"Ich bin für dich da"

„Leider muss ich Ihnen sagen, dass Sie einen faustgroßen Tumor haben, bösartig“: Der 25. September 2017 war ein strahlender Herbstnachmittag, schönstes Oktoberfestwetter. Mit der Diagnose Krebs hatte ich nach der Darmspiegelung nicht gerechnet. Es war eine Routineuntersuchung gewesen. Tags darauf, im Klinikum Neuperlach, der nächste Hammersatz: „Sagen Sie alle Termine für ein Jahr ab!“ Sowas haut einen um. Und ändert alles, schlagartig. Meine Lebenszäsur. Eine Viertelstunde später hörte ich auf dem Handy, als ich einen befreundeten Arzt anrief, der damals im Beirat meiner Zeitschrift saß: „Ich bin für dich da!“ Allein in Deutschland erkranken jährlich rund 61.000 Menschen an Darmkrebs. 25.000 sterben. Ich gehöre zu den Überlebenden.

Nach 17 Jahren bei den „Stimmen der Zeit“ sollte ich mit Jahresende 2017 aus der Redaktion ausscheiden. Geplant war eine Sabbatzeit. Der Flug nach Tel Aviv war längst gebucht, am 19. Dezember 2017 wäre es losgegangen. Durch den Arztbesuch wurden sämtliche Pläne Makulatur. Der vorzeitige Ausstieg aus der Arbeit erfolgte abrupt, ersparte mir aber damit verbundene Wehmut. Mitte Oktober begann die Behandlung: Chemo- und Strahlentherapie. Ich war sofort inkontinent. Windelträger mit 55! Mittlerweile habe ich eine große, mehrstündige Operation (Januar 2018) hinter mir und drei kleinere – und lebe noch. Und gerne dazu. Ab 1. März werde ich in Jerusalem sein. Vor einem Jahr wusste ich nicht, ob ich diese Sabbatzeit würde nachholen können.

Niemand wünscht sich die Diagnose Krebs. Und alles, was damit verbunden ist: Was zu lernen und, wenn man überlebt, täglich einzuüben ist – weil das Leben danach nicht mehr so weiterläuft wie vorher. Wer im fünften Lebensjahrzehnt das erste Mal als Patient in eine Klinik kommt, bringt die Neugierde eines Kindes mit, aber auch die Ängste eines Kindes. Wer während der Behandlung nicht stirbt, spürt schnell: Es beginnt ein Weg. Zu Ende ist nur die Behandlung. Gehen und gestalten muss diesen Weg jeder Mensch selbst.

Ein österreichischer Verlag meldete sich im Frühjahr 2018: Ob ich meine Erfahrungen schriftlich festhalten könne. Ein Arzt und ein Mitbruder, der in Wien als Hospizseelsorger gearbeitet hatte, rieten mir, die Achterbahn der Gefühle zu Papier zu bringen: meine Ängste, meine Fragen, meine Hoffnungen. Daraus wurde ein Buch. Mitte Januar 2019 ist es erschienen: „Durchkreuzt. Mein Leben mit der Diagnose Krebs“. Ich berichte darin, wie ich mit meiner Erkrankung umging, wie ich mit der Behandlung zurechtkam: Wie lange lebe ich noch? Überlebe ich? Und wie? Hilft der Glaube? Und was davon? Welche Gebete wurden wichtig? Welche Texte sprachen mich an?

Besser als jedes Wort tröstet eine Hand, die einen drückt, oder eine stille Umarmung. Das habe ich erlebt. Ebenso wie „fromme Dauerberieselung“ bei Besuchen am Krankenbett. Manche halten das Schweigen nicht aus. Einfach da sein, auf diese Weise Anteil nehmen, das hilft manchmal mehr. Es tut wohl. „Tröstet einander“ – aber eben nicht nur mit Worten!

Autor:

Andreas R. Batlogg SJ

Andreas R. Batlogg SJ ist 1962 in Lustenau/Vorarlberg geboren und 1985 in die österreichische Provinz der Jesuiten eingetreten. 1993 wurde er zum Priester geweiht. Er hat Philosophie und Theologie in Innsbruck, Israel und Wien studiert und eine Promotion über Karl Rahners Christologie abgeschlossen. Er war bis Dezember 2017 Herausgeber und Chefredakteur der Kulturzeitschrift "Stimmen der Zeit" und Mitherausgeber der „Sämtlichen Werke“ Karl Rahners. Heute ist er Publizist und Mitglied des Seersogeteams von St. Michael in München. Zuletzt erschienen "Der evangelische Papst. Hält Franziskus, was er verspricht?" (Kösel, 2018) und "Durchkreuzt. Mein Leben mit der Diagnose Krebs" (Tyrolia, 2019).

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