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Retreat from the City in the City

„Dass ich durch Nichtstun so intensiv einen tragenden Grund spüren kann, hätte ich nie geglaubt.“ „Ich war irritiert und gleichzeitig fasziniert, dass es nahezu keine Vorgaben oder Hinweise gab. Ich war frei.“- Stimmen bei der Auswertung der kontemplativen Übungstage an der Kirche der Jesuiten Sankt Peter im Zentrum von Köln. Jeweils in der letzten Woche der Sommerferien, findet an dieser durch ihr konsequent zeitgenössisches Profil besonderen Pfarrkirche tagsüber eine geistliche Auszeit statt: Fünf Tage Meditation von 9 bis 17 Uhr. Geübt wird, nichts zu tun, nichts zu denken, loszulassen und sich in die Zeit fallen zu lassen, um in der Gegenwart präsent zu sein.

Die paradox formulierte Ausschreibung „Retreat from the City in the City - Rückzug von der Stadt in der Stadt“ bringt ein Dutzend Frauen und Männer zusammen, die in dem seitmehr als 1000 Jahren geistlich geprägten Kirchenraum der Stille nachspüren. Teilnehmende sind keineswegs auf den Kreis der Gottesdienstgemeinde beschränkt: Eine Frau mit zwei heranwachsenden Kindern, die sich bewusst eine Erfahrung der Stille gönnt, und sich dank der Ferien erst abends Zeit für ihre Familie nimmt. Oder der Verwaltungsangestellte, der seine erste Urlaubswoche für eine Unterbrechung nutzt, um nachzuspüren, was das Leben für ihn bereithält. Manche wollen intensiver beten, andere ihr Verhältnis zur Kirche angesichts der Krisen ausloten. Alle verbindet ein Gespür dafür, dass es im alltäglichen Leben der Stadt mit ihren Anforderungen und Terminen eine Tiefendimension gibt, die in der Hektik des Alltags nur selten zum Tragen kommt. Oft hilft Abstand vom vielfältigen Treiben, dieses verborgene Fundament mehr zu erahnen. Aber nicht jede*r kann dafür einen anderen Ort oder gar ein Tagungs- oder Exerzitienhaus aufsuchen. Deshalb bietet die Kunst-Station Sankt Peter solche Tage der Kontemplation an. Sie stehen in der Tradition der Geistlichen Übungen des Ignatius „als leichte Übungen im alltäglichen Leben“. Mitten im Herzen von Köln wollen sie als eine Kombination von Exerzitien im Alltag bzw. auf der Straße einen Akzent setzen.

In bewusstem Abstand zum sog. normalen Leben der Städte mit ihrer Geschwindigkeit sind diese Tage der Kontemplation ohne Telefon und Internet eine Zeit des bloßen Daseins. Der weitgehend leere Kirchenraum bietet in seiner Offenheit den Ort für sieben Mediationseinheiten im schweigenden Sitzen à 40 Minuten und 20 Minuten Entspannung beim Gehen. Mittags nährt eine einfache Mahlzeit, die als Teil der Übung zubereitet wird. Dazu kommen Körperübungen und Begleitgespräch. Zum Ausklang am Abend besteht die Einladung zu einer schlichten Eucharistiefeier.

Diese Art des Rückzugs von der Stadt mitten in der Stadt ist keine Flucht vor den Herausforderungen der Wirklichkeit. Das Dasein im Jetzt lässt auf eine intensive Weise die Wirklichkeit wahrnehmen, so wie sie ist. In der Stille lerne ich beides aufmerksamer wahrzunehmen, die Grundmelodie meines Lebens und das Grundrauschen der städtischen Betriebsamkeit. Der Ort der Retreat liegt nicht auf der grünen Wiese, sondern fußläufig zu einer der umsatzstärksten deutschen Einkaufsstraßen und auf dem Hof bei der Kirche befindet sich ein mobiles Zentrum der Drogenberatung. Wenn ich mich in der Grundhaltung der ruhigen Sammlung und Präsenz an diese Orte stelle und die Wirklichkeiten an mich heran lasse, bewegen sie. In all dem erahne ich einen Grund, der trägt und hält. Geduldiges Dasein in der Gegenwart ermöglicht den Übenden, heiligen Boden zu berühren und in der Gegenwart das Geheimnis des göttlichen Namens zu ertasten: „Ich bin, der ich bin da“.

Autor:

Stephan Kessler SJ

Pater Stephan Kessler SJ ist in der saarländischen Gemeinde Schwalbach aufgewachsen. Mit 27 Jahren trat er in die Gesellschaft Jesu ein: Noviziat in Nürnberg, Philosophie in München, theologische Aufbaustudien in Innsbruck. Nach Promotion mit einer Arbeit im Bereich antiker christlicher Literatur und der Weihe zum Priester folgten Einsätze in der Jugendpastoral und in der Wissenschaft. Ab 2001 in der Ausbildung, zuerst ordensintern als Ausbildungspräfekt und von 2005 bis 2016 als Regens des überdiözesanen Priesterseminars Sankt Georgen und Dozent der dortigen Hochschule in Frankfurt am Main. Seit 2017 leitet er die Kunst-Station Sankt Peter Köln als Pfarrer und ist der Obere der Kölner Jesuitenkommunität Peter-Faber-Haus

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