Die Kraft von Begegnung

Meine Freunde kennen meinen scherzhaften Wunsch an den lieben Gott: Falls die Inkarnation existiert, hätte ich nichts dagegen, das nächste Mal in Paris auf die Welt zu kommen und Besitzer einer Attika-Wohnung zu werden. Die letzten vier Jahre in Paris waren die besten meines Lebens, was keineswegs zu erwarten war. Angekommen nun im im Lassalle-Haus ob Zug, orientiere ich mich neu.

Ich lebte, studierte, arbeitete in Italien, Polen, Deutschland, Spanien, den USA und natürlich in der Schweiz – ich wäre fürs ordensobligate Studium der Theologie und Philosophie überall gern hin, nur nicht nach Paris. Sprache, Küche und nachgesagte Hochnäsigkeit der französischen Metropole waren mir ein Graus. Doch keines meiner Vorurteile bewahrheitete sich. In Italien, der Heimat meiner Eltern, bin ich lo svizzero und in der Schweiz der Italiener, in Paris aber war ich Valerio Ciriello. Von Anfang an begegnete ich Menschen, die mich tief bereichert haben. In der Kommunität mit 30 Jesuiten aus einem Dutzend Ländern ebenso wie an der Jesuiten-Hochschule Centre Sèvres und in den Apostolaten – ich war unter anderem für la messe qui prend son temps am Sonntagabend verantwortlich, an der bis 250 junge Erwachsene teilnehmen.

Wenn auch glücklich über den Studienabschluss, packte ich schweren Herzens den Koffer und reiste am 6. August zurück in die Schweiz ins Lassalle-Haus ob Zug. Doch bereits Ende Monat kam es mir vor, ich sei ewig schon hier. Mit meinen 45 Jahren wechsle ich nun zum vierten Mal vom Studium ins Berufsleben: Von Haus aus Jurist, vertiefte ich mich in internationale Beziehungen, Völkerrecht, interdisziplinäre Europa-Studien und arbeitete unter anderem sieben Jahre für die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA in Bern. Ich sehne mich danach, endlich wieder etwas Konkretes anzupacken.

Im Lassalle-Institut arbeite ich gemäss Visitenkarte für future generations and ecological transition. Ich beschäftige mich seit langem mit ökologischen Fragen, und im Visier stehen zwei Projekte: die Summer University im Juni 2021 in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Universität Georgetown. Der dort wirkende Wirtschaftsprofessor Gaël Giraud wird die Tage prägen, Jesuit mit französisch-schweizerischen Wurzeln und viele Jahre in Paris Chefökonom der staatlichen französischen Entwicklungshilfe. Ende August 2021 dann startet mein eigenes Projekt: das Eco Summer Camp, eine Woche für junge Erwachsene mit Referaten und Lebenszeugnissen von Menschen, die im Bereich Nachhaltig- keit arbeiten und forschen.

Vom Pensum her gewichtiger ist die Aufgabe als Hochschulseelsorger in Luzern, ein Traumjob. Anja Rosenberg ist mit im Team und sagt das gleiche. Unsere Zeit ist geprägt von grosser Säkularisierung. Rein christliche Angebote haben kaum Echo. Ich möchte die Angebote breit abstützen, so bin ich am Netzwerken mit Studierenden, Dozierenden und Universitätsleitung. Ich weiss um die Kraft von Begegnung, von Lebenszeugnissen und initiiere überdies eine Reihe wie in Paris, bei der sich Studierende mit Persönlichkeiten von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft treffen.

Bei all den Aufgaben komme ich leider nicht mehr zum Lesen. So muss das Buch auf meinem Nachttisch weiter warten: sus – Approche historique von José Antonio Pagola, ein faszinierendes Buch über den historischen Kontext von Jesus. Dafür träume ich umso mehr, stets auf italienisch – bis ich vor einem halben Jahr aufwachte und erschreckt feststellte: Ich hatte Französisch geredet! Ich bin im Aargau aufgewachsen. Mal schauen, wie lange es braucht, bis ich im Traum ins Schwizertütsche mit Aargauer Einschlag wechsle.

Newsletter

Das Magazin „Jesuiten“ erscheint mit Ausgaben für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Bitte wählen Sie Ihre Region aus:

×
- ×