1 / 2

Islamexperte Troll: "Geschwisterlichkeit noch nicht verwirklicht"

Frankfurt (KNA) Der Jesuit und Islamwissenschaftler Christian Troll (82) gehört zu den renommiertesten Experten im katholisch-islamischen Dialog. Viele Jahre lehrte er in orientalischen Ländern, er wirkte unter anderem im Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog und beriet die katholische Deutsche Bischofskonferenz. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht Troll, der am Donnerstag das Bundesverdienstkreuz erhielt, über den interreligiösen Dialog und die Hoffnung auf islamische Reformen.

KNA: Herr Professor Troll, im Juli hat die türkische Regierung die symbolträchtige Hagia Sophia wieder in eine Moschee umgewandelt. Im August folgte eine weitere, früher byzantinische Kirche in Istanbul. Stößt der christlich-islamische Dialog immer wieder an seine Grenzen?

Troll: Das Bild des türkischen Religionsministers, der in der Hagia Sophia mit einem Krummsäbel in der Hand die Größe des Islams preist, empfand ich schon als Rückschlag. Allerdings spiegelt es in erster Linie die nationalistische Politik von Präsident Erdogan wider und weniger das Denken und Fühlen der Mehrheit der heutigen Muslime. Kritik an Erdogans pseudo-osmanischem Triumphgehabe kam ja nicht nur aus dem Westen, sondern auch aus der islamischen Welt. Langfristig gewichtiger sind hoffentlich Entwicklungen wie die historische Begegnung von Papst Franziskus und dem Rektor der Kairoer Al-Azhar-Universität, Scheich al-Tayyeb, in Abu Dhabi.

KNA: Wo beide im Februar 2019 das "Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen" unterzeichneten. Ein spektakuläres Ereignis, das global stark beachtet wurde. Aber was bewirkt es praktisch?

Troll: Diese Erklärung war das Ergebnis jahrzehntelanger Gespräche zwischen Christen und Muslimen und hat wirklich eine neue Seite aufgeschlagen. Eine interreligiöse Kommission arbeitet derzeit dafür, die Botschaft des Dokuments in christlichen und islamischen Schulen, Universitäten und Medien weiter zu verbreiten. Das ist ein Beispiel, dass ein stetiger institutionalisierter Dialog zwischen Kirche und Muslimen wirklich etwas erreichen kann. Aber Franziskus ist nicht naiv. Auch ihm ist klar, dass echte Geschwisterlichkeit zwischen beiden Religionen noch lange nicht verwirklicht ist.

KNA: Verstehen Muslime und Christen unter dem Begriff "Dialog" denn dasselbe?

Troll: Da sind die Voraussetzungen und Erwartungen teilweise sehr verschieden. Die katholische Kirche ist eine feste Organisation, die seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) wissenschaftliche Strukturen für das Gespräch mit dem Islam aufgebaut hat. Hier besteht der Wunsch, mit den Muslimen auch theologisch zu diskutieren, den Islam aus sich heraus zu verstehen, sich miteinander theologisch auszutauschen und gemeinsame Ansatzpunkte für gemeinsames Handeln zu finden.

KNA: Und auf islamischer Seite?

Troll: Der Islam ist sehr heterogen, auch was die Offenheit für interreligiösen Austausch angeht. Dialog wird hier von engagierten Einzelpersonen und der einen oder anderen Gruppe oder Organisation getragen, die aber bei weitem nicht für alle sprechen. Die Kirche sehen sie vor allem als Partner gegen den religiösen Extremismus in den eigenen Reihen und gegen Islamfeindlichkeit von außen. Sie interessieren sich aber selten für das Christentum an sich. Ihr Wissen über den christlichen Glauben beschränkt sich häufig auf die Vorstellung, die Christen beteten mit Jesus einen Menschen neben Gott an - für Muslime inakzeptabel. Das bedeutet aber nicht, dass theologische Gemeinsamkeiten in den Gesprächen grundsätzlich keine Rolle spielen.

KNA: Nämlich?

Troll: Beide Religionen beten zu Gott, dem Schöpfer und Richter der Welt, der das Heil aller Menschen will. Schon mittelalterliche islamische Theologen wie al-Ghazali (gest. 1111, Anm. d. Red.) entwickelten daraus den Gedanken, dass auch Nichtmuslime ins Paradies gelangen können, wenn sie ihr Leben auf diesen einen Gott ausrichten - sogar unabhängig davon, ob sie Mohammed als seinen Propheten anerkennen oder nicht. Es gibt in der islamischen Tradition durchaus Ansätze, die den theologischen Dialog mit Christen und auch Juden befruchten und rechtfertigen können.

KNA: Trotzdem vertritt die Mehrheit der Gelehrten im 21. Jahrhundert immer noch einen engen Scharia-Islam; radikale Prediger teilen die Welt weiter in Gläubige und Ungläubige, mit denen es keine Geschwisterlichkeit geben kann. Sehen Sie da Chancen für eine breite Reformbewegung?

Troll: Der traditionelle Islam steckt mitten in der vielleicht größten Umbruchphase seiner Geschichte. Er muss sich der modernen Welt öffnen, wie es die Kirchen auch tun mussten und weiterhin müssen. Das ist ein schmerzhafter Prozess voller Widerstände und Abschottungsreflexe, immer in enger Wechselwirkung mit den politischen, sozialen, ökonomischen Verhältnissen in den islamischen Ländern. Aber es gibt unter Theologen und Intellektuellen etliche, die den Koran neu interpretieren wollen. Sie fordern die Trennung von Religion und Staat und suchen nach Wegen, um ihre Religion mit Menschenrechten, Pluralismus und religiöser Toleranz zu vereinbaren.

Solche Denker gibt es nicht nur in der sogenannten westlichen Welt, sondern auch in Marokko, Tunesien, Jordanien, Indonesien, in der Türkei werden sie nach Erdogan vielleicht auch wieder stärker. Leider tut sich die Azhar-Universität in Kairo als ganze bisher nicht gerade als Motor der Erneuerung hervor. Freilich gibt es auch in unseren Tagen die Option für politische Machtausübung im Namen des Islam.

KNA: Welche Rolle spielen dabei Islamisch-Theologische Seminare an westlichen Universitäten?

Troll: Es braucht eine möglichst freiheitlich-demokratische Umgebung, damit sich Reformansätze ohne Gedankenverbote entfalten können. Deshalb sind die westlichen Länder so ein wichtiger Raum für progressive islamische Gelehrte. Überhaupt ist das Vorbild - und der Druck -, den die rechtsstaatlich verfassten Gesellschaften ausüben, ein wichtiger Faktor für Veränderungen in der islamischen Welt.

KNA: Blicken wir noch nach Deutschland. Hier ist das Selbstverständnis der Muslime entscheidend für Erfolg oder Misserfolg von Integration.

Troll: Auf der einen Seite sehen wir hier die konservativen Kräfte, insbesondere die Islamverbände, die sehr energisch auftreten und sich zuweilen im Spektrum des politischen Islam bewegen, aber nur einen kleinen Teil der hiesigen Muslime vertreten. Sie fördern die Integration nicht, sondern eher die Verfestigung einer möglichst Scharia-getreuen Religionsausübung. Auf der anderen Seite gibt es die große Mehrheit von Muslimen, die entweder den Glauben im Privaten mehr oder weniger intensiv leben oder aber wie große Teile der deutschen Gesellschaft sich bereits ganz von ihrer Religion entfernt haben. Der Staat sollte nicht in die Falle der Verbände tappen, indem er sich ihrem Alleinvertretungsanspruch beugt. Gleichzeitig muss er aber Freiräume schützen, in denen säkulare Muslime ihre Sicht des Islam auch entwickeln und praktizieren können.

Von Christoph Schmidt (KNA)

 

Newsletter

Das Magazin „Jesuiten“ erscheint mit Ausgaben für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Bitte wählen Sie Ihre Region aus:

×
- ×