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Du bist. Auch wenn die Welt Kopf steht.

Manchmal läuft das Leben gerade einfach nicht rund und man sucht eine Auszeit, aber selbst wenn alles in Ordnung ist, bietet die von den Jesuiten geführte Zukunftswerkstatt in Innsbruck einen Ort zum Runterkommen und zur Selbstfindung. Das Angebot richtet sich ausdrücklich an junge Erwachsene unter 30. Eine von ihnen ist Laura Meemann. Sie berichtet von ihren Erlebnissen in der Zukunftswerkstatt.

„Stell die Welt auf den Kopf, um dich zu suchen und zu finden.“ Diesem Motto der Zukunftswerkstatt in Innsbruck folgt Laura Meemann. Sie lebt zurzeit in der Zukunftswerkstatt und beschreibt, was in ihr vorgeht.

Sieht ein Sonnenuntergang am Meer, bei blauem Himmel und stillem Wasser eigentlich wie ein Sonnenaufgang aus, wenn ich einen Handstand mache? Vielleicht. Und sollten wir dann nicht viel öfter einen Handstand machen? Ich denke schon.

Wenn ich meine Welt in den Bergen auf den Kopf stelle, dann ragen die Gipfel wie eine Girlande in den Himmel, in dem meine Füße schweben. Kopfstand. Meine Welt und mein Leben auf den Kopf gestellt.

Manchmal stelle ich mein Leben selber auf den Kopf und ab und an tut das die Welt auch ganz von allein. Sie steht dann einfach Kopf. Es gibt so viele Fragen, die mich umtreiben, dass ich oben und unten verliere. Wo soll es hingehen für mich und was ist mein Platz in dieser Welt? Wie angesichts der Krisen und Probleme unserer Zeit ein zufriedenes Leben führen? Wenn jede Information zum Klimawandel und jeder Blick aufs Mittelmeer mich völlig fertig machen und nur Machtlosigkeit und Ohnmacht wecken? Wie Teil einer Welt werden, die in aller Individualisierung so etwas wie Anpassung in ein System zu fordern scheint? Und was, wenn ich aus dem System ausbreche? So viele Fragen. Und alles steht Kopf.

Geht die Sonne denn gerade auf oder unter? Und in welche Richtung schaue ich überhaupt? Sie geht ja schließlich auf einer anderen Seite unter als auf. Vielleicht sollten wir ab und an mal den Kopf drehen. Auf der Suche nach einem Unten, das mich hält, und einem Oben, das offen und frei ist, bin ich in die Zukunftswerkstatt Innsbruck gekommen.

Was ich genau suche? Ich weiß es nicht.

Ob ich hier etwas finden werde? Ich denke schon.

Was das sein wird? Ich weiß es nicht. Und das ist völlig ok.

Es gibt Orte, an denen Fragen sein und bleiben dürfen, an denen Antworten nicht immer passen müssen und alle Themen Raum haben dürfen. Es gibt Orte, die sich zwischen Gemeinschaft und Einkehr, zwischen zusammen und allein, zwischen buntem, lautem Treiben und Ruhe befinden. Es gibt Orte, an denen ich sein darf. Sein gelassen werden. Weil ich bin. Wie ich bin. Ohne Vorurteile, ohne Beurteilung und Bewertung. Egal ob mein Unten gerade Oben oder mein Oben gerade Unten ist. Egal ob in meiner Welt die Sonne gerade auf- oder untergeht und ob sich das 10-mal am Tag ändert. Mit allem Suchen. Allen Fragen. Mit allem, was ich bin. So ein Ort ist die Zukunftswerkstatt.

Gerahmt durch den gemeinsamen Tagesablauf. Schriftbetrachtung. Gemeinsame Mahlzeiten. Gebet. Tagesrückblick. Entstehen Zeiten zum Gestalten und zum Sein. Zeiten, die auch mal leer sein dürfen. Zeiten zum Fragen und Zeiten zum Antworten, Zeiten für Probleme und Zeiten für Lösungen, Zeiten, um oben und unten zu drehen. In den Bergen, die mal Untergrund und mal Girlande sind und über denen ein Himmel schwebt, in dem ich mal den Kopf, mal die Füße und mal das Herz verlieren darf. In dem ich mich verlieren darf. Verlieren, um mich dann irgendwo wiederzufinden.

Finde mich in meinem Zimmer. In dem Ohrensessel, der mit Blick nach draußen zum Denken, Lesen, Schreiben, Sein einlädt. Finde mich im Mediationsraum in Stille oder mit Musik, fokussiert oder mit fließenden und fliegenden Gedanken. Finde mich im Kreativraum zwischen bunten Farben, die malen, was ich selbst noch nicht begreife. Finde mich in der Küche, die vernetzt und verbindet, die familiäres Miteinander eröffnet. Finde mich im Draußen. Im Garten. Auf der Dachterrasse. In der Stadt. Je nachdem, welches Draußen ich gerade brauche. Ruhe, Menschen, Trubel, Weitblick und Bergblick mit verschiedenen Perspektiven. Mal als Girlande, mal als fester Boden. Mal als Herausforderung. Mal als Sehnsuchtsort. Finde mich in der Gegenwart anderer. In Gesprächen und Begegnungen, im Miteinander. Finde mich in Gottes* Gegenwart. Immer und immer wieder. An all diesen Orten, in all diesen Fragen. Ob mich ein Geist begleitet. Ob meine Welt gerade Kopf steht oder nicht. Ob meine Sonne gerade auf- oder untergeht. Ob ich gerade mehr Lösungen oder mehr Probleme sehe. Mehr Fragen oder mehr Antworten habe. Oder beides zugleich. Gott* wohnt im Zwischen.

Hier ist viel Zwischen. Viele Leerstellen zum selber füllen. Viel Raum zum Sein.
Du kannst kommen. Mit allem oder mit nichts. Was das bedeutet? Dass es ein und dasselbe ist.

Du darfst sein. Und versuchen, das Geheimnis zu verstehen, das du bist.

Das du bist in dieser Welt.
Das du bist in diesem Leben.
Das du bist, wenn alles Kopf steht.
Das du bist, wenn du bist. 

Laura Meemann

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