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Gott begegnen im Gefängnis

P. Johannes König SJ ist seit 2007 Seelsorger in zwei Gefängnissen im österreichischen Graz. Er berichtet von seinen Begegnungen und Gedanken an einem Fastensonntag im Knast.

Heute ist Sonntag „Laetare“, das heißt: „Freue dich“. So heißt der 4. Sonntag der Fastenzeit. Ich komme vom Gottesdienst in der Justizanstalt Graz-Karlau, einer Strafanstalt für Männer. Vorher, also um 6:15 Uhr, war schon der Gottesdienst in der Landesgerichtlichen Justizanstalt Graz-Jakomini. Dort fangen alle, die verhaftet werden, mit der Untersuchungshaft an. In beiden Anstalten leben je um 500 Insassen. In der JA Jakomini gibt es auch eine Abteilung für Frauen und eine für Jugendliche. Wie im Gefängnis Sonntag „Laetare“ feiern? Wir sind froh, dass wir mit etwas eingeschränkter Teilnehmerzahl seit ein paar Wochen in den Gefängnissen wieder Gottesdienst feiern können.

Den Schlüssel in der Hand

Wir leben alle seit einem Jahr unter den Bedingungen der Pandemie und suchen uns vor dem Coronavirus zu schützen. Die Regierung sperrt uns zum Schutz zeitweise ein und hat vieles zugesperrt. Schon auch eine gemeinsame Erfahrung einer Art Gefängnis. Wir haben allerdings immer noch die Schlüssel in der Hand und sind gebeten, freiwillig auf Kontakte zu verzichten. Wer hätte sich vor einem Jahr solche Bedingungen vorstellen können? Es ist uns nicht gerade nach „Laetare“ zumute.

Leidvolle Lebensgeschichten

Ich habe das Evangelium von der Blindenheilung (Joh 9) genommen. Dazu die Lesung aus dem 1. Buch Samuel mit dem zentralen Satz: „Gott sieht nicht auf das, worauf der Mensch sieht. Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der HERR aber sieht das Herz.“ Dieser Satz lässt mich aufhorchen. Ja, was sehe und höre ich oft, wenn ich mit einem Gefangenen spreche oder ihm begegne? Da gibt es genug leidvolle Lebensgeschichten, die von vielen Verletzungen des Herzens erzählen. Ja, es gibt viel Leidensgeschichte. Dazu kommt, dass das Leben im Gefängnis zum Entzug der Freiheit Demütigungen und Erniedrigungen erfahren lässt. Von Mitgefangenen und vom Personal. Ist halt so, wie im Leben sonst, nur ist man als Häftling dem ausgeliefert. Ohne Entkommen. Es ist wie in manchen Psalmen, die aber in allem Leid zum Vertrauen auf Gott einladen, von seiner Treue und erfahrenen Hilfe erzählen und damit zu Trost und Hoffnung führen.

Wie zeigt sich Gott?

Und im Evangelium geht es um die Auseinandersetzung: Ist dieser Mann Jesus von Gott oder nicht? Für mich als Seelsorger ist gerade im Gefängnis wichtig, wie ist Gott im Spiel, bzw. wie können wir das erkennen und als wer zeigt sich Gott. Die Schule dafür ist das Wort Gottes.

Es ist für mich mit jedem neuen Menschen im Gefängnis eine neue Entdeckungsreise. Natürlich sprechen sie nicht unsere gewohnte kirchliche Sprache. Die Wenigsten sind religiös sozialisiert bzw. nur sehr rudimentär, was auch heißen kann, sie haben Glaube und Gott sehr einseitig mitbekommen. Mit einem „Pfarrer“ - so werde ich meist angesprochen – haben sie kaum jemals zu tun gehabt. Der Erstkontakt kommt meist über kleine Hilfen zustande, z.B. etwas Geld, um telefonieren oder sich Tabak kaufen zu können.

Unerwartete Sternstunden

Immer wieder werde ich auch nach einer Bibel gefragt. In den verschiedensten Sprachen. Ich schaue darauf, dass in der Gefängnisbibliothek entsprechende Bibeln stehen. Ich frage dann, wie sie die Bibel lesen. Die Antwort ist meistens: „Ja, von vorne.“ Wie man halt ein Buch liest. Dann versuche ich eine kleine Einführung. Dass es z.B. in der Bibel ein eigenes Gebetbuch gibt. Oder einmal ein Evangelium zu lesen, das mir ein Bild von Jesus vermitteln will. Das alles setzt natürlich voraus, dass wir uns verständigen können. Das kann manchmal recht mühsam sein, wenn es keine gängige gemeinsame Sprache gibt. Die Schwierigkeit der Verständigung trifft natürlich auch auf den sonstigen Betrieb im Gefängnis zu. Im Blick auf meine Arbeit im Gefängnis gibt es die „Sternstunden“. Völlig unerwartet. Ein Beispiel: Ein erst kurz in Untersuchungshaft gekommener, in Medizin hochqualifizierter und frommer Mann ist mit einem jungen „Junkie“ zusammen im Haftraum. Er hat bei der Verhaftung ein Gebetbuch mit den Psalmen mitnehmen können und betet gelegentlich laut einen Psalm. Sein junger Haftkollege hört das und wird neugierig. Er beginnt nachzufragen und es folgen lange Gespräche. Ist das nicht eine Freude, so etwas erzählt zu bekommen?

„Ich verlasse mich auf den Herrn. Ich will jubeln und über deine Huld mich freuen; denn du hast mein Elend angesehn, du bist mit meiner Not vertraut.“ (Psalm 31,7f)

Im Blick auf die Menschen im Gefängnis klingen Worte aus der Schrift auf einmal neu und bedeutungsvoll. Sie wecken Hoffnung und auch Freude.

„Danke, Herr!“

Zur Person:

Johannes König SJ

Pater König wurde 1944 in Telfes im Stubai/Tirol geboren. 1962 trat er in das Noviziat der Jesuiten in St. Andrä im Lavanttal ein und empfing 1971 in Innsbruck die Priesterweihe. In Innsbruck und Wien war Pater König Jugend- und Studentenseelsorger, dann Minister an beiden Orten. Seit 2007 ist er Seelsorger in den Grazer Gefängnissen sowie im psychiatrischen Krankenhaus. Darüber hinaus ist Pater König Geistlicher Assistent von Pax Christi Steiermark und arbeitet in der Katholischen Stadtkirche Graz mit.

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