Pater Brüntrup, Sie beschäftigen sich seit den 1980er-Jahren mit KI. Was fesselt Sie an diesem Thema?
Ich habe vor 40 Jahren schon an Sprachmodellen und semantischen Netzen gearbeitet, die in gewisser Weise die ersten Vorläufer von ChatGPT waren. 1985 habe ich einen intelligenten Zettelkasten programmiert, der inhaltliche Verbindungen zwischen meinen Notizen entdeckte, die mir selbst entgangen waren. Ich habe das damals noch in der Programmiersprache LISP recht mühsam entworfen.
Ein Programm simulierte einen geistlichen Begleiter, der scheinbar einfühlsam auf Fragen antwortete. Die Gespräche damit wurden teils so persönlich, dass die Anwender keine Zuschauer im Raum duldeten und mit dem Computer allein sein wollten. Bereits damals erahnte ich das Potenzial dieser Technologie. Aber mir war auch klar, dass es noch ein langer Weg sein würde. Das lag einerseits an den leistungsschwachen Computern, aber auch daran, dass die Programme sich damals nur sehr begrenzt selbst optimieren konnten.
Hat sich Ihre Sichtweise auf KI im Laufe der Jahre verändert?
Für lange Zeit ging ich davon aus, dass der Fortschritt eher schleppend sein würde. Das änderte sich mit der Technologie der selbstlernenden Maschinen, die in ihrem Aufbau an das menschliche Gehirn angelehnt waren. Eine solche Maschine kann sich beispielsweise selbst das Schachspielen beibringen. Sie entwickelt sich selbst vom Anfänger zum Großmeister – innerhalb weniger Stunden. Da der Mensch als „Nadelöhr“ nun wegfällt, beschleunigt sich die Entwicklung der KI exponentiell. Zeitgenossen, die jetzt noch in ihrer ersten Lebenshälfte sind, werden völlig atemberaubende Entwicklungen und Umbrüche erleben.
Das hört sich nach gewaltigen Veränderungen unserer Lebenswelt an.
KI ist eine einschneidende und disruptive Revolution, die alles in den Schatten stellt. Selbst die erste industrielle Revolution mit der Erfindung der maschinellen Fertigung war ein weniger radikaler Umbruch: Es ist eine Sache, Maschinen zu bauen, die stärker und ausdauernder sind als der Mensch. Eine völlig andere Sache ist es, eine Maschine zu bauen, die mehr weiß als alle Nobelpreisträger zusammen und die einen um ein Vielfaches höheren Intelligenzquotienten hat als jedes menschliches Genie. Hier wird der Mensch in seiner ureigenen Domäne vom Podest gestoßen.
Parallel zu dieser Entwicklung hat sich meine Einstellung zur KI von „vorsichtig optimistisch“ zu „zunehmend besorgt“ gewandelt. Die Schnelligkeit der Veränderung wächst exponentiell, gerade wenn man die bald zur Verfügung stehenden Quantencomputer hinzunimmt. Der Ausgang dieser Entwicklung ist ungewiss und nicht notwendigerweise zum Wohle der Menschheit.
Wenn Sie an die Zukunft von KI denken, welches Szenario haben Sie im Kopf?
KI bedeutet, dass Expertenwissen zunehmend nicht mehr viel wert ist. Wissen, für das man früher Jahrzehnte studieren musste, ist dann frei für jeden verfügbar. Das ist einerseits gut, aber da Wissen Macht ist, bedeutet das auch, dass diese Macht sehr leicht in falsche Hände geraten kann. Die Herstellung von chemischen oder biologischen Kampfstoffen wird leichter, wenn die KI es Schritt für Schritt erklärt. Unsere Macht über die Natur wird durch die KI zunehmen. Neue wirksame Medikamente oder verheerende Viren, alles ist zum Greifen nahe. Die KI findet es heraus.
Das bedeutet dann auch, dass viele Menschen das „Denken“ den Maschinen überlassen werden. Das Ideal der Aufklärung „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ wird verblassen. Man denkt nicht mehr selber, man „lässt denken“, nämlich von den Maschinen. Viele werden gar nicht merken, dass die Algorithmen ihr Denken bereits kontrollieren. Sie meinen, das Internet gezielt zu durchforsten, aber der Algorithmus lässt sie nur finden, was er durchlässt. Er gestaltet die geistige Welt längst für uns.
Finden Sie dieses Szenario erstrebenswert?
Ich finde manches an diesem Szenario gefährlich. Früher war Technik eher neutral: Man kann das Auto zum Guten und zum Schlechten einsetzen. Die Verantwortung lag bei uns. Bei der KI aber besteht die Gefahr, dass wir die Verantwortung abgeben.