• © SJ-Bild/Leopold Stübner SJ
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"Empörungszug": Zur Meinungsfreiheit im Internet

Die Debatte über die Aussagen von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer über "Meinungsmache" im Internet und Regeln für die Meinungsfreiheit im Wahlkampf schlägt weiter Wellen. Mittlerweile schränkte die Politikerin ihre Äußerungen ein. Über Meinungsfreiheit, "gute" Zensur und den Umgang mit Digitalisierung in den Parteien und bei den Kirchen sprach die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) mit dem Münchner Medienethiker Alexander Filipović.

Herr Filipović, brauchen wir Regeln im Internet für digitale Meinungsäußerungen?

Filipović: Natürlich brauchen wir Regeln, aber ich glaube, wir brauchen erst einmal keine neuen Regeln. Diese Mär, das Internet sei ein rechtsfreier Raum, stimmt nicht. Online wie offline gelten die gleichen Gesetze. Und deswegen ist die bloße Forderung nach neuen Regeln in diesem Fall nicht richtig.

Können Sie die Vorwürfe gegenüber Annegret Kramp-Karrenbauer verstehen? Handelt es sich um einen Angriff auf die Meinungsfreiheit, wie manche meinen?

Filipović: Momentan fährt ein Empörungszug - und lässt sich nicht aufhalten, natürlich auch wegen der unglücklichen Reaktion der CDU auf das Youtube-Video von Rezo. Allerdings kann ich die Kritik verstehen, weil Kramp-Karrenbauer nicht klar differenziert hat, über was wir eigentlich sprechen müssen. Wir müssen nicht über Meinungsäußerungen, Freiheit und Einschränkungen reden. Wir müssen auch nicht darüber reden, ob es erlaubt ist, vor der Wahl seine Meinung über eine bestimmte Partei kundzutun. Denn das darf man weiterhin, hoffentlich.

Worüber sollten wir stattdessen sprechen?

Filipović: Wie gehen wir in unserem politischen System mit dem digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit um? Wie gehen wir mit den Herausforderungen für die politische Kultur um? Das sind wichtige Themen, über die man sprechen kann. Das jetzt allerdings zur Erklärung oder im Kontext einer nicht so glücklich verlaufenen Wahl zu sagen, war nicht so geschickt. Deswegen ist die aktuelle Aufregung verständlich. Das hätte man voraussehen können.

Wie könnte man aus Ihrer Sicht mit diesen Fragen umgehen?

Filipović: Es gibt lange Publikationen dazu; Medienethiker befassen sich damit, Philosophen und Politikwissenschaftler. Parteien haben, gerade wenn sie groß sind, offenbar Schwierigkeiten, auf diese neue Dynamik einzugehen. Das liegt auch daran, dass die Menschen, die dort in entscheidenden Positionen sitzen - das gilt auch für die Kirche - vieles nicht aus eigener Anschauung kennen und deswegen kein Gespür dafür haben, um was es geht.

Können Sie ein Beispiel geben?

Filipović: Was es zum Beispiel bedeutet, wenn ein Video an einem Tag fünf Millionen Mal angesehen wird. Dass man im Netz politisch werden und für seine Rechte kämpfen kann. Dass die junge Generation das Internet nutzt, um für eine gute Zukunft zu kämpfen, das ist toll. Da geht es oft ein bisschen wilder und munterer zu. Ich schlage eine radikale Verjüngung des politischen Personals vor, das würde helfen. Aber auch, das gilt auch für Kirche: selber rein und die Angebote nutzen.

Warum tun sich manche Parteien und auch die Kirchen mit Internet und veränderten Kommunikationswegen mitunter schwer?

Filipović: Man schaut von draußen drauf, und dann versteht man es nicht richtig. Es gibt Dinge, die man selber machen muss, weil die Erfahrung durch die Praxis kommt, zum Beispiel bei Social Media. Die politische Äußerung im Netz, die Like-Dynamik, das dauernde Feedback und die Echtzeit-Kommunikation.

Welche Parteien stehen gut da?

Filipović: Man könnte sagen, dass die Grünen es mit jungem Personal und guten Leuten schaffen, Social Media angemessen zu bedienen. Ich würde es durch die Parteien hinweg gar nicht so sehen, dass der eine oder der andere besser ist. In der CDU gibt es hervorragende Netzpolitiker, genauso wie in der SPD. Interessant, dass sie vorab intern nicht gefragt werden, denn sie haben wirklich Ahnung von dem, was im Netz stattfindet. Es fällt allerdings auf, dass die extremen Parteien viel mehr Follower haben als die etablierten Parteien.

Woran liegt das?

Filipović: Extreme Parteien vertreten Minderheitenmeinungen, die weniger in den Medien vorkommen. Deswegen suchen sie sich alternative Plätze, um sie zu publizieren. Der Populismus kommt hinzu.

Und bei den Kirchen?

Filipović: Bei den Kirchen hat sich etwas getan. Es sind große Apparate - bevor strukturell etwas passiert, dauert es lange. Dass die Kirchen noch keinen Chief Digital Officer haben, verstehe ich nicht. Auch nicht, warum wir keine schöne Kirchen-App haben. Ich sehe, dass die evangelische Kirche vorangeschritten ist mit einer Struktur, die auf Kirchenleitungsebene agiert, und finde es gut, dass sich ökumenisch einiges tut. Es passiert etwas, aber es passiert viel zu langsam. Das liegt auch daran, dass die Leitungspersonen, die Bischöfe, nicht affin genug sind - und auch Angst haben.

Wovor?

Filipović: Davor, Fehler zu machen, und vor zu großen Veränderungen. Die Rhythmen von kirchlichen Veränderungsprozessen sind langsamer als bei politischen Organisationen. Da ist eine große Zurückhaltung zu spüren, zu experimentieren und mitzumachen.

In der Debatte um die Äußerungen von Kramp-Karrenbauer geht es um Meinungsfreiheit. Was bedeutet das im Internet?

Filipović: Es geht um Meinungsäußerungsfreiheit. Ich kann meine Meinung frei äußern, das ist ein Grundrecht. Und es geht um Informationsfreiheit: Ich habe auch das Recht, mich frei zu informieren. Das gilt offline und online, und da sich um ein Grundrecht handelt, können nur andere Grundrechte dieses Recht einschränken. Zum Beispiel das Recht auf Unversehrtheit, auf die Würde der menschlichen Person. Das heißt, es gibt Dinge, die wir zensieren, um Ehre, Würde und Menschen zu schützen.

Zensur als gutes Mittel?

Filipović: Sie kann ein gutes Mittel sein, etwa, wenn es um Jugendschutz geht. Und wenn jemand öffentlich den Mord an den Juden im Zweiten Weltkrieg leugnet, darf er das auch nicht. Aber wir kommen der Wahrheit nicht näher, wenn normale politische Äußerungen vorab zensiert werden. Wir wollen die Pluralität von Meinungsäußerungen haben.

Was heißt das für die Meinungsfreiheit?

Filipović: Man muss schauen: Wie kann man die Kategorie Wahrheit schützen und trotzdem Meinungsäußerungen und -freiheit ein hohes Gut sein lassen? Und das ist manchmal nicht einfach. Momentan haben viele Menschen das Gefühl, man könne sich nicht frei äußern. Das liegt daran, wie wir im Internet miteinander reden. Man wird gleich zusammengeschrien, das ist keine gute Entwicklung - weil Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit wichtige Güter unserer politischen demokratischen Idee sind.

Leticia Witte (KNA)

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