• Martin Maier SJ, Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerkes Adveniat
  • Rutilio Grande, auch "Padre Tilo" genannt
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Seligsprechung in El Salvador

Am 22. Januar werden der salvadorianische Jesuit Rutilio Grande und die beiden mit ihm ermordeten Laien Manuel Solórzano (72 Jahre) und Nelson Rutilio Lemus (16 Jahre) in der Kathedrale von San Salvador (aufgrund ihres Märtyrertods) seliggesprochen, ebenso wie der italienische Priester Cosme Spessotto. Sie alle erlebten die angespannten und gewalttätigen Jahre, die dem Bürgerkrieg vorausgingen, der das Land zwölf Jahre lang verwüstete und mehr als 80.000 Tote und enorme Verluste der Infrastruktur hinterließ.

Der General der Jesuiten, Arturo Sosa SJ, würdigte seinen Mitbruder und die anderen beiden Männer, die mit ihm selig gesprochen werden, als Geschenk Gottes: "Durch sie vereinen wir uns mit dem Glauben der Menschen in El Salvador und mit ihren Bemühungen, den notwendigen Wandel herbeizuführen, der eine gerechte Gesellschaft mit einem würdigen Platz für alle Menschen ermöglichen wird." Bei der Seligsprechung wird P. Martin Maier SJ, Geschäftsführer von Adventiat, in San Salvador live dabei sein. Ina Rottscheidt von DOMRADIO.DE sprach mit ihm über das Großereignis für El Salvador.

DOMRADIO.DE: Sie haben lange in El Salvador gelebt und kennen die Geschichte von Rutilio Grande. Welche Bedeutung hat seine Seligsprechung am kommenden Samstag für Sie?

P. Martin Maier SJ (Hauptgeschäftsführer von Adveniat): Für mich bedeutet die Seligsprechung von Rutilio Grande und seinen Begleitern eine große Freude. Und für El Salvador und seine Kirche ist es ein großes Fest, weil damit anerkannt wird, dass Rutilio Grande ein vorbildlicher Priester war, dass er ein Märtyrer ist und dass er sein Leben in der Nachfolge Christi und im Einsatz für Gerechtigkeit und für die Armen hingegeben hat.

Er steht im Grunde am Anfang eines großen Veränderungsprozesses der Kirche in El Salvador. Er hat in der Landpfarrei von Aguilares versucht, die Beschlüsse der Bischofsversammlung von Medellín 1968 umzusetzen, wo die Kirche Lateinamerikas sich für die vorrangige "Option für die Armen" ausgesprochen hat. Sie hat quasi ihren Standort gewechselt und im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil für Gerechtigkeit und für die Armen eingesetzt.

Und bei Adveniat sind wir auch stolz, dass Rutilio Grande damals einer unserer Projektpartner war: In unseren Archiven haben wir herausgefunden, dass er 1974 von Adveniat 20.000 DM für den Bau eines Bildungszentrums, Kurse und ein Auto erhalten hat.

DOMRADIO.DE: Rutilio Grande ist international weitaus weniger bekannt als der Heilige Oscar Romero, der als Erzbischof von San Salvador 1980 während der Heiligen Messe erschossen wurde, weil er sich mit den Mächtigen des Landes angelegt hatte. Trotzdem kann man Romero nicht ohne Rutilio Grande verstehen. Warum?

Maier: Die Ermordung von Rutilio Grande und seinen Begleitern war ein Schlüsselmoment im Leben von Erzbischof Oscar Romero. Er war lange ein eher konservativer Bischof gewesen, der die Kirche aus den sozialen Konflikten heraushalten wollte. Die beiden kannten einander, aber Romero stand der Pastoral von Rutilio Grande in Aguilares zum Teil kritisch gegenüber. Aber als Grande dann am 12. März 1977 ermordet wurde, und Oscar Romero, der erst kurz zuvor zum Erzbischof von San Salvador ernannt worden war, vor seinem Leichnam und dem seiner beiden Begleiter stand, da ist etwas Umwälzendes mit ihm geschehen: "Rutilio hat mir die Augen geöffnet“, hat er später gesagt, "Wenn sie ihn umbringen, für das, was er getan hat, dann muss ich denselben Weg gehen!"

Einige sprechen heute von einer Bekehrung Romeros, ausgelöst durch den Mord. Und in der volkstümlichen Tradition spricht man sogar von einem "Wunder Gottes“, das die Veränderung bewirkte, die Romero zum prophetischen Verteidiger der Armen werden ließ.

DOMRADIO.DE:  Brauchte es eigentlich für die Seligsprechung von Rutilio Grande und seinen Begleitern einen lateinamerikanischen Papst? Es ist doch kein Zufall, dass diese, wie auch die Heiligsprechung Oscar Romeros 2018 in die Amtszeit von Papst Franziskus fällt, oder?

Maier:  Papst Franziskus hat die Selig- und Heiligsprechung von Erzbischof Romero und Rutilio Grande zu einem persönlichen Anliegen gemacht. Ein Priester aus El Salvador hat ihn 2007 bei der Bischofsversammlung in Aparecida getroffen. Damals war er noch Erzbischof von Buenos Aires und sie kamen auf Oscar Romero zu sprechen. Und Jorge Mario Bergoglio sagte damals etwas humorvoll: "Wenn ich Papst wäre, ich würde Romero morgen heiligsprechen!" Damals ahnte noch niemand, dass es so kommen würde. 

Aber man muss gerechterweise auch sagen, dass Papst Benedikt XVI. vor seinem Rücktritt bereits die entscheidenden Weichen für die Seligsprechung von Oscar Romero 2015 gestellt hat.

DOMRADIO.DE: Sein Biograf Padre Rodolfo Cardenal beschreibt Rutilio Grande als einen zunächst unsicheren und stillen Mann, wenig charismatisch. Was gab bei ihm den Ausschlag, sich für die Theologie der Befreiung - und gegen den Klerus - auszusprechen und die Ungerechtigkeit und Gewalt im Land offen zu verurteilen, womit er sich auch gegen die Oligarchie stellte?

Maier: Padre Rutilio Grande hat die Beschlüsse der Bischofsversammlung von Medellín 1968 ernst genommen: Die vorrangige Option für die Armen. Und er hat ernst genommen, was sich der Jesuitenorden – er war ja auch Jesuit - im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil zum Programm gemacht hat, nämlich Glaubensverkündigung mit dem Kampf für die Gerechtigkeit zu verbinden: Glaube und Gerechtigkeit - das ist die Kurzformel dessen, was Jesuiten als ihre Sendung in der Welt von heute verstehen. Und das hat in ihm Prozesse in Gang gesetzt und ihn persönlich verändert.

DOMRADIO.DE: Was bedeutet es für das Volk in El Salvador, das neben Rutilio Grande auch zwei Laien seliggesprochen werden?

Maier: Es handelt sich um den damals 72jährigen Manuel Solórzano, seinen Küster, der ihn immer begleitet hat. Sie waren gerade unterwegs auf dem Weg zum Abendmesse. Dabei war auch der 16jährige Nelson Lemus. Aber selbst darauf haben die Mörder keine Rücksicht genommen, sie haben einfach alle getötet und deswegen werden sie jetzt mit Rutilio Grande zusammen seliggesprochen.

Es sind die ersten Laien El Salvadors, die selig gesprochen werden und deshalb ist es für die Kirche und für das Volk dort ein ganz wichtiges Zeichen. Es macht auch deutlich: im Martyrium gibt es keinen Unterschied mehr, ob jemand Priester oder Laie ist. Und es würdigt auch die Tausenden von Laiinnen und Laien, die in El Salvador in den Jahren des Bürgerkriegs umgebracht wurden. Der Befreiungstheologe Jon Sobrino hat sie als “Gekreuzigte des Volkes in El Salvador“ bezeichnet.

DOMRADIO.DE: Ist das Verbrechen an Rutilio Grande und seinen Begleitern jemals aufgeklärt worden, ist irgendjemand zur Rechenschaft gezogen worden?

Maier: Man kannte die Mörder und wusste, dass Soldaten der Nationalgarde beteiligt waren. Aber es gab nie ein Gerichtsverfahren.

DOMRADIO.DE: Sie werden bei der Seligsprechung dabei sein – wie läuft das ab?

Maier: Ich freue mich sehr darauf, an dieser Feier teilzunehmen, sofern es Corona erlaubt. Sie wird auf dem zentralen Platz „Salvador del Mundo“ in San Salvador begangen, dort, wo auch schon die Heiligsprechung von Erzbischof Romero gefeiert wurde. Damals war ich auch dabei, rund 300.000 Menschen kamen damals. Dieses Mal werden es pandemiebedingt weniger sein, aber die Feier wird per Video auch in die vielen Pfarreien übertragen, denn es ist ein nationales Ereignis.

Das Interview führte Ina Rottscheidt für Domradio.de

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