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  • ...die mit dem Boot aus Bangladesch nach Lampana, Indonesien, kamen
  • Bruder Schöpf im Gespräch mit einem jungen Rohingya-Flüchtling im Camp in Indonesien
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Immer ganz nah an den Geflüchteten

Der deutsche Jesuit Br. Michael Schöpf SJ ist seit September weltweiter Direktor der renommierten Flüchtlingshilfsorganisation Jesuit Refugee Service (JRS). Im Interview spricht er über die Herausforderungen für den JRS, den Krieg in der Ukraine und wie Versöhnung funktionieren kann.

Herzlichen Glückwunsch zur Ernennung, hatten Sie damit gerechnet?

Nein, es gab ja eine Reihe sehr guter Bewerber. Es war eine Liste mit 14 Kandidaten erstellt worden, die zum ersten Mal in einem klaren, und ich finde sehr professionellen Prozess bewertet wurden. Das Auswahlgremium war mit Laien und Jesuiten besetzt. Was mich auch freut ist, dass der Orden zum ersten Mal einen Bruder mit der Aufgabe betraut.

Und Sie sind bereits der dritte Deutsche.

Ja nach Dieter Scholz und Peter Balleis. Offenbar haben die beiden einiges richtig gemacht in dem Amt. Es spiegelt auch das langjährige Engagement der deutschen Provinz in diesem zentralen Apostolat des Ordens wider.

Ist es hilfreich, wenn man aus einem Land kommt, das ein wichtiges Ziel von Migration ist?

Ich denke, es kommt nicht darauf an, woher man kommt, sondern dass man die Erfahrung von Flucht und Migration in möglichst vielen ihrer Facetten versteht. Hier ist für uns im JRS hilfreich, dass wir die Geflüchteten auf ihrem gesamten Weg begleiten, mit ihnen den Alltag teilen, immer ganz nah vor Ort mit ihnen sind, und aus diesen Erfahrungen versuchen, die richtigen Schlussfolgerungen für unsere Angebote ziehen. Es ist ein Geschenk, Geflüchtete begleiten zu können.

Was werden die wesentlichen Aufgaben in ihrem Amt sein?

Ich sehe zwei große Herausforderungen. Zum einen wird sich der JRS weiterentwickeln zu einer wirklich globalen Organisation. Dafür benötigen wir die finanziellen Ressourcen und die Strukturen. Die konkrete Begleitung der Flüchtlinge an den vielen verschiedenen Orten, an denen wir präsent sind, ist das Herz des JRS, der Dreh-und Angelpunkt unseres Engagements. Etwas verändern können wir aber nur, wenn wir weltweit unsere Expertise weiterentwickeln und den Geflüchteten zu einer Stimme verhelfen. Es geht nicht nur um einzelne Fluchtereignisse oder einzelne Flüchtlingslager.

Sondern?

Derzeit gibt es weltweit rund 100 Millionen Menschen, die geflüchtet sind. Beinahe 40 Prozent davon sind Kinder. Das bedeutet, dass Bildungsangebote für diese 40 Millionen Schülerinnen und Schüler gebraucht werden, diese konzipiert, organisiert und finanziert werden müssen. Diese Herausforderung kann nicht lokal angegangen werden, sondern nur global. Und wir möchten da mit unserer Erfahrung und Kreativität ein Teil dieser Lösung sein. Das gilt auch für eine Reihe anderer Bereiche.

Was ist die zweite Herausforderung?

Wir werden zunehmend Migration als Folge von Klimawandel sehen, und die Erderwärmung wird auch unsere Projekte beeinträchtigen – wir haben das schon im Südsudan erfahren, in Asien und in Lateinamerika. Wir müssen eine systematische Antwort darauf finden, wie den Menschen Schutz gewährt werden kann. Ich sehe hier aber auch eine Chance, nämlich dass wir unsere Arbeit verknüpfen können mit den jungen Klimaschützern und dadurch auch neue Kontakte, Impulse und Wirkmöglichkeiten gewinnen.

Haben die Menschen in Europa angesichts des Kriegs in der Ukraine noch genügend Interesse an der Not von Geflüchteten?

Ich meine ja, auch wenn andere Konflikte wie Myanmar teilweise in den Hintergrund geraten. Diese Aggression in unserer unmittelbaren Nachbarschaft führt uns brutal vor Augen, was Gewalt anrichtet. Das schärft unsere Wahrnehmung dafür, was Unrecht ist. Und das führt auch dazu, dass wir uns in der Begleitung der Geflüchteten aus der Ukraine bewusster werden, was uns selbst wichtig ist und wie wir leben wollen. Es geht um geteilte Menschlichkeit, mit allen. Niemand kann das bloße Objekt des politischen Willens anderer sein.

Trotzdem dürfte Ihnen das bei Ihrer Arbeit häufiger begegnen.

Ja. Mosambik ist ein anderes Land, in dem Gewalt den Menschen ihre Lebensgrundlage entzieht. Dort vertreiben Spekulanten, die es auf Rohstoffe abgesehen haben, derzeit Teile der Bevölkerung aus dem Norden des Landes, und entziehen ihnen damit faktisch ihre Menschenrechte. Schon mehrere Zehntausende Menschen leben nun weiter im Süden, in einem der ärmsten Landesteile. Um die Geflüchteten hier zu unterstützen, beziehen wir sehr intensiv die lokale Bevölkerung mit ein. Es geht um den Aufbau von Schulen und Grundbildung, an der alle partizipieren können. Unsere Projekte sollen gerechte Beziehungen ermöglichen und nicht Spannungen verstärken. Das ist ein typisches Vorgehen des JRS: die ganze Person im Blick haben, aus der Begleitung heraus immer bereit sein zu lernen und danach die Programme auf globaler Ebene entsprechend anpassen.

Der JRS hat auch einen eigenen Arbeitsbereich Versöhnung, worum geht es da?

Darum, wie gerechte Beziehungen wieder herzustellen sind. Das ist die Voraussetzung für Frieden und natürlich oft ein sehr weiter Weg. Es ist immer ein ganz persönlicher Prozess, aber auch Teil einer Suche in den Gesellschaften vor Ort und ebenso in unseren eigenen Teams.

Wie geht diese Suche?

Ich gebe ein Beispiel: in Syrien hatten wir während des Kriegs Suppenküchen angeboten. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sie über die Mahlzeiten hinaus für die Menschen zu wichtigen Räumen, Freiräumen wurden, in denen sie sich offen austauschen konnten, in denen sich Menschen trafen, die sonst nie in Kontakt gekommen wären, und in denen sie erlebten, dass die Begrenzungen des politischen Systems nicht galten. In den Küchen sorgten wir für ein Klima, das zeigen soll, dass es auch anders geht. Hier sollen die Menschen den Kopf wieder frei bekommen können. Gerade bei lang andauernder Gewalt ist es wichtig, solche Erfahrungen zu stärken, die ein Gegenstück zur herrschenden Kultur sind. Etwas Neues wird vorstellbar und Hoffnung wird konkret.

Kann der JRS solche Versöhnungsarbeit leisten, wird er als dezidiert katholische Organisation akzeptiert?

Ja. Wir lernen seit einigen Jahren, wie wichtig Religion ist, um Menschen anzusprechen, gerade in Ländern, in denen Religiösität tief verwurzelt ist und religiöse Führer hohe Autorität genießen. Wer selbst religiös ist, versteht das besser, und kann diese Dimension auch gezielt ansprechen. Dessen werden sich zunehmend auch die Vereinten Nationen bewusst. Und wir selbst haben Angehörige ganz verschiedener Religionen als Mitarbeitende. Hier sehe ich den JRS sogar mit einem Vorteil ausgestattet, weil er über die Hilfsangebote hinaus eine wesentliche Lebenswirklichkeit vieler Menschen in den Blick nehmen kann.

Interview: Gerd Henghuber

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