Familientrennung in letzter Minute gestoppt

In der kürzlich in Betrieb genommenen neuen Abschiebungshaftanstalt im fränkischen Hof hat der JRS erstmals bei einem Fall eingegriffen. Einem pakistanischen Staatsangehörigen drohte die Abschiebung und damit die Trennung von Frau und Kleinkind. Mit anwaltlicher Hilfe konnte das in letzter Minute gestoppt werden.

Am Mittwochabend gegen 20.30 Uhr kam vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof per Fax die erlösende Entscheidung: „Der Antragsgegner wird verpflichtet, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegenüber dem Antragsteller abzusehen“. Nur wenige Stunden später startete der Abschiebungsflug mit 49 Menschen in die pakistanische Hauptstadt Islamabad. Zu diesem Zeitpunkt war Herr Ahmad (Name geändert) bereits zurück bei seiner Familie in Niederbayern: Bei seiner Ehefrau, einer Irakerin, die einen Schutzstatus in Deutschland hat, und der gemeinsamen, zehn Monate alten Tochter. Die Eltern hatten sich hier kennengelernt und im Mai 2020 nach islamischem Ritus geheiratet. Obwohl Herr Ahmad weiterhin gezwungen war, in seiner Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, hielt er sich, so oft es ging, bei seiner Frau und dann auch bei seinem Töchterchen auf. Bei allen Vorsorgeuntersuchungen war er dabei, bei der Geburt, und schließlich kümmerte er sich auch um die Betreuung, angefangen vom Wickeln und Füttern bis zum Trösten und nachts Aufstehen. Juristisch gesprochen: Er hat sein Umgangsrecht und seine Umgangspflicht ausgeübt und eine stabile Vater-Kind-Beziehung aufgebaut.

Familiäre Bindungen stehen unter dem Schutz von Artikel 6 unseres Grundgesetzes. Sind Kinder involviert, geht es insbesondere um deren Wohl. Dennoch werden immer wieder Kindsväter abgeschoben, weil seitens der Behörden die „tatsächliche Verbundenheit“ in Frage gestellt wird. Im Jahr 2019, als die Zahl von Inhaftierungen noch höher war als – coronabedingt - die letzten beiden Jahre, habe ich im Rahmen meiner Beratung in den beiden bayerischen Haftanstalten Eichstätt und Erding insgesamt 26 Fälle von Familientrennung erlebt. Lediglich zwei gingen gut aus, d. h. die Abschiebung konnte gestoppt werden. In 21 Fällen waren Kinder - geboren oder noch ungeboren - betroffen.

„Es reicht!“, möchte man rufen. Doch der Fall des Herrn Ahmad zeigt, dass Behörden weiterhin familiäre Bindungen nicht mit der gebotenen Sorgfalt gegen eine bestehende Ausreisepflicht abwägen. Sind die Betroffenen erst einmal inhaftiert, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Häufig scheitert es schon an der Beurkundung der Vaterschaft, welche innerhalb des Gefängnisses nur schwer zu organisieren ist. In einer Gerichtsentscheidung heißt es dazu lapidar: „Ein Ausreisehindernis folgt auch nicht aus der Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Antragstellers. Die Vaterschaft des Antragstellers steht derzeit nicht fest, insbesondere wurde bisher keine Vaterschaftsanerkennung abgegeben.“

Nun könnte man sagen, naja, der Kindsvater wird wohl bald wieder einreisen dürfen, die Trennung ist nicht für lange. Fehlanzeige. In einem der 24 Fälle, die mit Abschiebung endeten, versucht eine von uns beauftragte Anwältin seit fast zwei Jahren den afghanischen Lebensgefährten und Vater eines mittlerweile eineinhalb Jahre alten Kindes zurück nach Deutschland zu holen.

Bei Herrn Ahmad lag glücklicherweise bereits ein Vaterschaftstest vor, außerdem konnten Familienfotos eingereicht werden, u. a. ein Bild kurz nach der Geburt, sowie andere Dokumente, die seine starke familiäre Beziehung belegen. Vor diesem Hintergrund entschied der Verwaltungsgerichtshof schließlich, „dass die Abschiebung wegen eines aus Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK [Europäische Menschenrechtskonvention] resultierenden Hindernisses vorläufig rechtlich unmöglich ist.“

Br. Dieter Müller SJ

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