• Ein Mädchen in den Tolupan-Wäldern von Honduras.
  • P. Klaus Väthröder SJ.
  • Eine Müll-Sammelaktion in Brasilien.
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Mit leichtem Gepäck über die Erde

Die Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation steht außer Frage. Doch warum beschäftigen sich die Jesuiten mit diesem Thema und gründen sogar ein Zentrum, um diese Transformation mitzugestalten? Pater Klaus Väthröder SJ führt uns in das Thema ein.

Stellen Sie sich vor, dass sich die Geschichte des Planeten Erde an den 365 Tagen eines einzelnen Jahres abspielt. Am Neujahrstag, dem 1. Januar, beginnt die Erdentstehung, und in der Umgebung der Erde entstehen Planeten im Urzustand. Anfang März entstehen die ersten Kontinente auf der Erde. Im August gibt es genügend Sauerstoff für die einfachsten Lebewesen. Am 27. November entwickeln sich die ersten Pflanzen, am 3. Dezember kriechen die ersten Tiere auf das Festland. Am Abend des 31. Dezember finden sich erste Spuren früher Menschentypen in Ostafrika. Um 23:56 Uhr erscheint der anatomisch moderne Mensch, der Homo sapiens. Um 23:58 Uhr und 50 Sekunden wird der Mensch sesshaft. 22 Sekunden vor Mitternacht lebt Abraham, und 14 Sekunden vor Mitternacht wird Jesus geboren. In den letzten zwei Sekunden des Jahres steigt die Anzahl der auf dem Planeten Erde lebenden Menschen von einer auf acht Milliarden.

Dieses Gedankenexperiment macht mir deutlich, was der Mensch als „Krone der Schöpfung“ in den letzten beiden Sekunden des Jahres mit dem Planeten Erde gemacht hat. Der Glaube an unendliches Wirtschaftswachstum und die damit notwendigerweise einhergehende exponentielle Steigerung des Verbrauchs von Energie und endlichen Ressourcen, von Konsum, Mobilität, Bevölkerung, Urbanisierung und anderen menschlichen Aktivitäten haben in diesem winzigen Augenblick der Erdgeschichte Auswirkungen von gravierender globaler Bedeutung, die das Überleben der Menschheit grundsätzlich infrage stellen.

Die Zeit der Wenden

Klimawandel und die Gefahr von Kipppunkten und ihnen folgenden Extremwetterereignissen, Wasserknappheit und Meeresanstieg, Artensterben und Verlust von Biomasse – das sind Schlagworte, die täglich aus den Medien auf uns einprasseln. Die Auswirkungen treffen allerdings besonders die Menschen im Globalen Süden, die am wenigsten zu dieser Situation beigetragen haben. Als Antwort werden uns von Politik und Wissenschaft verschiedene Wenden präsentiert: Energie- und Verkehrswende, Agrar- und Konsumwende, urbane und industrielle Wende. Wenn wir alle Wenden zusammennehmen, sprechen wir von der sozial-ökologischen Transformation.

Bisher gab es zwei große Transformationen oder Umwälzungen in der Menschheitsgeschichte. Während der ersten großen Transformation, vor gut 10.000 Jahren oder 70 Sekunden vor Ende des letzten Tages unserer Jahres-Welt-Uhr, beendeten kleine Sammler- und Jägergruppen das Herumziehen, um sesshaft zu werden, Vieh zu zähmen und Ackerbau zu betreiben. Mit der Industriellen Revolution vor ca. 250 Jahren begann die zweite Transformation, mit der tiefgreifenden und dauerhaften Umgestaltung von wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen, von Arbeitsbedingungen und Lebensumständen. In dieser Zeit beschleunigte sich die Entwicklung von Technik, Produktivität und Wissenschaften; Elektrizität und Dampfmaschinen wurden erfunden, und die Bevölkerung nahm stark zu. Diese Transformation brachte Wohlstand, aber auch soziale Verwerfungen und neues Elend.

Es gilt, das gesamte Wirtschaftssystem umzubauen und so zu gestalten, dass wir innerhalb unserer planetarischen Grenzen leben. Wir müssen die Energieversorgung auf erneuerbare Energie umstellen und die Produktion vom Verbrauch endlicher Ressourcen entkoppeln. Zukünftig sollten wir unseren Wohlstand und unser Glücksempfinden nicht an einem Wirtschaftswachstum messen, das unsere Mit-Welt zerstört. Das Ganze müssen wir tun unter der Bedingung der Gerechtigkeit und des Wohlergehens für alle Menschen dieses Planeten. Das heißt, dass wir uns an den 17 nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals) ausrichten sollen, die von allen Staaten im Jahr 2015 verabschiedet wurden. Das hört sich erst einmal schwierig an, wenn nicht gar unmöglich.

Zeitalter des Menschen

Experten nennen die jüngste Phase der Erdgeschichte, in der menschliche Aktivität der bestimmende Faktor ist, das Anthropozän, das Zeitalter des Menschen. Auf der einen Seite steht die Frage, ob wir überhaupt in der Lage sind, für den Planeten Verantwortung zu übernehmen und Prozesse zu steuern, die über Jahrtausende unsere gesamte Biosphäre beeinflussen, auf der anderen Seite steht die Möglichkeit der Umkehr in einer neuen Spiritualität der Schöpfung, die bei uns selbst beginnt. Damit meine ich nicht in erster Linie, dass wir nachhaltiger leben, weniger Fleisch essen, auf Flugreisen verzichten und zu Hause auf erneuerbare Energie umsteigen. Das auch. Ich meine aber vor allem eine geistige und spirituelle Wende, die allen anderen technologischen und wirtschaftlichen Wenden vorausgehen muss.

Die Natur als Geschenk

Jede Schöpfungsspiritualität beginnt mit Danke-Sagen, etwa „für einen Baum, der mir zum Freund geworden ist, für mein Lieblingswaldstück, für die Amseln, die meinen Garten besuchen; und für den Amazonas, der weit weg ist, aber von dem auch mein Leben abhängt“, schreibt Fabian Moos SJ in dem Buch Der Zukunft eine Zukunft geben. Eine Spiritualität der sozialökologischen Umkehr. Dadurch entsteht eine Perspektive, die die Natur als Geschenk, nicht als selbstverständliche und beliebig verfügbare Voraussetzung unseres Daseins wahrnimmt. Schöpfung ist nicht eine Erzählung vom Anfang, sondern von der Gegenwart, die mit einem Handlungsauftrag verbunden ist. In einer solchen Spiritualität der Schöpfung ist die Mit-Welt nicht ein Ding, über das wir herrschen und das wir zu unserem Wohlergehen beliebig benutzen und ausnutzen können. Schöpfung meint die ständige Gegenwart Gottes in seinen Geschöpfen, welche die Menschen zur Liebe befähigt, zum Handeln verpflichtet und zur Hoffnung ermutigt. Aus dieser Dankbarkeit heraus können wir einen neuen Lebensstil entwickeln, der nicht unter dem Vorzeichen des Verzichts steht.

Vielmehr sind wir getrieben von dem Verlangen nach „immer mehr“. Doch die Befriedigung unserer anscheinend grenzenlosen Bedürfnisse bewirkt keine tiefe Zufriedenheit in uns. Wir brauchen daher eine neue Idee vom glücklichen Leben, vom „Buen Vivir“, wie es die indigenen Völker des Anden- und Amazonasraums in Südamerika ausdrücken und leben.

Papst Franziskus beschreibt das „Gute Leben“ oder „Buen Vivir“ in seiner Enzyklika „Laudato Si“ als ein Leben in Dankbarkeit und Unentgeltlichkeit, mit Verzicht und Großzügigkeit, im liebevollen Bewusstsein, nicht von den anderen Geschöpfen getrennt zu sein, sondern mit den anderen Wesen des Universums eine wertvolle allumfassende Gemeinschaft zu bilden (LS 220). Der Papst möchte einen prophetischen und kontemplativen Lebensstil, der fähig ist, sich zutiefst zu freuen, ohne auf Konsum versessen zu sein. Es handelt sich um die Überzeugung, dass „weniger mehr ist“ und letztlich befreiend wirkt (LS 222). Anders ausgedrückt: Eine Änderung des Lebensstils sollte Spaß machen.

Weniger ist mehr

Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind enorm. Es besteht die Versuchung, sich wegzuducken oder in Aktivismus aufzureiben. Das Wesentliche ist meine innere Einstellung. Gerade als Christen sind wir eingeladen, Gott zu vertrauen und mit „leichtem Gepäck“ über die Erde zu gehen. Das „Mehr“ oder das ignatianische „Magis“ kann gerade in einem „Weniger“ bestehen, im Sinne einer Entrümpelung. Dazu gibt es eine Vielzahl von Initiativen (wie unser Sozial-Ökologisches Zentrum) und Menschen, die sich auf den Weg der sozial-ökologischen Transformation gemacht haben und die Welt von morgen bereits vorwegnehmen. Wenn wir wach und aufmerksam sind, werden auch wir bald bemerken, in welche Richtung uns Gott ziehen will.

Autor:

Klaus Väthröder SJ

P. Klaus Väthröder SJ ist 1986 in den Orden eingetreten. 1991 wurde er zum Priester geweiht. Er hat Politische Ökonmie studiert und in Venezuela an einem Sozialinstitut gearbeitet. Von 2007 bis 2023 war er Missionsprokurator und leitete die Jesuitenmission in Nürnberg. Pater Väthröder ist als Delegat zuständig für die Themen Soziales & Ökologie in der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten.

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