syrischen Homs, im „Bustan as-Salam“ – „Garten des Friedens“, ist Gerald Baumgartner SJ durch Bischof Hanna Jallouf OFM zum Diakon geweiht worden. Homs kennt Gerald Baumgartner gut: Dort wirkte er bereits zwei Jahre lang in der Jugendarbeit, bis er nach dem verheerenden Erdbeben 2023 von jetzt auf gleich die Koordination der Nothilfe übernahm. Nach seinem Theologiestudium in Innsbruck ist Gerald Baumgartner im Mai nach Syrien zurückgekehrt, dieses Mal nach Aleppo. Im Interview erklärt er, warum Syrien für ihn als frisch geweihten Diakon gerade der richtige Ort ist, was der schreckliche Anschlag vom 22. Juni für sein Leben dort bedeutet und wie er zusammen mit den anderen Jesuiten vor Ort versucht, einen gerechten Frieden zu säen.
Warum sind Sie nach Syrien zurückgekehrt?
Da gibt es einerseits eine sehr banale Antwort drauf: Weil mich meine Oberen dort hingeschickt haben. Andererseits ist es in Syrien gerade nicht einfach, ist es schon länger nicht. Während meiner Zeit, als ich zum ersten Mal dort war, habe ich passabel Arabisch gelernt. Es war einfach von allen Seiten naheliegend, zurückzugehen. In Syrien herrscht eine große Not. Meine Oberen vertrauen mir so weit, dass ich dort gut wirken kann. Mit Gottes Hilfe versuche ich das.
Es war also auch Ihr Wunsch?
Ja, auf jeden Fall. Ich freue mich, weil ich Syrien unglaublich gern habe. Ich habe dort sehr viele schöne Sachen erlebt unter all den schrecklichen und viel gelernt, was es bedeutet, Ordensmann zu sein – und auch, was es bedeutet, Diakon und Priester zu sein.
Was sind Ihre Aufgaben in Aleppo?
Ich werde mich in Zukunft in verschiedenen pastoralen Aufgaben engagieren: Jugend-, Studierenden-, Pfadfinder- und Meditationsgruppen, aber auch Exerzitien. Was ich mache, mache ich nicht alleine, sondern wir wirken als Kommunität. Neben den spirituellen Angeboten haben wir hier auch ein Ausbildungszentrum, in dem wir Menschen Zusatzausbildungen ermöglichen, die zwar einen Abschluss, aber keinen Beruf gefunden haben. Außerdem versuchen wir, durch Kunst den Menschen zu helfen, sich selbst auszudrücken. Wir sind damit Teil der Strategie der jesuitischen Kulturzentren in den drei großen Städten im Land. Das ist ein sehr schöner Aspekt der Arbeit hier in Syrien: Dass wir Jesuiten sehr eng über verschiedene Städte hinweg zusammenarbeiten.
Sie werden also die Zeit, die Sie nun in Syrien verbringen, in Aleppo bleiben?
In Syrien gibt es nie irgendwas, bei dem man fix sagen kann: Das wird so sein. Alles kann sich immer ändern. Aber ja, Aleppo ist zumindest der Plan.
Der schreckliche Anschlag vom 22. Juni hat auch vieles geändert. Was bringt er für Konsequenzen für Ihr Leben und Ihre Arbeit mit sich?
Es ist noch nicht absehbar, was dieser Selbstmordanschlag an längeren Konsequenzen mit sich bringen wird, aber –
Das Telefonat bricht ab. Einige Minuten später ruft Gerald Baumgartner SJ zurück.
Jetzt war der Strom weg.
Passiert das öfter am Tag?
Ja, schon. Ungefähr zwei Stunden am Tag kommt der Strom vom normalen Netz, also der Regierung. Da hat jeder seine eigene Methode, damit umzugehen. Hier im Ausbildungszentrum müssen wir ständig Strom haben, weil wir auch Computerkurse anbieten. Deswegen haben wir eine Solaranlage und Batterien. Aber wenn jemand irgendetwas einschaltet, das zu viel Strom zieht, kann es sein, dass alles zusammenbricht und neu gestartet werden muss. Auch das Internet kann jede Sekunde weg sein, darauf haben wir überhaupt keinen Einfluss.
Zurück zur Frage: Wie verändert der Anschlag Ihr Leben in Syrien?
Den Alltag verändert der Anschlag praktisch überhaupt nicht, aber er verändert, wie wir den Alltag leben und sehen. Am Sonntag danach war die Messe nur halb so voll wie sonst. Die Leute haben einfach Angst, in die Kirche zu gehen. In manchen Städten steht Militär vor der Kirche, in anderen dürfen keine Menschenansammlungen zusammenkommen. Dort geht jeder einzeln in die Kirche.
Was ich in der Begleitung von Menschen wahrnehme, ist eine unglaubliche Angst, ein wahnsinniger Druck psychischer Art. Junge Menschen sagen zumeist, dass sie nicht in diesem Land bleiben wollen, aber jetzt nach dem Anschlag wollen sie wirklich weg. Sie finden, dass es hier keine Zukunft gibt – besonders für Christen. Das Selbstmordattentat war für sie der Tropfen, nein, eher der Liter, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.
Wie können Sie diese Menschen unterstützen?
Viele brauchen mehr Begleitung, um mit ihren Angstzuständen und Albträumen zurechtzukommen. Gestern habe ich mit einer jungen Frau geredet, die ich früher begleitet habe. Sie sagte zu mir, sie träume nur noch vom Tod und könne nicht mehr träumen, ohne dass jemand stirbt. Immer, wenn sie auf die Straße gehe, habe sie bei jedem Mann, den sie sehe, Angst, dass er sich gleich in die Luft sprenge.
Das ist auch eine Realität: De facto ändert der Anschlag an unserem täglichen Leben nichts, aber gleichzeitig ändert er so vieles. Wir müssen schauen, was die Zukunft bringt. Wird es weitere Anschläge geben? Wir wissen es nicht.
Was ist mit Ihrer Diakonenweihe? Hat der Anschlag auch Auswirkungen darauf?
Schon vor dem Anschlag haben wir entschieden, dass die Weihe in ein spirituelles Wochenende eingebettet ist. Wir beginnen am Freitag mit einem Gebetsabend, am Samstag in der Früh gibt es Workshops zu verschiedenen Themen, zum Beispiel zur Verbindung zwischen Kunst und Spiritualität oder zur Frage, wie man gute Entscheidungen trifft. Meine Schwester – sie ist Ärztin und kommt zu Besuch – wird einen Workshop anbieten, wie man als Ärztin seine Berufung leben kann. Am Abend ist dann die Weihe.
Durch dieses spirituelle Wochenende feiern wir unsere gemeinsame Sendung – nicht als Jesuiten, sondern als Christen hier in Syrien. Die Diakonenweihe ist ein Teil dieses Wochenendes. So sehe ich auch die Weihe selbst: Sie ist ein kleiner Teil, ein kleines Werkzeug für die Sendung, die wir als Christinnen und Christen in dieser Welt haben. Das Diakonat hat einen starken Dienstcharakter. Diesen Dienst sehe ich für mich, hier in Syrien zu sein und den Menschen beizustehen.
Unsere Botschaft ist klar und sie ist nach dem Anschlag noch stärker: Der Angst, dem Hass und der Zerstörung setzen wir die Hoffnung und die Liebe Christi entgegen. Der Frieden muss siegen!
Was heißt das für die Feier Ihrer Weihe?
Es kann und soll natürlich nicht festlich sein, aber genau das hat etwas Richtiges an sich, denn so können wir uns auf die wirkliche Botschaft des Wochenendes und der Weihe konzentrieren. Deswegen bin ich zuversichtlich und hoffnungsvoll. Alleine zu sehen, wie viele an diesem Wochenende mitwirken, ist sehr schön für mich.
Wer kommt noch zu Ihrer Weihe?
Es gibt Besuch aus Österreich: Meine Schwester, aber auch mein Bruder und eine Mitstudentin aus Innsbruck kommen. Die haben alle eine Odyssee hinter sich – 18, 24 Stunden an irgendwelchen Flughäfen warten, weil durch den Krieg zwischen dem Iran und Israel der Flugverkehr quasi völlig zum Erliegen gekommen ist und gerade erst wieder anläuft. Auch der Ausbildungsdelegat der Jesuiten, Markus Inama SJ, wird dabei sein. Außerdem kommen noch zwei Jesuiten aus dem Libanon und alle Jesuiten aus Syrien. Wir sind aber nur zehn hier, das ist nicht so schwer. (lacht)
Wo in Homs wird die Weihe stattfinden?
Die Kirche wäre viel zu klein für die Weihe, deswegen werde ich im Jugendzentrum der Jesuiten geweiht. Es heißt „Bustan as-Salam“, „Garten des Friedens“. Das passt auch gut zu dem Spruch, der über dem spirituellen Wochenende steht und der Lesung am Sonntag aus dem Buch Jesaja entnommen ist: „Wie einen Fluss leite ich den Frieden zu ihr.“ Dieser Spruch bringt unsere Sendung auf den Punkt: Wir versuchen im Glauben an Versöhnung und gerechtem Frieden zu arbeiten.
Wie geht es nach der Weihe zum Diakon für Sie weiter?
Ich werde den ganzen Sommer über hier sein und komme nur kurz vor der Priesterweihe im September nach Österreich. Der Sommer wird leider nicht so verlaufen, wie wir es geglaubt haben. Wir können wegen der Sicherheitslage auf kein einziges Sommerlager fahren. Deswegen bieten wir für die Kinder und Jugendlichen ein anderes Programm in der Stadt an. Wir müssen spontan sein. Es gibt keinen Plan, weil wir den sowieso jeden Tag verwerfen müssten. So ist halt mein Leben hier: Ich kann keine zwei Tage in die Zukunft planen, weil sich jeden Tag etwas ändert. Aber jeden Tag gibt es etwas Sinnvolles zu tun. So wird auch der Sommer gut werden.