Zu Beginn seiner Visite in Deutschland hat P. Arturo Sosa SJ, der Generalobere der Jesuiten, die Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt besucht. Dort diskutierte er mit Bischof Georg Bätzing, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, und Provinzial P. Thomas Hollweck SJ über die aktuelle Situation und die Aufgaben der Jesuiten und der Kirche in der Gesellschaft – in Deutschland und weltweit.
Pater Sosa wies auf den „epochalen Wandel“ hin, in dem sich die Gesellschaft und mit ihr die Kirche und der Jesuitenorden befinden. Als Beispiel nannte er die sich verändernden internationalen Beziehungen, die sich von der auf den Westen konzentrierten Nachkriegsordnung zu einer multipolaren Welt entwickelten. „Ein Wandel, der zu einer Zunahme sozialer und politischer Gewalt in verschiedenen Formen führt“, sagte Pater Sosa. Er verwies auf die zunehmende Migration und den damit einhergehenden kulturellen Wandel, auf den technologischen Fortschritt in allen Lebensbereichen, die fortschreitende Umweltzerstörung, den zunehmenden Protektionismus in der Wirtschaft und die erschwerte Suche nach der Wahrheit in einer „Post-Truth“-Gesellschaft, in der sich einige Machthaber die Wahrheit zurechtbögen, sodass sie ihren Interessen entspreche. Selbst die als gesichert geglaubte Achtung der Menschenrechte und die Bemühungen für demokratische Strukturen, in denen die Bürgerinnen und Bürger grundlegend an der Entscheidungsfindung beteiligt sind und in denen das Gemeinwohl das Ziel sei, gerieten in Gefahr, so Pater Sosa.
Als Jesuiten auf den eigenen Namen schauen
Die katholische Kirche navigiere zwischen diesen gesellschaftlichen und politischen Veränderungen, die die gesamte Menschheit betreffen, und ihrer eigenen Transformation seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Im Mittelpunkt stehe die Suche nach dem geeigneten Weg, sich trotz der zurückgehenden gesellschaftlichen Bedeutung als Trägerin der Frohen Botschaft des Evangeliums zu positionieren.
Angesichts der geschilderten Veränderungen ist es für den Jesuitenorden laut Pater Sosa hilfreich, auf den eigenen Namen zu schauen: Die „Gesellschaft Jesu“ erhalte ihre Identität von Jesus, der das Gesicht Gottes offenbart habe, den Gott der Liebe und Barmherzigkeit. Gestorben am Kreuz, auferstanden und begleitet durch den Heiligen Geist, zeige er uns den Weg zu einem erfüllten Leben, zu Gerechtigkeit, Frieden und Liebe. Die Hauptaufgabe der Jesuiten sei es, dies zu verkörpern. „Wir Jesuiten haben aber keine Mission, sondern wir bekommen unsere Mission von der Kirche“, betonte Pater Sosa. Der Orden stelle sich für die Verwirklichung der Mission Jesu bestmöglich in den Dienst der Kirche.
Vier Schwerpunkte für das weltweite Engagement
Konkret haben die Jesuiten vom verstorbenen Papst Franziskus vier Schwerpunkte für ihr weltweites Engagement erhalten: Sie sollen den Menschen Wege zu Gott aufzeigen, junge Menschen in eine hoffnungsvolle Zukunft begleiten, Benachteiligten zur Seite stehen und sich für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen. Diese sogenannten „Universalen Apostolischen Präferenzen“ griff auch P. Thomas Hollweck SJ auf, Provinzial der Jesuiten in Zentraleuropa. Bei der Umsetzung dieser Schwerpunkte seien die Jesuiten immer mit anderen gemeinsam unterwegs: mit Partnern, Förderern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Angesichts aktueller Herausforderungen für den Orden wie die rückläufige Zahl an Mitgliedern sei es wichtig, „dass wir machen, was wir machen können“, so Pater Hollweck. „Mehr verlangt der liebe Gott nicht von uns.“
Dabei könnten die Jesuiten ihre Schätze wie die ignatianische Spiritualität und die Exerzitien einbringen, um den Menschen zu helfen, ihren Weg zu finden. Als positive Beispiele aus seiner Provinz nannte Pater Hollweck die Zukunftswerkstätten der Jesuiten in Frankfurt und Innsbruck, die junge Menschen „suchen und finden lassen“, den Podcast „einfach beten!“ mit seiner wachsenden Hörerschaft und das Ukama-Zentrum in Nürnberg, das sich für die Bewahrung der Schöpfung einsetzt.
Zeugnis des katholischen Glaubens „at its best”
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, sagte, die Kirche wolle einen Beitrag leisten, damit die zunehmend polarisierte Gesellschaft zusammenbleibe. Stellvertretend nannte er die Flüchtlingsarbeit der Kirche, in der sich 35.000 Menschen für Hilfe und Integration engagierten. Das Herz der Kirche bleibe jedoch die Seelsorge. Zugleich sei sie zu klaren Positionen herausgefordert. So sei Antisemitismus mit dem Gottes- und Menschenbild der Kirche nicht vereinbar, stellte Bischof Bätzing klar. Er dankte den Jesuiten für die 100-jährige Geschichte der Hochschule Sankt Georgen, für 100 Jahre Kultur, Geistlichkeit und Geistigkeit in Frankfurt als Zeugnis katholischen Glaubens „at its best”. Damit hätten die Jesuiten die Kultur des Bistums Limburg geprägt. Die Hochschule Sankt Georgen sei „ein Teil des Reichtums der Kirche in unserem Land“.