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Im Mittelpunkt steht ein Kind

Dieses Jahr wird Weihnachten mit der Familie ganz anders. Das ist für mich nicht nur ein (frommer?) Wunsch, sondern garantiert. Denn in meiner Familie steht dieses Jahr zu Weihnachten tatsächlich die Geburt eines Kindes im Mittelpunkt des Interesses. Dieses Kind würde ich allerdings nicht Jesus nennen: Mein Bruder wird zum ersten Mal Vater, meine Brüder und ich erstmals Onkel, meine Eltern Großeltern. Das Geburtsdatum fällt wohl in die Weihnachtszeit.

Passt doch.

Im Zusammenhang mit einem Kinderwunsch höre ich gelegentlich die besorgte Frage: Können wir es denn jemandem zumuten, in dieser Welt heute aufzuwachsen? Abgesehen von allgemein komfortableren Lebensstandards als je zuvor ist die Frage bedenkenswert. Wer „diese Welt heute“ infolge medialer Vermittlung zunächst als komplexes Chaos allgegenwärtiger Bedrohungen durch Verbrechen, Gewalt und Umweltzerstörung wahrnimmt, dürfte sich zurecht erschlagen fühlen.

Eine Betrachtung der Welt sieht Ignatius auch in den Geistlichen Übungen vor. Diese soll allerdings vom Standpunkt der Dreifaltigkeit aus geschehen. Vater, Sohn und Heiliger Geist blicken nach dieser Vorstellung auf die Menschen, die „in so großer Blindheit lästern, verwunden, sterben“, bis sie sich entschließen, die Menschen zu erlösen. Wie erlöst Gott die gesamte Menschheit? Indem er Mensch wird, an einem konkreten Ort zu einer bestimmten Zeit.

In diese Richtung geht auch meine Antwort auf die oben gestellte Frage. In „diese Welt heute“ hinein wächst ein Kind an einem konkreten Ort auf, umgeben von Eltern, Familie und Freunden. In jedem Kind wird auch eine eigene Betrachtung der Welt neu geboren, die durch seine emotionalen Schlüsselerfahrungen mit anderen geprägt ist. Diese können ja mehr als nur zumutbar sein, wenn Kinder Wertschätzung und Geborgenheit geschenkt bekommen.

Eine reichlich düstere Sicht stellt die Einleitung des Johannesevangeliums entgegen. Dort heißt es, der Gottessohn kommt in die Welt, „sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“. Doch folgen wir den anderen Evangelisten, dann hat Jesus mit Maria und Joseph doch auch konkrete Zuwendung und Aufnahme von liebenden Eltern empfangen. Sie tragen ihren Teil dazu bei, dass er durch sein Leben und Sterben zwar nicht alles verändert, aber alles verwandelt hat.

Vielleicht müssen (werdende) Eltern heute nicht die Welt retten, bevor sie ihren Kindern das Leben schenken. Vielleicht reicht es, sie sorgen nach ihren Kräften für ihre lieben Kleinen und geben ihnen in einer verrückten Welt das Gefühl, dass wenigstens ihre Liebe unverrückbar ist. So muten sie ihnen die Freiheit zu, selbst in diese Welt hineinzustolpern, ohne sie je fallen zu lassen.

Gottvater schließlich mutet uns allen diese Welt zu - nicht zuletzt seinem eigenen Sohn. Vielleicht traut er uns am Ende doch zu, dass wir Aufnahme empfangen und schenken können. Dann wäre ja schon Weihnachten.

Fabian Retschke SJ

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