• Drei Bischöfe: Bischof Joseph Bonnemain, Weihbischof Peter Henrici und Erzbischof Martin Krebs. | © Arnold Landtwing
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Henrici: Geht hinaus und dient!

„Rückblick – Ereignisse und Erlebnisse“ lautet der Titel des neuesten Buches von Jesuitenpater und Weihbischof Peter Henrici SJ, das während einer Vernissage in der Paulus Akademie in Zürich vorgestellt worden ist. Im Interview mit dem Kanton Zürich motiviert Henrici die Kirche in Europa zum Hinausgehen und Dienen, zum Abschied von Zentralismus und dem Zulassen von Vielfalt.

Auch mit seinen 93 Jahren ist Weihbischof Peter Henrici im Gespräch höchst präsent und formuliert seine Gedanken präzise. Im Rahmen einer Vernissage an der Paulus Akademie wurde sein neuestes Buch vorgestellt, das als ausführliches Interview mit Urban Fink auf ein ereignisreiches Leben zurückblickt. Gewidmet hat Peter Henrici das Werk seinem geistlichen Bruder Weihbischof Paul Vollmar und seinem kürzlich verstorbenen Bruder Andreas. Überraschener Gast an diesem Abend war Nuntius Martin Krebs.

Der Blick in die Vergangenheit bietet manche Episode aus dem Leben von Peter Henrici, die bisher nur wenigen bekannt waren. Diese können im Buch nachgelesen werden. Ein ausführlicher Bericht zur Vernissage und den Reden ist hier verlinkt.

Vielmehr als der Rückblick und die Laudatio interessiert uns jedoch, was der emeritierte Weihbischof zur gegenwärtigen Situation der Kirche zu sagen hat. Und wie er die Zukunft der Kirche sieht. Arnold Landtwing hat mit ihm ein Interview geführt und ihn darauf befragt.

Weihbischof Henrici, zuerst ein Blick zurück: Sie haben damals einen Pastoralplan mit dem Ansatz der «Geh-hin-Kirche» entwickelt. Erkennen sie diesen Pastoralplan 2021 als umgesetzt?

Der Pastoralplan von damals war ein Gemeinschaftswerk. Wir haben geschaut, in welche Richtung die Kirche gehen und arbeiten müsste. Das ist kein Arbeitsprogramm, das man erfüllen und abhaken kann. Vielmehr zeigt es eine Denk- und Handlungsrichtung an. Wie weit die einzelnen Zürcher Pfarreien in der Richtung dieses Pastoralplanes gegangen sind, kann ich aus Distanz nicht beurteilen.

Was verbinden Sie mit dem Begriff der «Geh-hin-Kirche»?

Hinter der Formulierung der «Geh-hin-Kirche» steht die Vorstellung, die auch manchen Konzilsvätern eigen war: «pour une église servante et pauvre», es geht um eine dienende und arme Kirche.

Eine arme Kirche ist im Kanton Zürich leider nicht zu verwirklichen, deswegen muss es da umso mehr eine dienende Kirche werden.

Ihre ureigene Aufgabe besteht darin, den Menschen zu dienen; denn die Kirche ist kein Selbstwert. Die Kirche ist, wenn man so sagen kann, das Instrument Gottes für die Erfüllung seines Heilsplans. Durch sie soll das Angebot seines Heils zu allen Menschen gebracht werden.

Die Botschaft Gottes zu den Menschen bringen wird eine immer schwierigere Aufgabe: Die institutionelle Bindung an die Kirche verdunstet, die Austrittszahlen zeigen ein deutliches Bild…

Das ist wahrscheinlich gar nicht schlecht. Die Institution ist eher ein Hindernis, sie ist nur ein Mittel zum Zweck, vielleicht gibt es andere Mittel und Orte, wo man die Botschaft besser verkünden kann. Die Kirche ist eine Gemeinschaft von Menschen, die etwas von dieser Heilsgabe Gottes empfangen haben und sie weitergeben wollen. Je mehr sie das ins lebendige politische, wirtschaftliche Leben hineingeben, um so besser ist es.

Heisst das, Kirche muss politisch sein? Sie sprechen da ein kontrovers diskutiertes Thema an.

Die Kirche muss sich un-be-dingt(!) politisch engagieren, aber nicht parteipolitisch. Im Französischen unterscheidet man «le politique» und «la politique». Ersteres ist wichtig für die Kirche, mit der zweiten hat sie nichts zu tun.

Wie sieht die Kirche im Jahr 2040 aus? Welche Vision haben sie?

Wie die Welt dann aussehen wird, weiss ich heute auch nicht. Ich denke aber, dass mein Arbeitsprinzip - das auch das kirchliche ist - dann noch gültig sein wird:

„Sich durchwursteln“, das heisst je und je die Aufgaben zu erfüllen suchen, die sich dann gerade stellen.

Das eigentliche Bild für die Kirche ist das Schiff, nicht ein Geschäftsmodell, oder eine Institution. Sie ist ein Schiff, ein kleines dazu, das im stürmischen Ozean der Welt unterwegs sein muss auf ihr Ziel hin, das Gottesreich. Es gilt, auf die Strömung zu achten und auf das, was gerade aktuell ist, zu antworten. Sicher ist, dass man nicht allzu viel Wasser des Ozeans an Bord schöpfen darf.

Um beim Bild des Schiffes zu bleiben: Wer bestimmt den Kurs? Eine Zentrale? Oder sollen kontinentale Kirchenschiffe ihren Kurs selber bestimmen können?

Darauf zu antworten ist genau die Absicht des synodalen Prozesses, wie Papst Franziskus ihn versteht: Eine Dezentralisierung der Kirche.

Wir müssen uns immer mehr bewusst werden, dass wir in Europa nicht der Mittelpunkt und Schwerpunkt der Kirche sind, sondern ein ganz kleiner Teil der Weltkirche. Wir in der Schweiz sind nicht einmal Kirche von Europa. Aber genau da, wo wir sind, müssen wir hinausgehen und diakonisch zu Dienst sein., denn die Kirche ist nicht für sich selber da. Es kommt darauf an, was sie tun und bewirken kann, wie sie das Heilsangebot Gottes zu allen Menschen bringen kann, nicht nur zu denen in der Kirche.

Sie meinen: Weg von Machtausübung und hin zu Verkündigung?

Ja, erstens das und zwar nicht nur zur Verkündigung, sondern vorher noch zur Diakonie. Und zweitens: weg von Zentralismus hin zu Vielfalt je nach Gegend und Situation.

Sie haben zusammen mit Kirchenratspräsident Ruedi Reich mit dem gemeinsamen Ökumenebrief 2007 einen Meilenstein in der Ökumene gesetzt. Wo motivieren Sie uns heute, weiterzugehen?

Der Ökumenebrief entsprang aus dem gelebten Leben. Wir mussten damals auf die Anfrage einer ökumenischen Frauengruppe reagieren und antworten. Wir haben dann die Gelegenheit wahrgenommen, die Antwort einzubetten in ein viel grösseres Konzept von ökumenischem Tun und Befinden. Auch heute muss Ökumene weitergehen, wo es möglich ist – und das ist nicht gerade dort, wo die grössten Klippen sind...

…das heisst…?

Ökumene und Zusammengehen der Kirchen in vielen praktischen Bereichen, in Diakonie und Verkündigung: Das hat Zukunft. Ebenso ist das Zusammengehen mit anderen Religionen ein Muss.

Die Fragen lauten: Was ist uns gemeinsam? Was können wir als gemeinsam verstehen? Was können und müssen wir gemeinsam tun? Dann aber auch: Und was unterscheidet uns? In einem Satz: Das Unterscheidende nicht unterdrücken, sondern das Gemeinsame ausbauen.

Welchen Rat würden Sie einem frisch geweihten Priester, einer neuen ungeweihten Theologin oder einem Theologen am Anfang des Wirkens in der Seelsorge mit auf den Weg geben?

Ich würde ihm oder ihr sagen: Überleg dir, was du bekommen hast und wie du das weitergibst. Vertrau den Menschen und der Vielfalt.

Sie meinen: Charismen? Heiliger Geist?

Nein, das muss jeder und jede selber wissen, was er oder sie bekommen hat. Es geht um Vertrauen in die Menschen und in die Vielfalt des Göttlichen Wirkens.

Dabei muss man aber auch immer darauf achten, dass man nicht den eigenen Vogel mit der Taube des Heiligen Geistes verwechselt. Es braucht immer auch eine Unterscheidung der Geister.

Als Professor konnten Sie am Ende einer Vorlesung Ihre Hauptanliegen auf ein paar wenige Kernsätze kondensiert zusammenfassen. Darf ich darum bitten…?

Wir müssen uns immer mehr bewusst werden, dass wir in Europa nicht der Mittelpunkt und Schwerpunkt der Kirche sind, sondern ein ganz kleiner Teil der Weltkirche. Wo wir sind, müssen wir hinausgehen und das Heilsangebot Gottes zu allen Menschen bringen, nicht nur zu denen in der Kirche.

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