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P. Ralf Klein SJ über die Rechte queerer Menschen und die katholische Kirche

Die Initiative #OutInChurch ist in Nürnberg mit dem diesjährigen Pirckheimer-Preis ausgezeichnet worden. Pater Ralf Klein SJ nahm den Preis entgegen und schilderte in seiner Dankesrede Beobachtungen und Wünsche eines schwulen Gläubigen:

Etwa zwei Wochen nach der Doku „Wie Gott uns schuf“ machte Hendrik Johannemann, Mitglied des Synodalen Weges und Mitwirkender bei #OutInChurch, auf einen Aspekt aufmerksam, der kaum Beachtung gefunden hatte. Sinngemäß lautet dieser: Da haben sich nicht nur 125 Katholik*innen als queer, sondern es haben sich auch 125 queere Menschen als katholisch geoutet. An dieser Bemerkung sind mir zwei Dinge wichtig.

Dieser Preis gebührt nicht nur mir, sondern vor allem meinen 124 anderen Mitstreiter*innen. Die Aufmerksamkeit und die Wirkung konnten wir nur erreichen, weil wir uns zusammengetan haben. Deswegen werde ich auch das Preisgeld an den Verein OutInChurch weiterleiten, den wir vor zwei Monaten gegründet haben.

Aber genauso wichtig ist mir der zweite Aspekt: Wir haben uns als katholisch geoutet. Ich hatte nach dem Film eine Begegnung mit einem schwulen Prominenten, der sich in seinem Berufsfeld für die Rechte queerer Menschen einsetzt. Im Laufe des Gesprächs erzählte er mir, dass er, nachdem ihm ein Trailer des Films gezeigt worden war, in einem Interview kommentierte: „Warum treten diese Menschen nicht aus der Kirche aus?“ Nachdem er den Film gesehen hatte, bat er, diese Bemerkung nicht zu veröffentlichen. „Ich hatte gemerkt, dass Sie Ihre Berufung leben“.

Das steht doch in einem merkwürdigen Kontrast zu den vielen kirchlichen Äußerungen, die das Gefühl verbreiten, Mutter Kirche schäme sich ihrer queeren Kinder. Umso bemerkenswerter die Bereitschaft dieser 125 queeren Kinder, sich zu ihrer Mutter zu bekennen. Es gleicht in Vielem dem Kampf Jakobs mit Gott am Jabbok. Es ist ein Kampf, gegen dessen Ende Jakob sagt „Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest“ (Gen 32,27). Das hatte aber seinen Preis, denn von da an hinkt er an der Hüfte (Gen 32,32). Wegen der eigenen sexuellen Identität und Orientierung mit auch von der Kirche geschlagenen Wunden durch das Leben zu gehen und sich doch nach dem Segen Gottes zu sehnen, vielleicht auch: sich von ihm gesegnet zu wissen – das ist die Lebenssituation von vielen queeren Gläubigen.

Ich danke dem Caritas-Pirckheimer-Haus, dass es mir die Gelegenheit gibt, an dieser Stelle mit Ihnen über das Verhältnis der Kirche zu queeren Menschen und ihren Rechten nachzudenken. Vor zwei Monaten gab Papst Franziskus AP ein Interview, in dem er sich auch zur Entkriminalisierung der Homosexualität äußerte. Dass die Brisanz dieser Worte in Deutschland erst einmal nicht verstanden wurde, hatte verschiedene Gründe. Zum einen standen hier natürlich seine Interviewaussagen zum Synodalen Weg im Vordergrund, zum anderen ist für uns die Aussage „Homosexualität ist kein Verbrechen“ kaum eine Neupositionierung.

Um zu verstehen, warum dem doch so ist, muss man den Tenor bisheriger kirchlicher Äußerungen zu Homosexualität und queeren Menschen in den Blick nehmen. Für mich ist es richtig ermüdend, wenn in diesen Äußerungen darauf hingewiesen wird, dass man ja zwischen Neigung und Handlung unterscheiden müsse, dass uns queeren Menschen mit Respekt, Mitgefühl und Takt zu begegnen sei und dass wir nicht ungerecht zurückgesetzt werden dürfen. In mehr als zwanzig Jahren der Auseinandersetzung habe ich gelernt, dass solche Formulierungen häufig nur der Auftakt zu einem Aber sind – und gar nicht so selten zu einem verletzenden Schlag.

Die Problematik dieses Aber wird deutlich, wenn man darauf schaut, welche Zurücksetzungen queerer Menschen nach kirchlichen Verlautbarungen als gerecht betrachtet werden. Im Jahr 1992 veröffentlichte die damalige Glaubenskongregation ein heute noch auf ihrer Homepage einsehbares Dokument, das dem Staat das Recht zugesteht, queere Menschen allein aufgrund ihrer Neigung – nicht aufgrund von Handlungen – von den Berufen Lehrer*in und Sporttrainer*in auszuschließen. Dabei wird nicht einmal die Notwendigkeit gesehen, eine Zeile für die Darlegung zu opfern, welche besondere Gefahr denn nun z.B. von einem schwulen Französischlehrer oder einer lesbischen Boxtrainerin ausgeht. In dem gleichen Dokument wird es als zulässig betrachtet, Menschen, die durch ihre Worte oder Handlungen ihre queere Orientierung öffentlich machen, einen Miet- oder Arbeitsvertrag zu verweigern. Dass damit die Grundlagen eines menschenwürdigen Lebens bedroht sind, spielt keine Rolle. Schließlich ist das Verbot der Bildungskongregation aus dem Jahr 2005 zu benennen, Männer mit „tiefsitzenden homosexuellen Neigungen“ – wohlgemerkt: Neigungen, nicht ausgeführte Handlungen – zu Priestern zu weihen. Wundert es Sie, dass an keiner Stelle dieses Dokuments ein Hinweis darauf gegeben wird, wann homosexuellen Neigungen tiefsitzend sind und wann nicht? So viel zur Rechtssicherheit.

Stelle ich diese Fälle nebeneinander, gewinne ich den Eindruck, dass vor allem das verteidigt werden soll, was man als die sittliche Ordnung versteht. Deren Bewahrung genießt Vorrang vor den Rechten queerer Menschen. Diese werden zwar prinzipiell anerkannt, der so verstandenen Ordnung aber nachgeordnet. Deswegen darf der Staat queere Menschen von bestimmten Berufen ausschließen, deswegen darf man ihnen Wohnung und Arbeit verweigern, deswegen darf man auch mit verbaler Gewalttätigkeit gegen sie vorgehen. Lesen Sie mal kirchliche Stellungnahmen zu queeren Menschen aus unserer Perspektive, und Sie werden merken, wie viel Verletzungspotenzial und gar nicht so selten Gehässigkeit und auch Beleidigungen darin enthalten sind. Polemisch formuliert: Geht es um die Verteidigung des sechsten Gebots, verlieren für manchen Verteidiger der kirchlichen Lehre zur Homosexualität die anderen Gebote ihre Geltung.

Davon heben sich die Äußerungen von Papst Franziskus wohltuend ab – trotz seiner Aussage zur Sünde. Für uns in Europa ist es mittlerweile selbstverständlich, dass homosexuelle Handlungen als solche im Strafgesetzbuch nichts zu suchen haben. Dabei vergessen wir, dass dies in vielen anderen Ländern außerhalb Europas heute nicht der Fall ist. Z.B. sind in 32 der 54 afrikanischen Staaten homosexuelle Handlungen strafbar, und die Tendenz der vergangenen Jahre geht nicht in Richtung Liberalisierung, sondern Verschärfung. In vielen Ländern wird diese Tendenz von der jeweiligen katholischen Bischofskonferenz unterstützt.

Wenn der Papst also sagt, die Kirche müsse sich für die Abschaffung solcher Gesetze einsetzen, dann ist das in diesen Ländern eine brisante Aufforderung an die Bischöfe. Zur Bekehrung ruft er dabei nicht die queeren Menschen auf, sondern die Bischöfe, die bislang in der gegensätzlichen Richtung aktiv geworden sind. „Diese Bischöfe müssen einen Prozess der Bekehrung durchlaufen“ – so der Papst wörtlich im Interview. An keiner einzigen Stelle – das ist der bemerkenswerte Gegensatz zu den gewohnten kirchlichen Verlautbarungen – fordert der Papst von den queeren Menschen eine Verhaltensänderung. Damit erkennt er an, dass Menschenrechte bedingungslos gelten und keine Belohnung für Wohlverhalten sind. Zur sittlichen Ordnung, die verteidigt werden soll, gehören eben auch die Menschenrechte, was in kirchlichen Äußerungen über queere Menschen häufig vergessen wird.

125 katholische Menschen haben sich als queer geoutet. Für manchen in der Kirche ist das ein Grund zur Sorge und zur Betrübnis. 125 queere Menschen haben sich als katholisch geoutet. Wie sagt der Vater am Ende von Lukas 15? „Aber man muss doch ein Fest feiern und sich freuen; denn dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.“ Als schwuler Katholik wünsche ich meiner Kirche, dass sie sich ganz und gar, mit Haut und Haar vom Feuer dieser Freude anstecken lässt.

Ralf Klein SJ

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