• Prof. Dr. Claudia Paganini © HFPH/ Die Fotografen, Charly Lais
  • Saporischschja: Kinder des Krieges ©Caritas international
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Prof. Dr. Claudia Paganini © HFPH/ Die Fotografen, Charly Lais

Medienethikerin für Zurückhaltung beim Zeigen von Kriegsbildern - "Reichen nicht zerbombte Straßenzüge statt Bildern von Leichen?"

München (KNA) Spätestens seit den grausamen Bildern Hunderter Leichen aus der Stadt Butscha wird diskutiert, wie detailliert Medien über den Krieg berichten sollten. Es geht aber auch darum, welche Begriffe angemessen sind und wie neutral Journalistinnen und Journalisten sein können und sollen. Über diese und ähnliche Fragen spricht Medienethikerin Claudia Paganini im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die österreichische Philosophin, Theologin und Journalistin lehrt als Professorin an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München.

KNA: Frau Professor Paganini, wie bewerten Sie die Berichterstattung über den Krieg aus medienethischer Sicht?

Paganini: Bisher ganz angemessen. Viele Journalistinnen und Journalisten überlegen sehr genau, welche Bilder sie zeigen und wie sie mit unsicheren Informationen umgehen. Oder ob sie Triggerwarnungen einbauen: "Achtung, die folgenden Bilder können verstörend wirken." Ich habe den Eindruck, dass eine Sensibilität herrscht, die in anderen Krisen nicht immer da war. Dass unterschiedliche Medien verschiedene Zielgruppen bedienen und daher sachlicher oder emotionaler berichten, gehört dazu. Das ist das Schöne an einer funktionierenden Medienlandschaft in einer demokratischen Gesellschaft, dass sich jeder die Informationen suchen kann, die ihm am ehesten zusagen.

KNA: Am meisten Streit gibt es ja um grausame Bilder. Darf, soll, muss man die zeigen?

Paganini: Da gibt es keine einfache Antwort. Bilder können und sollen aufrütteln. Insofern haben sie eine wichtige Funktion. Aber Emotionalisierung wirkt sehr unterschiedlich. Die einen fühlen sich angesprochen, sich humanitär zu engagieren. Andere sind schockiert und ziehen sich zurück.

KNA: Wo sehen Sie Grenzen?

Paganini: Wie auch in anderen Bereichen der Ethik dort, wo ich Freiheit oder Würde anderer einschränke. Konkret etwa bei Persönlichkeitsrechten der Opfer. Auf keinen Fall sollten sie erkennbar sein, aber selbst Verpixeln löst das Problem nicht. Denn da wird ein Mensch mit seinem konkreten Schicksal vor die Öffentlichkeit gezerrt, der nie zugestimmt hat. Und nicht nur das ist problematisch...

KNA: Sondern was noch?

Paganini: Wir müssen immer fragen, ob diese Bilder wirklich Informationswert haben. Reichen nicht zerbombte Straßenzüge anstelle von Großaufnahmen der Leichen? Und wir müssen bedenken, dass auch vulnerable Gruppen diese Bilder sehen. Da denke ich nicht nur an Kinder, sondern auch an ältere Menschen, bei denen das schreckliche Traumata auslösen kann. Die meisten hatten ja nie die Chance, ihre eigenen schlimmen Kriegserlebnisse aufarbeiten zu können.

KNA: Was bedeutet es, dass noch kein Krieg so präsent war auf so vielen Kanälen und dass jeder Bilder und Nachrichten verbreiten kann über Instagram, Twitter, TikTok und Co.?

Paganini: Es erhöht den Druck auf Journalistinnen und Journalisten. Social Media Beiträge kommen sehr schnell, oft drastisch und plakativ. Medienprofis müssen sich fragen: Lass ich mich von diesem Sog mitreißen? Oder - und das ist Qualitätsjournalismus - gehe ich einen Schritt zurück, frage nach und recherchiere, was wirklich Fakt ist.

KNA: Noch einmal zurück zu den Bildern. Sie haben die Triggerwarnungen angesprochen. Sind die sinnvoll oder machen sie erst recht neugierig?

Paganini: Beides. Einmal sind sie sinnvoll als Form von Transparenz. Gerade in der Kriegsberichterstattung muss man Menschen sagen, was sie erwartet. Und auch offenlegen, dass man sich oft nur auf eine Quelle verlassen muss, die auch noch selbst Kriegspartei ist. Auf der anderen Seite gibt es natürlich die Gefahr der Gewöhnung und des Abstumpfens.

KNA: Ganz allgemein zur Rolle von Journalisten: Eigentlich sollten sie sachlich-neutral berichten und alle Seiten zu Wort kommen lassen. Geht das hier? Oder müssen sie sich auf die Seite der Opfer stellen?

Paganini: Ganz schwierig. Da stelle ich mir zwei Fragen. Erstens: Wie neutral können sie sein? Wir alle sind Menschen und nie neutral. Schon gar nicht in solchen Extremsituationen. Auch Journalisten sind keine Roboter. Entscheidend ist, dass ich mir meine eigenen Haltungen bewusst mache. Dann kann ich bei sachlichen Berichten versuchen, dazu auf Distanz zu gehen und mich auf die Fakten zu konzentrieren. Bei Reportagen, Kommentaren und ähnlichen Formaten kann ich aber auch transparent machen, wo die reinen Tatsachen aufhören und wo meine Meinung ins Spiel kommt oder wie mich diese Situation gerade selbst bewegt.

KNA: Und zweitens?

Paganini: Wie neutral sollen Medien sein? Ich finde, wir Leser und Zuschauer sollten uns auf die Seite der Opfer stellen. Die Berichterstatter aber sollten in erster Linie die nötigen Informationen liefern, damit wir klar erkennen können, wer Opfer ist und wer Täter. Journalismus sollte nie in Aktivismus abgleiten, auch wenn das ein schmaler Grat ist, gerade in Situationen wie jetzt in Kiew. Das Ziel sollte aber nicht aus den Augen verloren werden.

KNA: Konkret: In Butscha werden Leichen gefunden. Journalisten berichten. Müssen sie auch "die andere Seite fragen" und hören, das sei alles ukrainische Propaganda und es habe noch keine Toten gegeben beim Abzug der russischen Truppen?

Paganini: Hier finde ich gute "Faktenchecks" besonders wichtig, wie es sie ja zum Glück auch gibt. Natürlich muss ich hören, was die andere Seite sagt. Aber ich muss auch prüfen, ob das stimmen kann. Ich hoffe nur, dass Faktenchecks auch die gebührende Beachtung finden in der Flut der Berichte.

KNA: Es gibt ja auch Streit um die richtigen Begriffe. So wurde kritisiert, dass von "mutmaßlichen Kriegsverbrechen" oder "mutmaßlichen Gräueltaten" die Rede war...

Paganini: Da muss man klar unterscheiden: "Kriegsverbrechen" ist ein juristischer und völkerrechtlicher Begriff. Hier ist der Begriff "mutmaßlich" angemessen, solange es keinen Prozess und keine richterlichen Entscheidungen gibt. "Mutmaßliche Gräueltaten" dagegen ist Unsinn. Hier sieht man ja auch ohne Richter eindeutig, dass es Gräueltaten gab - unabhängig davon, wer genau was getan hat und warum.

KNA: Wie können Medienleute - ob vor Ort oder nicht - die Gräuel richtig einordnen, ohne die Menschen zu überfordern?

Paganini: Indem sie sich auf Fakten konzentrieren, aber durchaus mit Empathie berichten. Nicht übertrieben skandalisieren und emotionalisieren. Einordnen und auch transparent machen, was man nicht weiß und wo man selbst emotional berührt ist. Hier sehe ich aber weniger die Medien gefordert, sondern in erster Linie jede und jeden von uns als Leser, Hörerin, Zuschauer.

KNA: Und was sollte ich da tun? Auch um mich selbst nicht zu überfordern?

Paganini: Vor allem genau beachten, was die Berichterstattung mit mir macht. Kann ich das ertragen? Werden positive Emotionen geweckt, die mich etwa anregen zum Engagement gegen den Krieg oder zur Hilfe für Geflüchtete? Oder erschlägt mich die Überfülle an Bildern und Infos und macht mich passiv oder gar depressiv? Ich rate grundsätzlich, sich mehr auf gute Texte zu konzentrieren und weniger auf spektakuläre Bilder. Die können uns viel schneller überfordern.

KNA: Und zum Schluss: Wie viel sollten Kinder medial mitkriegen vom Krieg?

Paganini: Zum Glück gibt es gute Kindernachrichten inzwischen in allen Medienformen. Die bereiten den Krieg und auch andere schwierige Themen in aller Regel altersgerecht auf. Aber natürlich sind hier in erster Linie die Eltern gefragt zu schauen, was ihren Kindern guttut und was sie überfordert oder ihnen Angst macht. Vor allem sollten sie auf die Fragen ihrer Kinder eingehen und mögliche Ängste nehmen können. Dabei können die Medien helfen, aber nicht die Rolle der Eltern ersetzen.

Von Gottfried Bohl (KNA)

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