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Geflüchtete sind eine Bereicherung

Seit 25 Jahren setzt sich der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) in Deutschland für Geflüchtete ein. Auch für jene, denen eine Abschiebung droht. Vor dem katholischen Flüchtlingsgipfel an diesem Mittwoch drängt JRS-Leiter Pater Claus Pfuff im Interview der Deutschen Welle auf ein Ende von Kettenduldungen - und mahnt christliche Gemeinden zu mehr Einsatz für Geflüchtete.

DW: Pater Pfuff, der Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Deutschland wird in diesen Wochen 25 Jahre alt. Was ist Ihre Rolle?

Pater Claus Pfuff: Wir stellen unsere Kompetenz in den Dienst von Menschen in Not. Damals haben wir begonnen wegen der Abschiebehaft in Köpenick, später in Eisenhüttenstadt. Wir kümmerten uns als Seelsorger um die Menschen in Haft. Bei jenen, die kurz vor dem Verlassen der Bundesrepublik waren, schauten wir, ob alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Und wir merkten: Es braucht auch Rechtsberatung und Lobbyarbeit, übrigens auch Rückkehr-Beratung. Nach wie vor, auch heute.

Inwiefern gelingt mit Ihren Netzwerken die Integration von Geflüchteten?

Gerade bei jüngeren Geflüchteten erlebe ich Menschen, die handwerklich sehr qualifiziert sind und auch Studienabschlüsse haben. Tischler beispielsweise oder Glaser. Aber die Anerkennung ihrer Abschlüsse ist in Deutschland nach wie vor zu aufwendig. Die Standards sind hoch und werden zu unflexibel angewandt. Und ich bin davon überzeugt, dass diese jungen Leute Chancen nutzen werden, aber auch, dass wir als Gesellschaft durch sie neue Chancen haben.

Welche Folgen hatte und hat die Corona-Krise?

Das eine ist materielle Not, weil Menschen ihre einfachen Jobs im Dienstleistungsbereich, beispielsweise in Restaurant-Küchen, verloren haben. Da versuchten wir, mit Lebensmittel-Gutscheinen zu helfen. Das Andere bleibt einfach Verunsicherung. Plötzlich schlossen Behörden. Geflüchtete fanden keine Ansprechpartner mehr. Sie dachten, das sei ihre Schuld. Viele, die der deutschen Sprache nicht so mächtig sind, blieben hilflos. Und es ist - um nur ein Beispiel zu nennen - schon schwer, beim Landesamt für Einwanderung online die Möglichkeit der Registrierung überhaupt zu entdecken.

Sie sind auch Mitglied der Berliner Härtefallkommission, die bei Abschiebungen in schwierigen Fällen Möglichkeiten des Bleiberechts auslotet. Lohnt sich die Arbeit?

Der Anteil derer, die nach einer Intervention der Kommission in Deutschland bleiben können, ist überraschend hoch. Und für jeden Einzelnen lohnt es sich. Manchmal geht es um Menschen, die nur eine Wartezeit bis zum Beginn einer Ausbildung überbrücken müssten, für die die Regelungen des Aufenthaltsrechts aber einfach zu unflexibel gehandhabt werden. Und generell dauert es viel zu lange, von einer wiederholten Duldung zu einem geregelten Aufenthalt zu kommen. Manchmal leben die Menschen sechs, sieben Jahre in Unsicherheit. Solche Kettenduldungen müssen ein Ende haben.

Sind Kirchengemeinden für die Integrationsarbeit eine Stütze?

Sehr unterschiedlich. Es gibt Gemeinden, die offen sind und, falls in ihrem Bereich ein Wohnheim errichtet wird, rasch Initiativen entwickeln. Andere schotten sich sehr ab, weil sie Angst vor Fremdheit haben oder einfach mit sich selbst beschäftigt sind. Das ist schon ein Problem.

Am Mittwoch steht der fünfte sogenannte Flüchtlingsgipfel der katholischen Kirche in Deutschland an. Würden Sie sich deutlichere Positionierungen wünschen?

Die Kirche tut gewiss viel. Aber ich würde mir wünschen, dass Kirche klar zu Rassismus und Integration Stellung bezieht. Gerne öfter. Das ist doch unsere Realität. Ein Drittel der Katholiken und Katholikinnen in Berlin sind Zugewanderte mit Migrationshintergrund. Kirche sollte sich als Modell für Integration verstehen und dem auch eine Stimme geben. Sie sollte für die Bereicherung werben. Geflüchtete sind - bei allen Schwierigkeiten der Integration - eine Bereicherung für Kirche und Gesellschaft. Das gilt übrigens nicht nur für die Großstadt. Ich persönlich komme aus Bayern, aus einer ländlichen Gegend. Und ich glaube, gerade Dörfer im ländlichen Raum hätten ganz eigenes Potenzial der Integration.

Wie sehr ist die Frage der Offenheit ein europäisches Problem?

Gewiss ist das so. Und sicher gibt es ein Ost-West-Problem. Gerade Länder, die sehr stark und lange Zeit unter sich geblieben sind und keine Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen hatten, tun sich schwer, den Dialog und die Offenheit zu wagen. Aber ich glaube, dass Europa die große Weite und die Kompetenz haben kann, bei diesem Thema untereinander sprachfähig zu sein. Bislang ist es doch schockierend, wie lange schon über die Aufnahme einer letztlich geringen Zahl von Minderjährigen diskutiert wird, ein ewiges Hin und Her. Wenn die Politik jetzt Europa einen neuen Schub geben will, muss es auch um diese Offenheit und um Integration gehen.

Claus Pfuff ist Pater des katholischen Jesuitenordens, ausgebildeter Sozialberater und Exerzitienleiter. Seit 2018 leitet er den Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland. Der internationale Flüchtlingsdienst der Jesuiten, mit dem sich der Orden für Flüchtlinge und Migranten in rund 50 Ländern weltweit engagiert, kümmert sich in Deutschland um Abschiebehäftlinge, um Rechts- und Härtefallberatung für Flüchtlinge und Migranten und leistete im Zuge des Corona-bedingten Shutdowns auch soziale Unterstützung.

Das Gespräch führte Christoph Strack.

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