In den Straßen hängen die Wahlplakate und die Wahlbenachrichtigungen sind bereits verschickt: Am 9. Juni wird das Europäische Parlament gewählt. Für viele Bürgerinnen und Bürger ist dieses Parlament weit weg, sie haben keine genaue Vorstellung davon. Da ist die Versuchung groß, nicht wählen zu gehen oder die Stimme nur abzugeben, um der eigenen Regierung eins auszuwischen. Stefan Keßler vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst JRS in Deutschland schreibt, warum die Europawahl für die Flüchtlingshilfe wichtig ist.
Das Europäische Parlament ist gerade für die Arbeit des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes JRS besonders wichtig: Im Flüchtlings- und Migrationsrecht regeln inzwischen Verordnungen und Richtlinien der Europäischen Union (EU) viele Einzelheiten: Die Definition von Flüchtlingen und anderen schutzberechtigten Menschen wird durch europäisches Recht geprägt. Beim Umgang mit besonders vulnerablen Personen (wie unbegleiteten Minderjährigen, Kranken oder Menschen mit Behinderungen) sind europäische Standards von Bedeutung. Und wir berufen uns auf die EU-Rückführungsrichtlinie, wenn wir Bedingungen bei der Abschiebungshaft angreifen. Nationales (deutsches) Recht tritt dahinter zurück.
Bei der EU-Gesetzgebung spielt das Europäische Parlament eine entscheidende Rolle: Ohne seine Mitwirkung und Zustimmung wird kein Regelungsentwurf geltendes Recht.
Es gibt einen gefährlichen Trend: Die Stimmen derjenigen Menschen, für die Anstand und Mitmenschlichkeit noch keine Fremdworte sind, werden von einer kleinen lautstarken Minderheit immer wieder übertönt. Das beeinflusst auch manche Wahlprogramme: Bei der CDU liest man die Forderung, ausnahmslos alle Schutzsuchenden, die in der EU ankommen, in „sichere“ Drittstaaten abzuschieben und ihnen nur dort Zugang zu Asylverfahren und Schutz zu bieten. Die EU-Mitgliedstaaten würden Schutzberechtigte allenfalls im Rahmen freiwilliger „humanitärer Kontingente“ aufnehmen. Auch die FDP verlangt, dass Asylanträge in „sicheren Drittstaaten“ geprüft und die Schutzsuchenden „bis zur Anerkennung des Asylantrags im Drittstaat untergebracht werden“ sollen.
Das internationale Recht verbietet die einseitige Abschottung einzelner Staaten
Die Verwirklichung dieser Vorschläge würde zu eindeutigen Verletzungen der Menschenrechte und zu mehr Leid führen. Das internationale Recht verbietet eine solche einseitige Abschottung einzelner Staaten oder Regionen gegenüber schutzsuchenden Menschen. Deshalb lehnt die SPD in ihrem Wahlprogramm „eine Auslagerung des Asylsystems auf Drittstaaten“ ab. Die Partei tritt für Verbesserungen beim Flüchtlingsschutz ein, „vergisst“ aber zu erwähnen, dass „ihre“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser an den gerade beschlossenen Verschärfungen des Flüchtlingsrechts aktiv mitgewirkt hat.
Die Grünen erheben viele richtige, aber auch teilweise vage und allgemein gehaltene Forderungen zum Flüchtlingsschutz. Die Bedeutung des Themas für die Partei zeigt sich allerdings daran, dass das einschlägige Kapitel erst ab Seite 101 des 113 Seiten umfassenden Wahlprogramms zu finden ist. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Der JRS wird dennoch weiter für ein Europa eintreten, das auf dem Respekt, dem Schutz und der Verwirklichung der Rechte aller Menschen gegründet ist. Dazu gehört die praktische Solidarität mit Menschen, die vor Verfolgung und Gewalt fliehen mussten und in Europa eine neue Heimat suchen. Dafür brauchen wir das Europäische Parlament als Partner. Deshalb bitten wir Sie: Fragen Sie die Kandidierenden danach, wie sie zum Flüchtlingsschutz stehen. Gehen Sie am 9. Juni wählen. Ermuntern Sie Ihre vielleicht gerade wahlberechtigt gewordenen Kinder, Nichten, Neffen, Enkelkinder dazu, ebenfalls wählen zu gehen. Und überlegen Sie bei Ihrer Wahlentscheidung, wie Sie mit ihr Menschenrechte und Flüchtlingsschutz verstärken können.