Mit dem Tagesrückblick zur Dankbarkeit

Der Ignatianische Tagesrückblick ist nicht nur Kern unserer Kampagne „Trotzdem dankbar!“, sondern vor allem Kern der Ignatianischen Spiritualität der Jesuiten. Er ermöglicht Menschen eine innere Freiheit trotz stressigem Alltag oder einer Krise. Diese ist für Ignatius von Loyola, Gründer des Jesuitenordens, von besonderer Bedeutung, da die innere Freiheit Handeln ermöglicht. Wie dies mit Hilfe des Tagesrückblicks zu erlangen ist, erklärt P. Bertram Dickerhof SJ.

Für Ignatius von Loyola waren Bewusstheit und innere Freiheit von zentraler Bedeutung. Immer wieder hat er empfohlen, sich stets die Freiheit des Geistes zu bewahren, unbeeinflusst von menschlicher Rücksicht: „Du solltest immer frei sein für das Gegenteil dessen, was du gerade tust, und diesen inneren Selbstbesitz dir durch kein Hindernis entreißen lassen.“ Rücksichtnahme auf andere darf also nicht zum Gesetz des Handelns, und Tätig-Sein nicht zum Mittel oder zur Rechtfertigung des Verlustes seiner selbst werden. Diese Freiheit des Geistes erlaubt Distanz, die es sowohl ermöglicht, in allem Gott zu finden, als auch dem Anderen personal zu begegnen. Darin aber liegt wahre Erfüllung. „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ (Martin Buber) – auch wenn unsere Welt das Aufgehen (oder ist es ein Untergehen?) in Job, Genuss und symbiotischen Beziehungen vorzuziehen scheint.

Der bewusste Selbstbesitz in innerer Freiheit ist im stressigen Alltag nicht ohne weiteres aufrecht zu erhalten, auch nicht nach einer morgendlichen stillen Zeit: Arbeitsdruck und gute oder schlechte Erlebnisse bemächtigen sich der Person. Der von Ignatius mittags und abends vorgeschlagene Rückblick auf den vergangenen halben Tag dient dazu, sich seiner selbst wieder bewusst zu werden und innere Freiheit zurückzugewinnen.

Es geht nicht um Kontrolle von Moral oder Vorsätzen in der Viertelstunde dieses Rückblicks, der passend „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“ (Willi Lambert SJ) genannt wird: An einem ruhigen Platz unterbricht der Beter die Antreiber des Alltags, indem er auf sich selbst schaut mit dem liebenden Blick Gottes. Dazu hilft ihm, wenn er zunächst einige Minuten tief, langsam und entspannt atmet und den Weg des Atems im Körper bewusst verfolgt. Das tiefe und langsame Atmen beruhigt und öffnet den Leib. Sodann nimmt der Betende wahr, wie es ihm geht, was er von seinem Körper, seiner Stimmung spürt. Und er schaut, was ihm aus der vergangenen Tageshälfte noch nachgeht und seine innere Freiheit bindet. Der Geist wird nicht durch Analysieren und Verstehenwollen beruhigt, er wird vielmehr von den Gefühlen gestaltet. Deswegen ist ein entscheidender Schritt, nach den Gefühlen Ausschau zu halten, die mit dem Ereignis oder Thema, das den Betenden beschäftigt, einhergehen und den Atem mit dem aufmerksamen Verweilen bei diesen Gefühlen zu verbinden. Das verschafft Abstand. Der Geist wird wieder freier. Allerdings muss der Beter das Wahrnehmen seiner Gefühle geduldig üben und dazu bereit sein, Angenehmes los- und Unangenehmes dasein zu lassen. Beim Loslassen von Befriedigungen hilft ihm, wenn er auch deren Kehrseite spürt, nämlich den Unfrieden, die Erregung und die Tendenz, „aus dem Häuschen“ zu geraten. Wenn er dankt, kommt er zurück auf den Boden der Wirklichkeit: Erfolg, Lob, gute Begegnungen… sind bei allem eigenen Zutun immer auch unverfügbares Geschenk, das er empfangen durfte.

Unangenehme Gefühle erinnern ihn daran, dass das Aushalten von Spannung Grundlage des geistlichen Weges ist. Nicht umsonst ist das Kreuz das Markenzeichen des Christlichen. Das Dasein-Lassen des Störenden in der mit dem Atem verbundenen Wahrnehmung macht die Spannung aushaltbar. Der Betende kann zudem Gott seine Klagen und Bitten, seine Proteste oder seine Reue… anvertrauen. Später wird er auch für die erlebte Grenze danken können: an ihr erweisen sich manche seiner selbstverständlichen Vorstellungen vom Leben, von den anderen, der Welt, sich selbst als illusionär. Sein bisheriges Selbstverständnis „stirbt“ und er wird befreit dazu, mehr aus seinem wahren Selbst und aus dem Grund aller Wirklichkeit, der unbedingte Liebe ist, zu leben. Staunend sieht er, dass in der bis auf den Grund durchlebten Ernüchterung reine Freude liegt, die den Geist ruhig macht und frei. So ist am Ende auch Unangenehmes ein Anlass zum Danken.

Oft fällt eine Idee für den nächsten Schritt bei diesem Rückblick ein, der z.B. mit dem Vaterunser abgeschlossen wird.

Das Bewusstwerden bringt mich mit mir selbst in Kontakt, meine innere Klarheit und Entschiedenheit kann wachsen. Aus dem neu gewonnenen Bewusstsein kann Zufriedenheit und Glück wachsen. Das betende Üben stärkt nicht nur mein Selbstvertrauen, sondern prägt auch eine Achtsamkeit für Gottes Führung und Wirken in meinem Leben.

 

Autor:

Bertram Dickerhof SJ

P. Bertram Dickerhof SJ studierte zunächst Mathematik, trat 1977 in den Orden ein; er arbeitete in der Jugend- und Krankenhausseelsorge; 10 Jahre Leiter des Aus- und Fortbildungsinstituts der deutschsprachigen Orden (IMS). Seit 2005 leitet er den Ashram Jesu - tief im Christlichen verwurzelt, offen für die Wahrheiten anderer Religionen - eine alte Wassermühle Im Westerwald, der sich auch "Christliche Lebensschule" nennt. In Indien ist ein "Ashram" eine Schule unter Bäumen, wo die Menschen nach Antworten suchen auf ihre Lebensfragen.

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