Michael Bordt SJ: "Eine Epoche des Übergangs"

Berlin (KNA/r) - Ein stärkeres Zuhören und mehr Gespräche über positive Visionen für die Gesellschaft wünscht sich der Münchner Philosoph und Jesuit Michael Bordt SJ für das kommende Jahr. Im Interview der Zeitung "Welt" (Samstag) sagte er, die Gesellschaft leide derzeit unter einer "aufgeheizten Empörungskultur". Es werde polarisiert, an Hass und Ekel appelliert und ausgegrenzt. Wichtig wäre aber, über die Empörung hinaus ins Gespräch zu kommen.

Ursache für die vergiftete gesellschaftliche Stimmung ist nach Ansicht des Vorstands des Instituts für Philosophie und Leadership der Hochschule für Philosophie in München eine starke Verunsicherung: "Wir leben in einer Übergangszeit, in der die Nachkriegsordnung, die Jahrzehnte für Stabilität gesorgt hat, ihre Überzeugungskraft verloren hat", sagte er. Volksparteien, Kirchen, Gewerkschaften und Soziale Marktwirtschaft hätten an Überzeugungskraft verloren. "Aber das Neue ist noch nicht sichtbar. Es ist noch nicht klar, was die alte Ordnung ersetzen wird."

Auch die Kirchen und Religionen sind nach den Worten des Jesuiten von dieser Transformation betroffen. Er bedauere sehr, dass sich "selbst die Vertreter der Kirchen teilweise am Geschäft der Ausgrenzung beteiligen", sagte Bordt. Die Kirchen wären eigentlich die gesellschaftliche Institution, die Brücken bauen und Menschen zusammenführten sollte.

Als positive Entwicklung sieht Bordt eine große Sehnsucht nach Tiefe und Spiritualität. Die Menschen wollten sich von den Marketingabteilungen großer Konzerne nicht länger vorschreiben lassen, was ein glückliches und gelungenes Leben ausmache.

Der Philosoph registriert solches Nachdenken auch bei Führungskräften und Topmanagern, die er berät. Diese müssten derzeit Entscheidungen treffen, für die ihr im Studium gelerntes Instrumentarium nicht mehr ausreiche, sagte er. In unsicheren Situationen entscheiden könne nur, wer "eine starke Persönlichkeit hat; der sich selbst Orientierung geben kann". Im Kern gehe es um die Fähigkeit zu Selbstreflexion und Selbstwahrnehmung: "Wer nicht weiß, wer er selbst ist und warum er tut, was er tut, wird den Anforderungen der Arbeit auf Dauer nicht gewachsen sein."

Autor:

Michael Bordt SJ

Prof. Dr. Michael Bordt SJ ist 1988 in den Jesuitenorden eingetreten. Von 1997 bis 2022 lehrte er an der Hochschule für Philosophie in München, seit 2004 als Professor für Ästhetik, philosophische Anthropologie und Geschichte der Philosophie (Schwerpunkt Antike). Seit 2011 leitet er das Institut für Philosophie und Leadership.

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