Mertes zur Opferentschädigung: "Kein Freikaufen"

Jesuitenpater Klaus Mertes SJ kritisiert die geplante Entschädigung der katholischen Kirche für Opfer von Missbrauch durch Geistliche und warnt in einem Interview mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Montag-Ausgabe) vor einem "Freikauf" der Kirche:

Pater Mertes, Sie haben immer gesagt, der Ausgleich des Leids, das die Opfer sexuellen Missbrauchs erlitten haben, müsse den Tätern wehtun. Jetzt sprechen die Bischöfe über Entschädigungen von jeweils bis zu 400.000 Euro. Was ist davon zu halten?

Eine Gesamtsumme von bis zu drei Milliarden Euro täte weh. Die Frage ist nur: Wem? Den Tätern? Den Bischöfen? Oder etwa dem Kirchenvolk? Ich gehe davon aus, dass die Bischöfe eine solche Regelung nicht in der Annahme beschließen, dass nun das Kirchenvolk finanziell in Mithaftung genommen. Oder geht das jetzt auf Kosten der pädagogischen Qualität in den kirchlichen Schulen und des Gemeindelebens? Soll jetzt die ehrenamtliche Vorsitzende in einem Pfarrgemeinderat mit ihren Kirchensteuern den angedachten Entschädigungsfond mitfinanzieren? Die Gläubigen, die keine Schuld an Missbrauch und Leitungsversagen haben, würden so zu sekundär Betroffenen des Missbrauchs. Die allermeisten tragen seit Jahren das Stigma solidarisch mit, einer fälschlich so genannten "Täterinstitution" anzugehören. Aber hier ist eine Grenze erreicht. Zudem könnte der fatale Eindruck entstehen, die Kirchenleitung kaufe sich auf Kosten des Kirchenvolkes frei: "Wir zahlen, dann haben wir unsere Ruhe" - das darf auf keinen Fall passieren.

Woher sollte das Geld denn sonst kommen, wenn nicht aus Kirchensteuer-Mitteln?

Das weiß ich doch nicht! Wird Kardinal Woelki eine Grundschuld auf den Kölner Dom aufnehmen? Oder auf den Dreikönigenschrein? Wird das Bistum Limburg den Bischofssitz am Domberg verkaufen? Die Bischöfe haben das sicherlich vorab schon intern geklärt. Man kann ja nicht in einer so wichtigen Frage öffentlich auftreten ohne einen Finanzierungsplan. Das wäre insbesondere gegenüber den Betroffenen unverantwortlich, denen der Fond nun in Aussicht gestellt worden ist. Was mich allerdings stört, ist Selbstlob, wenn Bischöfe sinngemäß sagen, die Kirche habe nun die großzügigste Regelung weit und breit zustande gebracht. Was werden die Heimkinder dazu sagen? Oder der Weiße Ring, der die Opfer von Gewaltverbrechen vertritt? Wie steht es mit der ökumenischen Solidarität? Was bedeutet es für das Staat-Kirche-Verhältnis, wenn die Kirche das etablierte Rechtssystem verlässt und sich dafür auch noch lobt?

Wie würde Ihr Orden die jetzt aufgerufenen Entschädigungen finanzieren?

Wir Jesuiten standen 2010 vor vergleichbar hohen Forderungen. Unser Geld liegt in unseren Werken, unser Vermögen dient der verpflichtenden Altersversorgung unserer Mitbrüder. Aber selbst wenn wir unsere Schulen, Hochschulen und alle unsere Häuser schließen und verkaufen würden, kämen nicht annähernd die geforderten Beträge heraus.

Wie sind Sie damals, 2010, auf die Forderungen der Betroffenen eingegangen?

Grundlegend war die Unterscheidung zwischen Anerkennungs- und Entschädigungszahlungen, die im gegenwärtigen Entwurf nicht mehr klar ist. Eine Pauschale von 5000 Euro als Geste der Anerkennung: "Ja, wir erkennen die Wahrheit eurer Geschichte an". Der Betrag entsprach dem Grundbetrag der Entschädigungsregelung in Österreich. Darüber hinaus haben wir uns verpflichtet, an der Behebung von Schäden mitzuwirken, die jetzt noch zu heilen sind.

Was bedeutet das?

Wir beteiligen uns finanziell an Therapien, Fortbildungen, Rentennachzahlungen bei Bedürftigkeit. Die Diözese Freiburg hat kürzlich eine ähnliche Regelung für Rentennachzahlungen auf den Weg gebracht. Das ist, nebenbei, ja auch eine Frage: Was macht der neue Vorschlag der Bischöfe mit den Betroffenen, die in den vergangenen Jahren in finanziellen Angelegenheiten eine Lösung mit uns oder mit anderen gefunden haben?

Was war der Sinn der Pauschale?

Die Institution, aus der die Täter kommen, soll im Nachhinein nicht auch noch anfangen, die Höhe des Schadens zu bemessen. Das ist für viele Betroffene zu Recht eine unzumutbare Vorstellung. Da aber sechsstellige Pauschalsummen als Forderungen im Raum standen, schien es uns doch angemessen, für Entschädigungszahlungen ein Kriterium für unterschiedliche Gravität zu finden. Besser wäre natürlich, die Bemessung in die Hände einer unabhängigen Kommission zu geben. Aber so lange es die nicht gab, haben wir eben direkt mit Betroffenen gesprochen und Zahlungen vereinbart. Darf ich noch etwas zu Ihrer Frage nach dem Schmerz sagen, den eine Wiedergutmachung den Tätern bereiten muss?

Bitte!

Ich möchte das nicht nur auf das Geld bezogen wissen. Vielleicht ist das Geld am Ende sogar das, was am wenigsten weh tut - jedenfalls dann, wenn es in Hülle und Fülle da ist. Viel wichtiger ist zum Beispiel die Investition von Zeit. Ich bin in Gesprächsprozessen mit Betroffenen, die sich manchmal über Jahre hinwegziehen. Das ist nicht immer leicht, aber es entsteht Beziehung. Es tut auch weh, die von mir geliebte Kirche in der Perspektive der Geschichten zu sehen, die ich von Betroffenen höre. Aber dieser Schmerz ist kreativ, denn er verändert etwas in mir, mein Selbstbild, mein Priesterbild, mein Kirchenbild. Das entwickelt sich in gegenseitig geschenkter Zeit. Dafür bin dankbar. Ich gebe nicht nur, ich empfange auch. Vielen Betroffenen ist es noch wichtiger, dass die Kirche sich ändert, als dass sie zahlt - das gilt auch für Betroffene, die Zahlungen fordern. Und eines sage ich ganz klar: Es soll kein Bischof glauben, all die Themen, die gerade auch das Verhältnis von Betroffenen und Kirche betreffen, wären erledigt, wenn das Geld geflossen ist!

Das Gespräch führte Joachim Frank. Das Interview haben wir mit freundlicher Genehmigung des "Kölner Stadt-Anzeigers" übernommen.

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