Nicht alle Jesuiten waren während des Nationalsozialismus Helden. Auch im Orden gab es Sympathisanten oder Mitläufer – aus welchen Gründen auch immer. Aber Rupert Mayers 80. Todestag ist Anlass genug, sich an die Jesuiten zu erinnern, die ebenso mutig Widerstand leisteten.
Von Arnold Brychcy SJ und Eberhard v. Gemmingen SJ
An Allerheiligen 1945 – vor 80 Jahren – brach Pater Rupert Mayer am Altar zusammen und verstarb noch am selben Tag. Er war einer der wenigen, die Adolf Hitlers Mein Kampf gelesen und studiert hatten, und sich über dessen wahre Absichten und die Natur des Nationalsozialismus keine Illusionen machten. Bereits in den Wahlkämpfen der späten 1920er und frühen 1930er Jahre besuchte er die Wahlveranstaltungen der NSDAP und erklärte dort offen, dass die Ansichten der Partei mit dem Christentum unvereinbar seien. Auch nach der sogenannten Machtergreifung im Januar 1933 entlarvte er in der Öffentlichkeit die Verleumdungen der Nationalsozialisten gegen die Kirche als das, was sie waren: Lügen und Propaganda. Für viele Münchnerinnen und Münchner war der Präses der Marianischen Männerkongregation ein geistlicher Orientierungspunkt und ein Bollwerk gegen das Regime. Es verwundert nicht, das unzählige Verhöre durch die Gestapo folgten, Verhaftungen und am Ende die Internierung bei den Benediktinern in Ettal als Exil. Vor dem vermeintlich siegreichen Ende des Krieges wagte das Regime es nicht, ihn vollständig aus dem Weg zu schaffen – zu groß war sein Ansehen in der Stadtbevölkerung.
Natürlich waren bei Weitem nicht alle Jesuiten während des 1000-jährigen Reiches Helden. Auch im Orden gab es Sympathisanten oder Mitläufer – aus welchen Gründen auch immer. Rupert Mayers 80. Todestag ist aber Anlass genug, sich besonders an die Jesuiten zu erinnern, die ebenso mutig wie er Widerstand leisteten.
„Der stärkste Mann des Katholizismus in Deutschland“
Eine der wichtigsten Personen war der Provinzial der Oberdeutschen Jesuitenprovinz mit Sitz in München: Pater Augustin Rösch, den der Theologe und später langjährige Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, selbst Mitglied des Kreisauer Kreises, „den stärksten Mann des Katholizismus in Deutschland“ nannte. Seine Position als Provinzial eines der größten Männerorden des Landes mit unzähligen Kontakten ermöglichte es ihm, Widerstand und Widerständigkeit zu organisieren. Lange im Visier der Gestapo hatte er sich in einem bayrischen Dorf versteckt, wurde schließlich verhaftet und schwer verletzt ins Gefängnis nach Berlin gebracht. Verurteilt wartete er dort auf seine Hinrichtung, wovor ihn aber das Ende des Krieges bewahrte.
Rösch war es auch, der nach einem Besuch Graf Moltkes den Kontakt zu Alfred Delp herstellte. Moltke suchte für den Kreisauer Kreis einen Jesuiten, um mit diesem über ein anderes Deutschland nachdenken zu können. Delp, als Mitarbeiter der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ und Soziologe, schien passend zu sein. Delp, der es abgelehnt hatte, sich zu verstecken, wurde nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 wie viele andere Unbeteiligte verhaftet und nach dem Unrechtsurteil des Volksgerichtshofs am 2. Februar 1945 in Berlin Plötzensee erhängt.
Widerstand gegen die Schließung von Klöstern
Ebenfalls mit Unterstützung Pater Röschs engagierte sich Pater Lothar König im Widerstand. Seine Aufgabe sah er darin, andere Männerorden beim Widerstand gegen die Schließung ihrer Klöster zu unterstützen und zugleich den der Bischöfe zu organisieren – kein leichtes Unterfangen bei der Unterschiedlichkeit des damaligen Episkopats und seiner Interessen. Im Elsass gelang es ihm erfolgreich, die Schließung der kontemplativen Ordensniederlassungen zu verhindern, indem er den Ortsbischof informierte und dieser das Vorhaben des Staates auf der Kanzel publik machte und die Bevölkerung aufrief, die Klöster zum Schutz zu umstellen. Kein einziges wurde geschlossen. Auch er geriet ins Visier der Gestapo, wurde aber – obwohl schwer an Krebs erkrankt – wochenlang von einem Mitbruder im Kohlekeller des Jesuitenkollegs in Pullach bei München erfolgreich versteckt.
In Dresden leistete Pater Otto Pies als Direktor des Exerzitienhauses HohenEichen Widerstand gegen die Räumung seines Hauses durch die Gestapo. Nach seiner Verhaftung wurde er ins Konzentrationslager Dachau verbracht und im Pfarrerblock interniert. Dort lernte er den an Tuberkulose erkrankten Diakon Karl Leisner kennen, mit dem er sich anfreundete. Zuweilen konnten die Priester im Verborgenen Messe feiern und Pies gelang es, sowohl die Erlaubnis des für Leisner zuständigen Bischofs für dessen Weihe zu erhalten als auch die Weihe zu organisieren. Der ebenfalls inhaftierte französische Bischof Gabriel Piguet weihte Leisner im Verborgenen. Ein beeindruckendes Zeichen der Einheit und der Liebe in der Hölle eines Konzentrationslagers.
Neben Pater Pies waren in Dachau viele Jesuiten aus allen Ländern des nationalsozialistischen Machtbereichs inhaftiert. Wenn es irgendwie ging, versuchten sie als Mitbrüder zusammen zu bleiben – bei der Arbeit, vor allem aber im Feiern der Eucharistie. Den Kontakt zu ihnen hielt eine Kandidatin der Armen Schulschwestern, Ima Mack, die beim Einkauf in der Gärtnerei unter Gefährdung ihres eigenen Lebens Briefe hinein- und herausschmuggelte, darunter eben auch die Erlaubnis zur Weihe Karl Leisners.
Ein äußerst riskante Husarenstück gelang und rettete Mitbrüder
Der totale Vernichtungswille der Nationalsozialisten zeigte sich bis zuletzt: Noch kurz vor dem Eintreffen der amerikanischen Truppen räumte die Lagerleitung das KZ und führte die Insassen auf einem Todesmarch durch das Würmtal in die Alpen – unter ihnen nicht wenige Jesuiten aus allen Ländern Europas. Irgendwie hatten die Oberen im Pullacher Berchmanskolleg davon erfahren und ein zuvor aus der Wehrmacht als ‚wehrunwürdig‘ entlassener Jesuit zog seine Offiziersuniform an und fuhr mit einem Lastwagen den Todgeweihten hinterher. Als Offizier verlangte er die Übergabe der Jesuiten. Das äußerst riskante Husarenstück gelang und er rettete unter Einsatz seines Lebens das nicht weniger Mitbrüder.
Otto Pies und Karl Leisner waren nicht unter den ‚Evakuierten‘. Die Lagerleitung befürchtete eine Ansteckung der Bevölkerung und ließ die Kranken und Sterbenden in Dachau zurück. So konnte sich Pies um seinen Freund kümmern und ihn nach der Befreiung durch die Amerikaner im Waldsanatorium der Barmherzigen Schwestern in Krailing bei Planegg unterbringen. Er blieb bei Leisner bis zu dessen Tod am 12. August 1945 – noch heute begehen die Barmherzigen Schwestern den Gedenktag feierlich.
Der Jesuitenorden wurde durch das nationalsozialistische Regime verfolgt. Seine Niederlassungen, seine Schulen und Hochschulen wurden geschlossen und seine Zeitschriften verboten, womit sein Wirken für Gott und die Menschen erheblich eingeschränkt und behindert wurde. Auch wenn nicht jeder Jesuit im Widerstand aktiv war, gilt unser Gedenken besonders denjenigen, die für ihren Glauben Zeugnis ablegten: im Kleinen wie im Großen.