Fastenzeit – frei werden für das Wesentliche

In wenigen Tagen beginnt die Fastenzeit als jährliche Vorbereitung auf Ostern. Doch was bedeutet es zu fasten in einer Zeit, die vielen Menschen schon seit gut einem Jahr ein andauerndes Fasten und Entbehren abverlangt? Was könnte es für uns heissen zu fasten, wo wir doch bereits auf so viel Wertvolles und Liebgewonnenes verzichten müssen: auf Begegnungen, Umarmungen, auf Reisen, Feste, Singen und das Feiern von Gottesdiensten in entspannter und angstfreier Atmosphäre?

Sollen wir nun wirklich auch noch auf Schokolade verzichten und auf all das, was uns diese Zeit wenigsten einigermassen lebbar macht: auf ein Bierchen am Abend, ein gutes Stück Fleisch zwischendurch, auf Facebook oder Netflix oder was auch immer ich mir in den vergangenen Jahren vorgenommen hatte?

Vielleicht gibt uns die aktuelle Situation mehr denn je die Gelegenheit, zu unterscheiden, worauf es beim Fasten wirklich ankommt. Es kann wohl kaum darum gehen, mir einfach eine Leistung abzuringen, die dann nicht selten auch noch mich selber zum Ziel hat: ein paar Kilo weniger auf der Waage, ein paar Stunden mehr Schlaf oder auch einfach nur die Befriedigung, es mit Willen und Disziplin geschafft zu haben. Das Ziel des Fastens besteht nicht in der individuellen Selbstoptimierung. „Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer“, hören wir Jesus im Matthäus-Evangelium sagen (Mt 9,13). Opfer haben oft den Charakter von etwas Ichzentriertem. Ich opfere, um etwas zu bekommen: Glück, Gesundheit, Fruchtbarkeit, Wohlwollen oder Erbarmen. Die Barmherzigkeit hingegen hat mit Beziehung zu tun und mit der Offenheit für andere. „Zerreisst eure Herzen, nicht eure Kleider!“ werden wir am Aschermittwoch aufgefordert in der Lesung aus dem Buch Joël (2,13).

Ein gesundes Fasten soll uns also helfen, das Herz zu öffnen für die Welt, für andere und für Gott. Es soll uns befähigen, das Kreisen um das eigene Ich loszulassen und frei zu werden für Beziehungen und Begegnungen. Dass manche sich heute Social Media Fasten auferlegen, ist eigentlich paradox und zeigt die ganze Ambivalenz dieser modernen Kommunikationsmittel. Angepriesen als Ort der globalen Beziehungspflege und der Vernetzung, verkommen Instagram, Facebook, Snapchat, Tiktok und Co. doch oft zum zeitraubenden Mittel individueller Selbstvergewisserung: Ich werde gesehen und geliked, also bin ich.

Wenn ich mir für die kommende Fastenzeit also etwas vornehmen möchte, dann sollte ich mich vielleicht weniger fragen, worauf ich verzichten möchte, sondern wozu ich etwas tun möchte. Was kann ich tun, um bewusster in Beziehung zu sein zu mir, zu anderen und zu Gott? Natürlich kann dabei ein gewisser Verzicht erforderlich sein, um mir den nötigen Freiraum und die Zeit zu schaffen. Aber der Verzicht selber ist nicht das Ziel. Ich könnte zum Beispiel, um nicht ganz auf Social Media zu verzichten, meine Zeit beschränken und vor allem dazu nutzen, Beiträge anderer bewusst wahrzunehmen und mit aufbauenden Kommentaren zu würdigen. Oder ich könnte mir während einer netflixfreien Zeit vornehmen, täglich eine Mail oder gar einen Brief zu schreiben, um alte Bekanntschaften zu pflegen oder aufleben zu lassen. Auch die Lektüre eines theologischen Buches oder einer Heiligenbiographie könnte ein fruchtbares Projekt sein. Mit nur zehn Seiten pro Tag bringe ich es bis Ostern auf 400 Seiten, ein stattliches Buch. Und wenn ich doch auf Schokolade und mein Bierchen verzichten möchte, warum nicht das gesparte Geld in ein Sandwich investieren für einen der vielen Menschen, denen es in diesen Tagen am Nötigsten fehlt.

Gerade in dieser herausfordernden Zeit, wo jeder von uns seine eigenen Strategien hat, mit Ängsten umzugehen und unerfüllte Bedürfnisse zu kompensieren, ist die Fastenzeit ein privilegierter Moment, um mir die Frage zu stellen, was von dem, was meinen Alltag ausfüllt, wirklich wichtig ist und dem Leben dient. Was hilft mir bei dem, was ich wirklich ersehene und sein möchte, und was hindert mich daran, mich dahin zu entwickeln? Möge diese Unterscheidung uns helfen, den Fastenvorsatz zu finden und zu wählen, der unser Herz öffnet und uns lebendiger, freier, hoffender und liebender macht.

Zur Person:

Pater Altenbach lebt und arbeitet als Gefängnisseelsorger und Priester, der Projekte der Jugendpastoral begleitet, in Genf. Beat Altenbach SJ wurde 1965 in Basel geboren und trat 1996 nach einem Chemiestudium an der Universität Basel und einem Doktorat an der Technischen Hochschule Zürich in den Jesuitenorden ein. Nach dem Studium der Philosophie in München und der Theologie in Paris arbeitete er als Universitätsseelsorger in Zürich und Basel sowie als Leiter des Bildungszentrums Notre-Dame de la Route in Fribourg. Beat Altenbach SJ engagierte sich in der Begleitung und Ausbildung in den Exerzitien und leitete ignatianische Exerzitien auf Deutsch und Französisch. Er ist ein leidenschaftlicher Anhänger und Kenner der Spiritualität von Etty Hillesum. Seit Ende 2020 lebt er in Genf, wo er Oberer der Gemeinschaft der Jesuiten in der Romandie ist, die die Mitbrüder in Fribourg, Lausanne und Genf umfasst. Seit 2018 vertritt er die Orden in der Expertenkommission für sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld der Schweizerischen Bischofskonferenz, und seit Juni 2023 ist er Mitglied des Bischöflichen Präventionsrats der Diözese Lausanne, Genf, Fribourg.

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