Zeichen des Heilsplanes Gottes
Nach mehr als zwei Monaten wird in vielen Diözesen den Menschen die Teilnahme an öffentlichen Gottesdiensten unter Einhaltung von Abstandsregeln und Hygienevorschriften wieder ermöglicht. Ohne die Notwendigkeit und das Ringen um Schutzkonzepte in Frage stellen zu wollen, erscheinen mir bestimmte Hinweise für die Gottesdienstteilnahme als problematisch. Risikogruppen wird davon abgeraten, öffentliche Gottesdienste zu besuchen.
Dies betrifft alte Menschen, aber auch Kinder, wenn diese die Abstandsregeln nicht einhalten können. Dadurch entsteht der Eindruck: die Sakramente sind da für die Gesunden und die Starken. Verletzliche Gruppen, die Schwächeren und Kleinen werden bestenfalls geduldet. Damit sind die Sakramente gerade nicht Zeichen des Heils in Zeiten, in denen uns Krankheit bedroht. Dies scheint mir auch nicht den Zeichenhandlungen Jesu zu entsprechen, die nicht den Gesunden und Starken, sondern den Kranken gelten (Mt 9,12). Wie können die Sakramente Heilszeichen in Krankheit und Bedrohung sein?
Zum Fremdschämen ist es, wenn ein Bischof sagt, die übernatürliche Kraft der Gegenwart Gottes in der Hostie schütze vor Ansteckung durch das Virus. „Übernatürlich“ meint nicht, dass die Natur durch das Sakrament schlechthin überwältigt wird, sondern etwas, das zur Ebene Gottes gehört. Das Übernatürliche setzt nach traditioneller Lehre das Natürliche nicht außer Kraft, sondern voraus. Dem lateinischen Wort sacramentum entspricht das griechische mysterion. Gemeint ist damit der Heilswille und Heilsplan Gottes (Eph 1,9; 1 Kor 2,7), der sich in Jesus Christus verwirklicht und uns Menschen umschließt. Das Sakrament/Mysterion ist die geschichtliche-konkrete, erfahrbare Weise, wie Gottes Heil gegenwärtig wird in unserem Leben. Wir sind nicht gottlos; in keinem Moment, in keiner Situation des Lebens. Selbst die Angst, die Jesus am Kreuz befiel, von Gott verlassen zu sein, muss uns nicht mehr ängstigen. Gott hat sich an Jesus als treu erwiesen. Diese in konkreten Zeichen zugesagte Gegenwart Gottes kann heilsam sein für Menschen, auch dann, wenn sie medizinisch keine Heilung erfahren. Sie machen eine Beziehung Gottes zum Menschen zeichenhaft sichtbar, die unverbrüchlich ist.
Die gegenwärtige Krise hat viele Fragen aufgeworfen – auch nach dem, was Sakramente sind. Das (Über-)Angebot an Online-Gottesdiensten; die Aufforderung an die Priester, weiter die Eucharistie alleine zu feiern; die in der evangelischen Kirche entstandene Diskussion um ein Online-Abendmahl, die analog in katholischen Kreisen geführt wurde: dort entstand der Ruf danach, eine Beichte via Telefon und Internet zu ermöglichen.
Sakramente sind nicht durch bestimmte Worte – gleich wo diese gesprochen werden – verursachte „Gnadeneffekte“. Sakramente sind als konkrete Zeichen rückgebunden an eine leibhaftige und gemeinschaftliche Gegenwart. Viele Menschen haben in den vergangenen Monaten nicht nur den Empfang der Hostie vermisst, die nach einer alten Formulierung „Arznei der Unsterblichkeit“ ist. Ebenso fehlt den Menschen, als Gemeinde und Kirche real zusammenzukommen und sich in der Feier der Sakramente der eigenen Identität als Christinnen und Christen zu vergewissern und zu erfreuen. Die Sakramente, so hat Karl Rahner formuliert, sind Selbstvollzug der Kirche. Aber dergestalt, dass die Kirche – gerade auch ihre Amtsträger – nicht über diese „verfügt“, sondern sich in ihrer Feier selbst geschenkt wird. Sich Gott verdankt wissen in Gemeinschaft, ist heilsam. Gottes heilmachende Gegenwart ist nicht exklusiv an die Sakramente gebunden. Die Hausgottesdienste, die vielerorts gefeiert wurden, haben auch über die Konfessionsgrenzen hinaus deutlich gemacht: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt 18,20) In den Sakramenten wird diese uns immer zugesagte Gegenwart konkret erfahrbar; hoffentlich bald wieder nicht mehr nur für eine begrenzte Gemeinde, sondern für alle, die die Erfahrung von Gottes Gegenwart besonders ersehnen, arme und alte Menschen, aber auch Kinder.
P. Klaus Vechtel SJ