Gegen die Informationsflut

Informationen, Bilder und Nachrichten prasseln auf allen Kanälen auf uns ein. Wie können wir sinnvoll und vernünftig mit dieser Realität umgehen? Kann Spiritualität zu einem besseren Umgang mit der Informationsflut befähigen? Stefan Hofmann SJ, Herausgeber des Buchs „Posts, Tweets und Fakenews“ denkt, ja. Hier ein Ausschnitt aus seinem Artikel, der gerade vor den Feiertagen eine gute Anleitung sein könnte.

Als die zunehmende Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 im März 2020 auch Europa erfasste, bestimmten die Meldungen über das Virus schnell die deutschsprachigen Medien. Was Politikerinnen und Politikern kaum gelingt, stellte sich ein: die volle Aufmerksamkeit aller Nachrichtenportale und Sender für die zunehmende Ausbreitung des Virus. Auf meinem Handy ging das so weit, dass plötzlich ungeplant eine App zu melden begann: „1.257 neue Corona-Fälle“, „1.786 neue Corona-Fälle“ usw. Ich war zu dieser Zeit gut beschäftigt und neige auch sonst nicht zu Ängstlichkeit in Sachen Hygiene. Allerdings ließ mich das allseitige Informationsbombardement zu Covid-19 nicht unberührt.

Sehr gut erinnere ich mich an die ersten Erfahrungen mit Maskenpflicht im Supermarkt. Die immer neue Konfrontation mit Menschen mit OP-Maske vermittelte mir das dumpfe Gefühl, dass mit dieser Welt „etwas nicht in Ordnung“ ist. Ist denn alles hygienisch bedenklich? dachte ich wiederholt. Der Gedanke an die Haltegriffe der Straßenbahn verband sich unweigerlich mit Bildern von hustenden Zeitgenossen. Ist denn jeder Mensch eine Gefahr? Als mir eines Tages in einem Markt ein sehr ungepflegter älterer Mann entgegenkam, schoss es mir in den Sinn: Der könnte das Virus haben, der hält keine Hygieneregel ein! Die beständige Information über die Ausbreitung der Pandemie und die Bilder von Menschen in Schutzkleidung und OP-Masken hatten meine Wahrnehmung verändert. Sonst hätte ich den unrasierten Mann für einen hilfsbedürftigen Obdachlosen gehalten. Jetzt erlebte ich ihn primär als Gefahr.

Steter Tropfen höhlt den Stein

Die geistliche Tradition hat sich die Einsicht, dass uns die oft wiederholte Konfrontation mit bestimmten Bildern und Informationen prägen kann, ganz bewusst zunutze gemacht. Die großen Mystikerinnen und Mystiker schöpften oft aus ihrer eigenen Erfahrung. Dies gilt auch für Ignatius von Loyola, der in seiner Spiritualität ganz gezielt Anregungen für ein bewusstes Wiederholen gab. Seine Anregungen werden in den „Exerzitien“ auch heute noch verwendet: Wer sich heute zu geistlichen Übungen in ein Kloster oder Exerzitienhaus begibt, erhält meist vier Übungen à 45-60 Minuten pro Tag. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass in der Reihe der Übungen auch die eine oder andere „Wiederholungsbetrachtung“ empfohlen wird. Echt jetzt, schon wieder diese Übung?, so denken manche dann. Wer auf den Geschmack kommt, kann solche Wiederholungen jedoch sehr genießen.

Im Exerzitienbuch des Ignatius liest man, man solle „jene Punkte“ bemerken und bei ihnen verweilen, „bei welchen ich größere Tröstung oder Trostlosigkeit spürte oder größeres Fühlen im (Heiligen) Geist.“ (EB 62; vgl. EB 118-120) So wie die oftmalige Wiederholung der negativen Nachrichten über Covid-19 manchmal unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit bestimmt, so könnte uns auch die Wiederholung einer guten Nachricht formen. Die Wiederholung einer geistlichen Übung kann uns zu vertiefter Selbsterkenntnis und zur Begegnung mit Christus führen und so unsere Wahrnehmung der Welt zum Positiven hin verändern.

Eine Übung für den Alltag

Ein sehr bewährtes Wiederholungsgebet, das aus den orthodoxen Kirchen stammt, das aber auch der Spiritualität des Ignatius sehr nahesteht, ist das sog. Jesus-Gebet. Viele Menschen versuchen, in ihren Gedanken bzw. in ihrem Herzen beständig den Namen Jesu aussprechen. Eine der verbreiteten Anrufungen lautet: „Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich meiner des Sünders.“ Der erste Teil des Gebets lässt sich mit dem Einatmen verbinden: „Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes ...“ Der zweite Teil wird mit dem Ausatmen vollzogen: „… erbarme Dich meiner des Sünders.“ Die Gebetsübung lebt davon, dass sie zu einer bestimmten Zeit des Tages als ausdrückliches Gebet geübt wird. Aufgrund der Wiederholung und durch Gottes Gnade kann das Gebet dann aber in vielen Situationen des Tages wiederkehren: im Treppenhaus, auf dem Weg zum Supermarkt, in der Straßenbahn etc. Anstelle der ständigen Informationen über die Verbreitung von Covid-19 kann so der geistliche Inhalt eines stärkenden Gebets den Alltag prägen.

Wer seine eigenen Schwächen kennt, kann das mit dem Atem verbundene Wiederholungsgebet sogar auf seine persönliche Situation hin anpassen. Wer dazu neigt, die Welt als Infektions- oder Gefahrenherd anzusehen, könnte wiederholend beten: „Der Herr ist mein Hirte. ER bist bei mir – mächtig und liebend, ich gehe mit Dir.“ Oder einfach: „Christus, mein Heiland, – mit Dir kann ich gehn.“ Wir dürfen Gott um seine Hilfe bitten und betend unterscheiden, von welchen Informationen und Bildern wir uns prägen lassen wollen. Für gläubige Menschen zählen zu den Informationen über unsere Welt auch die vielen „guten Nachrichten“ des Evangeliums und des Glaubensbekenntnisses. Das wiederholte Verinnerlichen dieser guten Nachrichten kann neue Gewohnheiten ausbilden und uns einen neuen Blick auf die Welt erschließen. Vielleicht sehen wir dann auch mögliche Gefahrenherde wie die ungepflegt wirkende Person im Supermarkt mit neuen Augen.

Autor:

Stefan Hofmann SJ

Pater Stefan Hofmann SJ wuchs in Wackersdorf in der Oberpfalz auf und studierte nach dem Zivildienst (in der Krankenpflege) in Regensburg, Rom und Steubenville (Ohio/USA) Theologie und Philosophie. 2010 trat er ins Noviziat der Gesellschaft Jesu in Nürnberg ein. Nach zwei Jahre in der Jugendarbeit und der pfarrlichen Seelsorge in Wien-Lainz zog er im September 2014 nach Ludwigshafen am Rhein und nach Tübingen, um in Moraltheologie zu habilitieren. 2016 wurde er zum Priester geweiht. 2022 wurde er zum Professor für Moraltheologie der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck berufen.

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