Mertes: Kirche braucht eine Strukturreform

Wien (KNA) - Die kirchliche Missbrauchskrise betrifft nach Ansicht des Jesuiten Klaus Mertes die gesamte Weltkirche. Deshalb sei eine tiefgreifende Strukturreform notwendig, sagte der Direktor des Jesuitenkollegs St. Blasien im Interview der österreichischen Presseagentur Kathpress (Donnerstag). Die jüngsten Enthüllungen zeigten, dass das Problem der Vertuschung bislang viel zu wenig beachtet worden sei. Angegangen werden müssten laut Mertes die Frage nach einer innerkirchlichen Gewaltenteilung und das Problem männerbündischer Strukturen. Beides hänge eng mit dem Problem der Vertuschung zusammen.

"Die gegenwärtigen kirchlichen Strukturen verhindern tatsächliche Aufklärung", führte Mertes aus. Durch Loyalitätsverhältnisse und eine fehlende Gewaltenteilung in den kirchlichen Leitungsstrukturen sei die Kirche "ganz offensichtlich nicht in der Lage, das Problem des klerikalen Machtmissbrauchs angemessen anzugehen". Es gehe daher um mehr als um das Versagen Einzelner: "Wir fördern das Versagen von Personen, wenn wir die Strukturdebatte vermeiden."

Konkret kritisierte Mertes mangelnde Transparenz bei Missbrauchsverfahren in der Glaubenskongregation. Es müsse auch innerkirchlich Einzug halten, was staatlicherseits selbstverständlich sei: Die Trennung von Kläger, Verteidiger und Richter. Zudem müsse man genauer beleuchten, "wie kirchliche Karrieren konstruiert werden". Das habe oftmals mit männerbündischen Loyalitätsverhältnissen zu tun, die einer Aufklärung und Transparenz etwa beim Thema Missbrauch entgegenstünden.

"Dass die Kirche in der jetzigen Form und den jetzigen Strukturen so überleben wird, kann ich mir nicht vorstellen", so Mertes. "Die Sache ist raus - Missbrauch und Vertuschung durch Kleriker hat ein solch epidemisches Maß angenommen, dass damit die Glaubwürdigkeit von Kirche insgesamt tief erschüttert wurde." Auch sei ein Ende der Enthüllungen noch lange nicht in Sicht. Er persönlich gehe etwa davon aus, dass es zu Enthüllungen in Polen kommen werde: "Die Dinge liegen ja zum Teil bereits auf dem Tisch, sie lösen nur noch keine Empörung aus wie bei uns." Daher sei es auch nicht angebracht, wenn andere Länder nun "mit dem Finger auf die Schmuddelkinder Deutschland, Irland oder die USA zeigen", mahnte der Ordensmann.

Am Mittwoch waren erste Ergebnisse der von den katholischen Bischöfen in Auftrag gegebenen Missbrauchsstudie bekanntgeworden. Demnach gab es in den vergangenen Jahrzehnten 3.677 Opfer sexueller Übergriffe von mindestens 1.670 Priestern. Die komplette, 500 Seiten umfassende Studie wollen die Bischöfe am 25. September auf ihrer Herbstvollversammlung in Fulda präsentieren.

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